# taz.de -- Gedenken an Sozialisten: Getrennt marschieren zur Revolution
       
       > Am Sonntag wurde gleich doppelt Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht
       > gedacht. Die einen versuchten es ohne Stalin und Mao. Die Massen aber
       > waren bei den Traditionalisten.
       
 (IMG) Bild: Wurde am Sonntag gleich mehrfach gedacht: Rosa Luxemburg.
       
       Ein Griff in die revolutionäre Wundertüte 
       
       Kurz bevor sich der Demonstrationszug in Gang setzt, verteilt das „Rosa und
       Karl“-Bündnis, wie es sich liebevoll nennt, Pappen in Sprechblasenform.
       Darauf kann jeder Demonstrant auf dem Olof-Palme-Platz schreiben, was er
       will. Eine malt ein Anarchie-Zeichen. Ein junger Mann mit rosa Schal
       schreibt: „Mensch sein ist vor allem die Hauptsache“.
       
       Die Sprechblasen passen zu Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Denn die
       beiden Revolutionsführer sind ein bisschen wie Wundertüten, in die sich
       jeder hineinwünscht, was er will. Waren sie nun Feinde oder Freunde der
       Demokratie? Waren sie Humanisten? Die Auffassungen, wie man ihnen gedenken
       soll, gehen weit auseinander. So weit, dass es nun neben dem traditionellen
       Gedenken in Friedrichsfelde eine zweite Demo gibt, für die man sich an
       diesem Sonntag am Tiergarten versammelt.
       
       Streit gab es rund um die Gedenkstätte der Sozialisten im Osten der Stadt
       schon immer, im vergangenen Jahr aber spitzte sich die Situation zu, als
       eine Gruppe mit einem Transparent gegen die Mao- und Stalinbilder auf der
       Kundgebung demonstrierte. Daraufhin schlugen Stalinisten zu. Der Initiative
       und zahlreichen anderen Gruppen, darunter die Jusos, reichte es. Jetzt
       laufen sie zusammen mit der DGB-Jugend, den Falken, Teilen der jungen
       Linken und Antifas auf ihrer eigenen Demo. Säuberlich getrennt von der
       traditionellen Demo in Lichtenberg, so dass man sich nicht über den Weg
       läuft. Ein Zielpunkt ist das Rosa-Luxemburg-Denkmal am Landwehrkanal, wo
       die Leiche der Kommunistin 1919 ins Wasser geworfen wurde.
       
       „Die Demo ist moderner und undogmatischer“, sagt Caren Lay,
       stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken, die mit Stalin-Verehrung
       wenig am Hut hat. Alles, was mit der Verherrlichung von Diktaturen zu tun
       hat, bleibt draußen. Die Demo wurde bewusst am selben Tag gewählt – damit
       man sich für eine entscheiden muss. Aber nur rund 1.000 Demonstranten haben
       sich laut Bündnis auf dem Olof-Palme-Platz versammelt. Voll ist der Platz
       aber keineswegs – es dürfte wohl eher die Hälfte sein.
       
       Stalin oder Mao such man tatsächlich vergebens, nicht einmal eine
       DDR-Flagge ist zu sehen. Stattdessen bunte Transparente. Lediglich eine
       junge Frau im blauen FDJ-Hemd verteilt lächelnd Flyer für ein
       „vollständiges Erinnern“. Nein, das sei kein Faschingskostüm, erklärt sie.
       Die FDJ gebe es wirklich noch. „Mit solchen Leuten tun wir uns schwer“,
       erklärt Jannes Walter vom Bündnis. „Aber die sollen ruhig vorbeikommen und
       sich mit uns auseinandersetzen.“ Walter hält die erste Rede und schimpft
       gegen den Kapitalismus. Bloß: Mit autoritären Staatssozialismus könne man
       dem nicht entgegentreten.
       
       Kann man Luxemburg wirklich fein säuberlich von allem trennen, was mit
       Diktatur zu tun hat? Das sehen auf der Demo viele anders. Ein paar Falken
       aus Stuttgart haben ein Plakat dabei, auf dem steht „Diktatur, jawoll!“.
       Das stamme von Luxemburg, erklären sie. Keineswegs sei sie eine lupenreine
       Demokratin gewesen – darum sei auch die klare Trennung Quatsch. Auch die
       Antifa kann mit den Junggewerkschaftern und Sozialdemokraten wenig
       anfangen. „Revolution kann man nur gegen den Staat machen“, sagt Timon
       Simons. Auch hier ist man gespalten, wer sie nun war, die Rosa-Wundertüte.
       Aber zumindest bekommt man nicht gleich auf die Nase. Martin Rank 
       
       Ohne Stalin und Mao geht es nicht 
       
       Ganz vorne läuft Klaus Meinel, mehrere Pullover unterm blauen Anorak,
       hinter ihm das große, rote "Niemand ist vergessen"-Transparent. Meinel
       zieht an seiner Zigarette, dreht sich um. "So wie ich das sehe, hat uns die
       Gegendemo nicht geschadet." Gut 10.000 Leute zählt Meinel hinter sich. "So
       viele wie lange nicht."
       
       Seit Jahren meldet der 63-jährige DKP-Mann die Großdemo an, die an die 1919
       von rechten Freikorps ermordeten Sozialisten Rosa Luxemburg und Karl
       Liebknecht erinnert. Nun wird parallel im Tiergarten demonstriert, "ohne
       Stalin- und Mao-Kult", den die Kritiker Meinel und Co. vorwerfen.
       
       Auf der Frankfurter Allee herrscht am Sonntagvormittag das bekannte Bild
       der letzten Jahre: rote Fahnen, getragen von Linken und Kommunisten aller
       Art. Man beschwört den Klassenkampf, fordert "Hände weg von Syrien" oder
       das Ende der Bundeswehr. Und bei den türkischen Kommunisten blicken neben
       Marx und Engels auch wieder Stalin und Mao mit strenger Miene vom Banner.
       
       "Auf die beiden zu verzichten ist indiskutabel", sagt ein Bannerträger, ein
       ernster Mann um die vierzig. Stalins Rote Armee habe den Zweiten Weltkrieg
       beendet, Mao habe Chinas unterdrückte Bauern befreit. "Heute ist der Tag,
       den großen linken Revolutionsführern zu gedenken", sagt der Mann. "Allen."
       
       Vorn spielt man Arbeiterlieder: "Erst wenn die Eintracht uns bewegt, haben
       wir ihn bald umgelegt." Der geeinte Kampf gegen den Kapitalismus - davon
       kann heute keine Rede sein. Überall wird über "die Spalter" geschimpft, die
       "sozialdemokratischen Verräter", deren Parteijugend zum Gegenbündnis
       gehört.
       
       "Die Kritik ist ja nicht unberechtigt", sagt Michael von der Linksjugend
       Barnim. "Aber warum wird das nicht hier gemeinsam diskutiert?" Sein
       Bundesverband hatte eigentlich zur Gegendemo aufgerufen, ebenso wie die
       Falken. Ordentlich gezofft habe man sich, sagt Markus, 18-jähriger Falke
       aus Bayern. Aber die Kritiker hätten politisch nichts zu bieten, deshalb
       laufe er nicht bei denen. "Hier gehts auch um aktuelle Forderungen, dort
       nur ums richtige Gedenken."
       
       Weiter hinten argumentiert man dialektisch. "Stalin heißt Verrat - am
       Proletariat", rufen junge Trotzkisten. Dann: "Wer hat uns verraten?
       Sozialdemokraten!" "Beides Klassenverräter", sagt Wladek Flakin. "Auf eine
       falsche Wahl zwischen denen lassen wir uns nicht ein."
       
       Am Ende, auf dem Friedhof der Sozialisten, der Grabstätte von Luxemburg und
       Liebknecht, steht Linken-Landeschef Klaus Lederer. Am Morgen hatten dort
       bereits seine Parteivorderen mit dem griechischen Oppositionsführer Alex
       Tsipras ihre Nelken abgelegt. Lederer versucht es salomonisch: "Wir
       unterstützen alle Formen des Gedenkens."
       
       Der Linke hat sich direkt neben den Gedenkstein für Stalinismusopfer
       gestellt. Im Grunde ist auch er eine Gegendemo. Immer wieder kommen
       Demonstranten, schimpfen über die "antikommunistische Provokation", einige
       spucken auf den Stein. Am Ende kommt es zum bereits traditionellen
       Gerangel, als ein Banner für die Stalinismus-Opfer entrollt wird. "Völlig
       geschichtslos", kommentiert Lederer die vermummten jungen Angreifer.
       
       Vor dem Friedhofstor steht derweil Anmelder Klaus Meinel. Immer wieder,
       beteuert er, habe man sich von den Stalin-Fans distanziert. "Aber was
       sollen wir machen? Hier herrscht eben keine Zensur." Lieber als über "die
       drei Stalin-Bilder" redet Meinel über die Forderungen der Demo, keine
       Kriege, keine Armut. "Reale Politik, kein Personenkult." Als Meinel hört,
       dass die andere Demo nur mehrere hundert Teilnehmer hatte, lächelt er kurz.
       "Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter", sagt er, und verschwindet
       zwischen Büchertischen und Bratwurstständen. Konrad Litschko
       
       13 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Rank
 (DIR) Konrad Litschko
       
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