# taz.de -- Rassistische Begriffe in Kinderbüchern: Werte und Worte
       
       > In der Debatte über Kinderbücher geht es um Abwägung: Zensur oder
       > Rassismus. Entscheidend sollte sein, was die Autoren beim Schreiben
       > beabsichtigten.
       
 (IMG) Bild: Durch die Sprachkorrekturen wird verhindert, dass den Kindern eine Figur ans Herz wächst, die ihren Vater „Negerkönig“ nennt
       
       Die Schrift ist eine Abstraktion mit Vorteilen. Sokrates hat sich vehement
       gegen die Schrift ausgesprochen. Er meinte, das geschriebene Wort könne
       sich ohne seinen Urheber „weder wehren noch helfen“. Er war der Meinung,
       ein Text habe immer „seinen Vater als Helfer nötig“. Aber wir kennen die
       klugen Einwände des Philosophen heute wohl nur, weil sie aufgeschrieben
       wurden von einem ungehorsamen Schüler. Die Debatte über „Neger“ in
       deutschen Kinderbüchern trifft den Kern dieses Widerspruchs.
       
       Ein paar Sachen sind klar. Niemand in Deutschland will Zensur. Die Zensur,
       hat einmal ein Schriftsteller treffend analysiert, „ist überlebt, nutzlos,
       paradox, menschen- und volksfeindlich, ungesetzlich und strafbar“. Niemand
       will Zensur, regelmäßig behaupten sogar hauptamtliche Zensoren, dass ihre
       Tätigkeit mit Zensur falsch beschrieben wäre. Gegen Zensur zu sein ist hier
       und heute so leicht, wie gegen das Spießertum zu sein. Gemeint sind immer
       die anderen.
       
       Gleichzeitig ist klar, dass diese Welt besser ist, je weniger Rassismus es
       in ihr gibt. Diese These unterschreiben leider nicht alle im Land. Aber in
       der Debatte über die Sprache in den Kinderbüchern findet sich niemand, der
       die „Neger“ und „Zigeuner“ aus rassistischen Gründen in den Büchern
       belassen will.
       
       Im Gegenteil, wer sich für diese Wörter in den Texten ausspricht,
       versichert möglichst in derselben Zeile, keinesfalls Rassist zu sein. Und
       die, die Menschen mediterraner Herkunft und islamischen Glaubens bestimmte
       Charaktereigenschaften zuschreiben, werden nicht mit solchen Debatten ihren
       mühsam erkauften Eintritt in den Salon gefährden.
       
       ## Eine Form der Informationskontrolle
       
       Wenn man aber Sprache in Kinderbüchern verändert, betreibt man damit eine
       Form der Informationskontrolle. Man verhindert, dass den Kindern bestimmte
       Worte vermittelt werden. Vor allem, wenn diese Worte in einem positiven
       Zusammenhang stehen.
       
       Dass Sklavenhändler und Kopfgeldjäger schlimme Wörter verwenden, mag noch
       angehen, aber dass Huckleberry Finn selbst seinen Freund Jim als „Nigger“
       bezeichnet, ist das Problem. Erkennbar ist hier eine Abwägung zwischen zwei
       Prinzipien, besser gesagt zweier Nichtprinzipien gefordert: Auf der einen
       Seite steht das Prinzip des Antirassismus, auf der anderen die prinzipielle
       Ablehnung von Zensur. Beide können nicht gleichwertig behandelt werden.
       
       Zwar werden die Befürworter des einen Prinzips immer behaupten, das andere
       Prinzip sei durch ihre Haltung nicht berührt, aber solche Aussagen sind
       nicht richtig.
       
       ## „Neger“ war früher nicht rassistisch
       
       So ist „Neger“ 2013 zweifellos ein rassistisches Wort in der deutschen
       Sprache. Über das Wort ist viel zu sagen, insbesondere dass es vor einigen
       Jahrzehnten kein rassistisches Wort war. Die Kultur in Deutschland war
       damals rassistischer, sie war auch sexistischer und weniger demokratisch.
       Das kann dem Wort nicht angelastet werden. „Neger“ war damals so wenig
       rassistisch, wie „Fräulein“ nicht sexistisch war. Die Zeiten haben sich
       millimeterweise geändert, die fünf Buchstaben N-e-g-e-r konnten das nicht.
       Sie stehen zusammen als ein Wort, das aus der Zeit gefallen ist.
       
       Auch „Idiot“ war mal die korrekte, griechische Bezeichnung für einen
       Menschen, der so beschränkt ist, dass er sich nur mit sich selbst befassen
       kann. Die wörtliche Übersetzung ins Lateinische wäre „Autist“. Dennoch ist
       es heute zweifellos eine Beleidigung, einen selbstbezogenen oder einen
       geistig behinderten Menschen oder einen Autisten als „Idiot“ zu bezeichnen.
       
       Also verwendet ein 2013 gedrucktes Kinderbuch, in dem das Wort „Neger“
       steht, rassistisches Vokabular. Durch die angekündigten Sprachkorrekturen
       wird verhindert, dass den Kindern eine Figur ans Herz wächst, die als
       „Negerjunge“ bezeichnet wird, oder eine, die ihren Vater einen „Negerkönig“
       nennt. Solche Maßnahmen dienen der Informationskontrolle und der
       Unterdrückung unerwünschter Inhalte, sie kann daher als Zensur bezeichnet
       werden.
       
       ## Zensur oder Rassismus?
       
       Wir stehen also vor der unangenehmen Frage, ob in solchen Fällen mehr für
       die Zensur oder mehr für den Rassismus spricht. Das macht es ungeheuer
       leicht, die Debatte emotional und schlecht zu führen. Argumentiert jemand
       gegen das Wort „Neger“, beschimpft man ihn sofort als stalinistischen
       Zensor. Wer sich gegen die Zensur großer, geliebter, weltweit anerkannter
       Autoren ausspricht, kann sofort als Rassist geschmäht werden.
       
       Festzustellen ist, dass die Debatte selbst einen hohen Wert hat. Denn die
       Gefahr der Zensur ist groß und real. Wir alle erinnern uns an weichgespülte
       Versionen Grimm’scher Märchen, deren Harmlosigkeit mehr Grausen verursachte
       als der Text an sich.
       
       Aber so wichtig die Autoren sind und so großartig ihre Texte sind und so
       schmerzvoll es ist, auch nur ein Komma an ihnen zu ändern, spricht im
       Moment einiges für die beabsichtigten Korrekturen. Otfried Preußler schrieb
       engagiert gegen Ausbeutung und Unterdrückung, in „Krabat“ erheben sich die
       Müllergesellen gegen ihren bösen Meister, der stirbt, und die Mühle geht in
       Flammen auf. Astrid Lindgren war eine engagierte Kämpferin für die Rechte
       der Schwächeren, in ihrer Literatur und im Leben. Und Mark Twain war –
       zumindest was die Rechte der Schwarzen betraf – ein mutiger Kämpfer für die
       Freiheit und gegen das seinerzeit geltende Recht der Sklaverei.
       
       ## Die Einstellung der Autoren ist wichtig
       
       Das ist nie gleichgültig gewesen. Es liegt nicht nur daran, dass uns die
       humanistische Grundeinstellung der Autoren aus ihren Texten zu sprechen
       scheint. Wäre Preußler ein glühender Faschist gewesen und ein reaktionärer
       Vertriebenenfunktionär – und zu beidem hätte er die Gelegenheit gehabt –,
       hätten wir unseren Kindern seine Bücher wohl nicht so gern vorgelesen.
       
       Hätte sich Astrid Lindgren mit ihrem Geld eine Waffenfabrik gebaut und die
       schwedischen Faschisten unterstützt, hätte das die Verkäufe ihrer Bücher
       nicht beflügelt. Obwohl die Autoren mit ihren Texten eigene Welten
       geschaffen haben, ist uns doch der Absender immer noch wichtig, ganz so,
       wie es Sokrates gefordert hat.
       
       Die Kinder sollten nicht die Prinzipien der Erwachsenen ausbaden. Man
       könnte ihnen erklären, warum ihre Helden Wörter benutzen, die sie selbst
       auf dem Schulhof nicht benutzen sollen. Aber man würde damit kaum ihr
       Vergnügen an Lindgren oder Twain erhöhen. Man sollte seinem Kind auch keine
       Bücher in alter Rechtschreibung zum Lesen geben. Nicht weil diese schlecht
       gewesen wäre, sondern weil man seinem Kind weder Lesen noch Leben unnötig
       schwer machen möchte.
       
       ## Prägende Kindheit
       
       Die Kindheit ist eine prägende Zeit. Hier wird das Grundgerüst der Werte,
       Normen und auch der Worte angelegt. Um ein unpolitisches Beispiel zu
       wählen: Warum fällt es vielen schwer, zu verstehen, dass es Säugetiere im
       Meer gibt? Liegt das nicht auch daran, dass der Wal in unseren
       Kinderbüchern immer wieder als „Fisch“ bezeichnet wurde?
       
       Und bitte vergesst das schreckliche Argument, euch habe „es auch nicht
       geschadet“. Mit diesem „Argument“ kann man jeglichen humanistischen
       Fortschritt zum Erliegen bringen. Schließlich haben weder die
       Hexenverbrennungen noch der Rohrstock im Klassenraum denjenigen geschadet,
       die darüber berichten konnten.
       
       Gerade bei Übersetzungen, aber auch bei Neuauflagen sollte ausschlaggebend
       sein, was die Urheber mit dem Text vermitteln wollten und zum Zeitpunkt der
       Veröffentlichung auch vermitteln konnten. Für die diskutierten Bücher gilt,
       dass sie nicht unter dem Verdacht des Rassismus stehen. Dies wiegt im
       komplizierten Prozess der Abwägung schwerer.
       
       15 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jakob Hein
       
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