# taz.de -- Entsorgung: 1.000 in einen Wagen
       
       > Rund 300.000 Weihnachtsbäume werden alljährlich in Hamburger Haushalten
       > aufgestellt - und wollen danach beseitigt werden. Das erledigen
       > bärbeißige Männer in großen Gefährten.
       
 (IMG) Bild: Vom Straßenrand ins Kompostwerk: Mitarbeiter der Hamburger Stadtreinigung sammeln Weihnachtsbäume ein.
       
       HAMBURG taz | „Da is’ einer“, brummt Bernd Jedryczka. Es ist 6.19 Uhr in
       der Frühe, und ich sehe nichts. Die Rahlstedter Straße? Nur eine dunkle
       Fahrbahn und etwas Schnee. Dennis Sörensen, 29, und Sven Röckel, 35, machen
       sich auf: Handschuhe an, Mütze auf, draußen hat es drei Grad unter null.
       
       Die beiden sind von der Müllabfuhr, Jedryczka, 53, von der Stadtreinigung,
       und an diesem Samstag sitzen sie alle von 6 bis 14 Uhr auf dem M 0803 und
       sammeln Weihnachtsbäume ein. Wir sind in Hamburg-Rahlstedt, das ist
       Jedryczkas Bezirk, „deshalb weiß ich, wo hier welche liegen“, sagt er. Die
       Woche über lässt er die Bäume liegen – „weil wir sonst mit der normalen
       Arbeit nicht rum kommen“ – und merkt sich die Stellen. Er hat so eine Liste
       im Kopf, auf der er alles notiert, was er auf der Fahrt sieht.
       
       Hundehaufen sind scheiße 
       
       Einzelne Bäume kosten Zeit und machen keinen Spaß. Haufen von Bäumen sind
       besser. Haufen auf den Bäumen wiederum sind meistens Scheiße. Von Hunden.
       „Sieht man nicht sofort, wenn man den Baum anpackt“, sagt Jedryczka. Er hat
       einen kleinen Bildschirm im Wagen, da sieht er wenigstens, was die Jungs
       hinten so machen.
       
       Es gibt 900.000 Haushalte in der Stadt, jeder dritte, so schätzt man, hat
       in dieser Jahreszeit einen Weihnachtsbaum loszuwerden. „Macht so 300.000
       Bäume, also etwa 1.500 Tonnen“, rechnet Reinhard Fiedler von der
       Pressestelle der Hamburger Stadtreinigung vor, „das entspricht 180 voll
       beladenen Müllfahrzeugen.“ Die Stadtreinigung ist vom 6. bis zum 25. Januar
       unterwegs: mit sieben Fahrzeugen, die nur sammeln, und zehn weiteren, die
       sammeln und gleich schreddern. Bis 25. Januar nehmen die Hamburger
       Recyclinghöfe alte Weihnachtsbäume gebührenfrei an.
       
       M 0803 sammelt nur und presst die Tannenbäume so zusammen, dass ungefähr
       1.000 in den Wagen passen. In diesem Jahr lagen schon vor Dreikönig die
       ersten Bäume an der Straße. „Bei dem Wetter hatten die Leute keinen Bock
       mehr auf Weihnachten“, sagt Fiedler – und dann fliegt der Baum eben raus.
       
       Die Reise führt nach Tangstedt 
       
       An der Grundschule Neurahlstedt, es ist inzwischen 6.33 Uhr, gibt es einen
       kleinen Tannenbaumberg. Dennis und Sven schnappen sich einen Baum am Wipfel
       und werfen ihn mit einem eleganten Schwung mit dem anderen Ende voran in
       den Wagen. Dann spüren wir, wie der Wagen arbeitet, den Baum
       zusammenpresst. Wo eben noch der kleine Berg war, bleiben nur ein paar
       Nadeln zurück.
       
       Am Ende führt die Reise der Bäume nach Tangstedt vor den Toren der Stadt,
       bei Anke Boisch, Leiterin der Abteilung Ressourcenwirtschaft und Technik im
       Biogas- und Kompostwerk Bützberg. Im BKW bleiben die Bäume liegen, bis die
       Nadeln ab sind, dann werden sie grob geschreddert, dann gelagert, gesiebt
       und fein geschreddert. Dann, nach einem dreiviertel Jahr, werden sie zum
       Holzschnitzel-Heizmaterial für den Fermentierungsprozess: Sie sollen den
       Bakterien, die für die Biogaserzeugung unerlässlich sind, das richtige,
       nämlich mollige Klima liefern. Und ganz am Ende gehen sie, wie die Nadeln
       auch, als Kompost in den Handel.
       
       „Hier werden alle Bioabfälle Hamburgs verwertet“, sagt Frau Boisch, „das
       sind etwa 70.000 Tonnen, aus denen wir im Jahr 2,5 Millionen Kubikmeter Gas
       erzeugen, das sind etwa 25 Millionen Kilowattstunden Energie, damit sind
       10.000 Haushalte mit je zwei Personen versorgt.“ Das im BKW Bützberg
       erzeugte Bio-Rohgas wird gereinigt, zu Biomethan aufbereitet und ins
       Gasnetz eingespeist. Anschließend wird in dezentralen Blockheizkraftwerken
       aus Gas Strom und Wärme. Aus einer Tonne Bioabfall entstehen etwa 450
       Kilowattstunden Energie.
       
       Weihnachtsbäume sind – im Prinzip – Bioabfall. Und doch gehören sie nicht
       in die Tonne. „Es ist nicht schlau, sie klein zu schnippeln und die in die
       Biotonne zu stecken“, erklärt Pressesprecher Fiedler. Noch weniger schlau
       ist es, sie klein geschnippelt oder als Ganzes in einen Plastiksack zu
       stopfen. Morgens in Rahlstedt liegt so ein Weihnachtsbaum im gelben Sack an
       der Straße. „Bleibt liegen“, sagt Jedryczka. „Hol’ ich am Montag ab.“ „Den
       Hoffmannstieg“, sagt er, „haben wir früher einmal in der Woche gereinigt,
       das reichte. Jetzt zweimal.“ In Marienthal „hast du keinen Abfall, nur Äste
       und Laub von den Bäumen“. Ganz anders sei es im Stadtteil Steilshoop: „Die
       Straßen, durch die die Schulkinder gehen, die machst du morgens sauber, und
       wenn die von der Schule kommen, sieht es aus wie vorher, und kannst wieder
       sauber machen.“
       
       Tannenbäume sammeln findet Sven „okay, riecht besser als anderer Müll“. Ist
       das Schnee, was da so glitzert? Nein! Es ist Lametta. „Glaubst du“, fragt
       Dennis, „wir puhlen das ab?“ Nee, glaub’ ich nicht. Dafür ist keine Zeit.
       Der Baum fliegt ins Maul des M 0803.
       
       Früher war Lametta Sondermüll 
       
       Es soll kein Wachs und sonst kein Schmuck am Baum sein und er darf nicht
       länger als 250 Zentimeter sein. „Was stellen sich die Leute für Scheiß in
       die Wohnung?“, brummt Dennis, als er einen Kawenzmann von Baum in den Wagen
       wuchtet, „was ham denn die für Wohnzimmer?“ Und danach noch so einen Oschi.
       
       Eigentlich ist es so, dass die Männer von der Stadtreinigung nur
       abgeschmückte Bäume mitnehmen. Bei ein bisschen Lametta drücken sie ein
       Auge zu. „Gut, dass das nicht mehr in Mode ist“, sagt Fiedler. Nun muss
       eben jemand in Bützberg es von den Bäumen pfriemeln. Früher, das alte
       Lametta war Sondermüll. Dennis ist, wenn schon Baum, für Plastik: „Kannst
       du wieder verwenden, nadeln nicht.“
       
       Es ist kurz vor sieben, uns kommt ein Auto entgegen. „Reicht nicht“, sagt
       Jedryczka, der Fahrer des blauen Kleinwagens versucht es trotzdem. Der
       Platz reicht gerade so. „Wenn wir die Straße blockieren, weil es nicht
       anders geht, sind die meisten Autofahrer genervt“, sagt Jedryczka, „Na ja.
       Kann man auch mal zurück meckern.“
       
       Merkwürdig viele neue Einkaufswagen stehen in Rahlstedt am Straßenrand.
       Jedryczka, Dennis und Sven werden noch bis 14 Uhr weitermachen, gegen 8.30
       Uhr gehen wir einen Kaffee trinken. Im Wagen riecht es wie im
       Fichtennadelschaumbad.
       
       15 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Roger Repplinger
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kreislaufwirtschaftsgesetz
 (DIR) St. Pauli
 (DIR) Weihnachten
       
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