# taz.de -- Symposium zum Film: Ich, der Zuschauer
       
       > Das 18. Internationale Bremer Symposium zum Film beleuchtete den
       > „Zuschauer – zwischen Kino und sozialen Netzwerken“.
       
 (IMG) Bild: Der letzte Produzent eines Films: der Zuschauer
       
       BREMEN taz | Ohne Zuschauer gäbe es keine Filme. Lange Zeit aber war das
       Bild, das man sich von diesem Kinobesucher machte, wenig schmeichelhaft.
       Sein Vorbild war Platos glückloser Höhlenbewohner: Im Kinosessel fixiert
       und mit trügerischen Schattenbildern gefüttert, blieb ihm nichts anderes
       übrig, als bloßen Schein für Wirklichkeit zu halten. Derart wörtlich
       hinters Licht geführt, hielt man ihn letztendlich für unfähig, eigenständig
       zu denken oder zu handeln.
       
       Diese Sicht wurde allmählich korrigiert, als erkannt wurde, welche
       tatsächlich beachtlichen kognitiven Leistungen Zuschauer vollbringen
       müssen, um einen Film zu verstehen. Schon auf der banalsten Ebene der
       filmischen Erzählung, dem Wechsel von Einstellung zu Einstellung, muss
       beispielsweise nachvollzogen werden, in welchem zeitlichen Verhältnis diese
       zueinanderstehen.
       
       Schließlich bedeutet ein Nacheinander auf der Leinwand nicht immer auch ein
       Nacheinander in der Handlung. Ein „Flashback“ kehrt den Zeitpfeil um. Ein
       Wechsel des Schauplatzes von A nach B und wieder zurück nach A kann
       andeuten, dass an verschiedenen Orten mehrere Handlungen parallel
       zueinander ablaufen.
       
       Dass „Zuschauen“ aber auch „Handeln“ bedeuten kann, gerät so richtig erst
       in den Blick mit dem Siegeszug der digitalen Medien. Wer eine DVD einlegt,
       muss sich zwischen Dutzenden von Extras, mehreren Tonspuren und
       möglicherweise verschiedenen Schnittversionen eines Films entscheiden. Auf
       YouTube spielen Fans in selbst gebastelten Kostümen ihre Lieblingsszenen
       aus „Star Wars“ nach. Filmemacher sammeln im Internet Spendengelder für
       ihre nächste Produktion und bieten im Gegenzug Mitspracherechte am Drehbuch
       oder Komparsenrollen an.
       
       ## Über den Zuschauer sprechen
       
       In Bremen untersuchte das 18. Internationale Filmsymposium vergangene Woche
       in Vorträgen und Filmreihen die Vielfalt der Positionen, die Zuschauer
       heute „zwischen Kino und sozialen Netzwerken“ einnehmen können. Die
       Veranstaltung im Programmkino „City 46“ ging dabei von einer einfachen
       Prämisse aus: Über den Zuschauer sprechen heißt, über sich selbst zu
       sprechen.
       
       Der erste Zuschauer eines Films ist der Vorführer. In Morgan Fishers
       „Projection Instructions“ wird der Film zur Partitur, zu einer Abfolge
       konkreter Anweisungen an den Techniker in der Vorführkabine. Fishers Film
       macht produktiv, was sonst als Störung empfunden wird. Unschärfen und
       verzerrter Klang, ja sogar die Unterbrechung der Projektion wird zum
       eigentlichen Inhalt der Vorführung.
       
       Carsten Knoops launige Dokumentation „Der Vorführeffekt“ lässt diese
       „Projektionisten“ selbst zu Wort kommen und gibt ihnen ein Gesicht auf der
       Leinwand. Der Vorführer ist derjenige, dessen Arbeit erst gewürdigt wird,
       wenn niemand nach ihm rufen muss.
       
       ## Kino als Schutzraum
       
       Das weibliche Publikum stand im Mittelpunkt des Vortrages von Heide
       Schlüppmann, die dafür plädierte, keine Film-, sondern eine
       Kinowissenschaft zu betreiben. Den „Aufbruch aus dem Haus ins Kino“ der
       Zuschauerinnen beschrieb Schlüppman als eine Erfahrung, die Furcht mit
       Faszination verbindet: die Dunkelheit des Kinos wurde, nach der Enge des
       Hauses, als ängstigend, aber auch als Schutzraum empfunden.
       
       Eine Szene aus einem Indiana-Jones-Film verlieh dem Vortrag von Janet
       Staiger den Titel: „Nuking the Fridge“. Wenn der legendäre Archäologe mit
       der Peitsche im vierten Teil der Serie zu Beginn der Handlung eine
       Atombombenexplosion mithilfe eines Kühlschranks überlebt, war das offenbar
       selbst eingefleischten Fans der Serie zu realitätsfern. In Internetforen
       wie [1][imdb.com] machten sie ihrem Unmut Luft und unterstellten den
       Machern des Films – George Lucas und Steven Spielberg –, ihnen „ihren“
       Indiana Jones gestohlen zu haben.
       
       Staiger wiederum zitierte Lucas selbst, der sich schon vor
       Produktionsbeginn darüber beklagt hatte, dass die Erwartungen der Fans so
       gewaltig seien, dass es unmöglich sein werde, sie nicht zu enttäuschen. Der
       letzte Produzent eines Films, so oder ähnlich soll Jean-Luc Godard das
       formuliert haben, ist der Zuschauer.
       
       ## Filmverweigerung als höchste Form der Filmrezeption?
       
       Wird die Enttäuschung zu groß, bleibt immerhin die Möglichkeit, aufzustehen
       und den Kinosaal zu verlassen. Der Filmwissenschaftler Matthias Frey
       zeichnete die Geschichte des „unbelehrbaren“ Publikums nach. Der Kinogänger
       als Widerständler gegen den Film? Filmverweigerung als höchste Form der
       Filmrezeption? Tatsächlich, so Frey, gebe es Filme, die geradezu danach
       verlangen.
       
       So kehrt das alte Zuschauermodell gewissermaßen als „Extended Cut“ wieder:
       Auch in Platos Höhle gibt es einen, der seine Fesseln ablegt und sich
       aufmacht, die Schatten hinter sich zu lassen: den Philosophen. Bekanntlich
       hält aber auch dieser weise Mann den blendenden Anblick der Sonne nicht
       allzu lange aus und beschließt, wieder in die Höhle zurückzukehren. Ob er
       am Eingang erneut ein Ticket lösen musste, darüber erfahren wir bei Plato
       leider nichts.
       
       22 Jan 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.imdb.com
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dietmar Kammerer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kino
 (DIR) Film
 (DIR) Soziale Netzwerke
 (DIR) Zuschauer
 (DIR) Symposium
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Veranstalter über kosmopolitisches Kino: „Neue Welterfahrung wird konkret“
       
       „Grenzüberschreitendes Kino“ ist das Thema des Bremer Internationalen
       Symposiums. Organisator Winfried Pauleit über interkulturelle Filme und
       neue Technik.