# taz.de -- Tiroler Fotograf über die Alpine Ski-WM: „Die Herrschaft der Mittelmäßigkeit“
       
       > Fotograf Lois Hechenblaikner über die Verunstaltung der Berge, „alpine
       > Metastasen“ im WM-Ort Schladming und Anfeindungen von seinen Landsleuten.
       
 (IMG) Bild: "Man muss die Kraft haben, diese Kälte zu ertragen": die WM-Piste in Schladming.
       
       taz: Herr Hechenblaikner, Sie schießen … 
       
       Lois Hechenblaikner: Nein, ich schieße nicht. Ich bin kein
       Schnellschuss-Fotograf. Das machen andere. Ich mache gezielt
       [1][Werkserien] mit einer gewissen Tiefengrammatik. Über Jahre.
       
       Gut, aber es geht Ihnen um die Veränderungen und Verheerungen im Alpenraum,
       die von Massentourismus und Ski-Events ausgehen. Dafür fahren Sie zum
       Beispiel regelmäßig nach Kitzbühel zu den Hahnenkamm-Rennen oder jetzt nach
       Schladming, wo man in einem relativ kleinen Ort mit 4.400 Einwohnern 400
       Millionen Euro für die am Montag beginnende alpine Ski-Weltmeisterschaft
       verbaut hat. 
       
       Ja, es geht mir um die Stilblüten, die Auswüchse. In Kitzbühel gibt es beim
       Hahnenkamm-Rennen eine perfekte gastronomische Orchestrierung für die Upper
       Class. Die haben dort ein Catering, wie es besser nicht sein könnte. Aber
       auch der normale Skifahrer wird hier perfekt bedient. Kitzbühel ist ein
       Musterbeispiel dafür, wie alle ideal bewirtschaftet werden, Großbänker,
       Industriebosse und Sponsoren ebenso wie ganz normale Fans. Die Nivellierung
       nach unten ist freilich eine Tragödie. Da kann man vieler Sachen nicht mehr
       Herr werden. So ein Event wie die Ski-WM oder das Rennen auf der Streif
       funktioniert wie ein Ablassventil für die Industriegesellschaft. Die
       breiten Massen finden in dem Großereignis einen Grund zu feiern. Sie
       könnten die Alkoholika ja auch zu Hause kaufen, aber sie trinken sie lieber
       in lärmender Gesellschaft. Als Götzenanbetung und Huldigungsrituale der
       Neuzeit könnte man diese Veranstaltungen bezeichnen.
       
       Können Sie sich nicht trotzdem ein wenig auf die [2][Ski-WM] freuen? 
       
       Das ist für mich keine Frage des Freuens, es geht für mich um das
       analytische Festhalten von gewissen Szenarien. Ich sehe das ja in einem
       ganz anderen Zusammenhang, vor einem ganz anderen Zeithorizont. Ich lasse
       meine Bilder manchmal zehn, zwanzig Jahre liegen wie einen guten Wein. Ich
       arbeite mit Zeitverschiebung. An meiner längsten Werkserie arbeite ich
       jetzt seit 18 Jahren, zum Thema Fans der Volksmusikszene. Wenn Sie das so
       lange liegen lassen, dann reichern sich die Bilder durch die zeitliche
       Distanz an.
       
       In Schladming ist vieles im Zeitraffertempo passiert. Wo andere Regionen
       zehn, zwanzig Jahre für einen touristischen Umbau gebraucht haben, ist die
       Verunstaltung des Städtchens mit einem riesigen Investitionsvolumen viel
       schneller gegangen. 
       
       Ja, aber Schladming war vorher schon keine Perle der [3][Baukunst]. Was in
       Kitzbühel eher ein professionell gewachsener Prozess war, ist in Schladming
       offenbar im Hauruckverfahren passiert. In den nächsten Tagen befindet sich
       immerhin der mediale Hotspot in Schladming. Es findet ja ein großes Buhlen
       um die Medien statt. Eine deutsche Reiseleiterin hat mir einmal etwas sehr
       Treffendes gesagt: Die Tiroler sind Weltmeister im Anlocken von Gästen.
       Also auch von Journalisten.
       
       Da wollen die Steiermärker in Schladming offenbar mithalten. 
       
       Absolut. Es geht um eine Ökonomie der Aufmerksamkeit. Die Fernsehanstalten
       sind heute die Banken einer immateriellen Währung, weil sie Aufmerksamkeit
       verkaufen. Das ist teilweise wichtiger als Kapital. Darum geht es: dass
       sich diese konkurrierenden Wintersportorte für eine gewisse Zeit zum
       Zentrum der Alpen erklären und so im Bewusstsein der Skifahrer hängen
       bleiben. Auf diese Weise wurde in Österreichs Bergen ein unglaublich hoher
       Professionalisierungsgrad erreicht. Sie wissen in Schladming oder Kitzbühel
       ganz genau, wie die Medien ticken, wie man Journalisten auf die Seite zieht
       und wie die Dramaturgie aussehen muss.
       
       Schladming möchte die Nummer eins sein. 
       
       Der Ski-Zirkus ist ein mobiles Industrieunternehmen. Er zieht weiter von
       Ort zu Ort, von Skigebiet zu Skigebiet wie ein modernes,
       großkapitalisiertes Nomadentum. Bewirtschaftet wird dieses Unternehmen auch
       von den Medien, die scharenweise zu den Großveranstaltungen kommen. Da
       hängt auch Schladming seinen Bauchladen heraus und hofft auf die besten
       Geschäfte.
       
       Wie weit darf man in diesem Kampf um Aufmerksamkeit gehen? Schladming hat
       sich einiges geleistet. Die Stadt wurde teilweise zubetoniert, ein großes
       Parkhaus und ein Kongresszentrum errichtet, aber ein Buchladen oder ein
       Kino fehlen in der Stadt. Und trotz einer Armada von Schneekanonen sprechen
       die Veranstalter von Nachhaltigkeit. 
       
       In der Tourismuswirtschaft behält man die kulturelle Dimension viel zu
       wenig im Auge. Wenn genug Geld zur Verfügung steht, treten die
       Bauphallomanisten, so will ich sie mal bezeichnen, auf den Plan. Es gibt ja
       eine ganze Armada von kulturell unterkonditionierten Architekten. Ich wäre
       ohnehin für Massenverhaftungen von Architekten.
       
       Aha. 
       
       Ich habe mich sehr viel mit Architektur beschäftigt. Man müsste sehr viele
       Touristiker zwei Jahre aus ihrem Alltag herausnehmen und einem
       Bildungsprozess zuführen, damit sie sich neu kalibrieren und verstehen: Was
       ist überhaupt Architektur?
       
       Sagen Sie es uns. 
       
       Architektur ist eine Mitverantwortung für die Gestaltung des Lebensraumes
       für weitere Generationen. Es gibt leider zu viele Architekten mit einer
       abgeschlossenen Halbbildung, die in der Pose der provinziellen Nettigkeit
       agieren und dabei die Unwissenheit und Eindimensionalität der Gastronomen
       und Eventmanager bedienen.
       
       Wenn das Ski-Event und der Tourismus oberste Priorität genießen, welchen
       Platz hat dann noch die „Heimat“? 
       
       Sie wird zur Kulisse. Schauen Sie, die Almhütte ist ja die letzte Bastion
       des Bauernstandes in den Alpen, die letzte Bastion des Authentischen. Im
       großstädtischen Milieu gibt es eine unheimlich große Sehnsucht nach dem
       Authentischen und Ursprünglichen. Die Alpen sind ein Stück dieser
       Projektionsfläche. Jeder würde sich wünschen, in den Bergen eine Almhütte
       zu haben als Gegenentwurf zu seinem durchrationalisierten, eingeengten
       Lebensraum in der Stadt.
       
       Die Suche nach Authentizität birgt Gefahren. Man dringt dabei ja in immer
       neue Räume vor, die noch nicht touristisch besiedelt wurden. 
       
       Ja. Der Einfachheit halber hat man die Almhütte ins Dorf heruntergezerrt.
       Das ist eine Verluderung. Letztlich baut man potemkinsche Dörfer.
       Kulissenwände.
       
       Ist diese WM das Schlechteste, was Schladming passieren konnte? 
       
       Ich muss mir erst ein genaueres Bild machen. Ich bin mir aber sicher, dass
       eine Heerschar von Dummheiten passiert ist, dass sich alpine Metastasen
       gebildet haben. Durch die Bausünden nimmt man sich ja selbst die
       idyllischen Perspektiven. Man kannibalisiert sich selbst. Das wird auch
       Schladming irgendwann verstehen.
       
       Sind Sie akkreditiert für das wichtigste Ereignis dieses Jahres in
       Österreich? 
       
       Ich war zu spät dran, und man hat mich nicht mehr genommen. Da gibt es
       einen obersten Pressechef, der einen Blutrausch kriegt, wenn er meinen
       Namen hört. Ich werde aber auch ohne Akkreditierung meine Bilder machen
       können, ich hab meine Sherlock-Holmes-Methoden.
       
       Wie kommen Sie klar mit der Rolle des Nestbeschmutzers, Sie werden ja seit
       Jahren wegen Ihrer entlarvenden Bilder in Österreich angefeindet und
       geschnitten? 
       
       Man muss Kraft haben, diese Kälte zu ertragen, die einen umgibt. Das, was
       man macht, muss auch einer absoluten Hinterfragung standhalten können im
       künstlerischen Sinne. Mit den Jahren habe ich gelernt, mich gegen meine
       Kritiker zu verteidigen. Wenn man so oft angegriffen wird wie ich, fängt
       man ja irgendwann an, sich selbst in Frage zu stellen. Aber ich habe zum
       Glück die Bestätigung von außen bekommen.
       
       Ihre Fotografie provoziert unmittelbar. Sie ziehen mit Ihren Bildern den
       Schleier des Erhabenen und Idyllischen mit einem Rutsch weg. 
       
       Für meine Bilder braucht man kein Studium der Kunsttheorie. Auch ein
       touristisches Einfältigkeitshirn erkennt den Gehalt.
       
       Haben Sie noch Hoffnung auf einen durchdachten Tourismus und durchdachte
       Ski-Events in Österreich? 
       
       Sie ist gering. Wir leiden unter der Herrschaft der Mittelmäßigkeit.
       
       3 Feb 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.hechenblaikner.at/
 (DIR) [2] http://www.schladming2013.at/en/home/
 (DIR) [3] http://www.profil.at/articles/1303/560/350614/landschaftsflegel-schladming-bausuenden
       
       ## AUTOREN
       
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