# taz.de -- EU trainiert somalische Armee: Häuserkampf im Busch
       
       > „Vormachen ist wichtiger als lange erklären“, sagt Andreas Dell. Der
       > Bundeswehroffizier bildet in Uganda somalische Rekruten aus.
       
 (IMG) Bild: Somalische Rekruten in Bihanga.
       
       BIHANGA taz | Der Geländewagen von Oberstleutnant Nikolas Kleffel holpert
       durch tiefe Löcher einer ungeteerten Straße. Über vier Stunden ist der
       Bundeswehroffizier von Ugandas Hauptstadt Kampala zum Militärtrainingslager
       Bihanga unterwegs, um seine Kameraden zu besuchen. Die Räder graben sich
       durch tiefe Pfützen.
       
       Plötzlich springen bewaffnete Soldaten in Uniform aus dem Gebüsch. „Stop!“,
       rufen sie und zielen mit einer Kalaschnikow auf das Auto. Der Wagen macht
       eine Vollbremsung, Oberstleutnant Kleffel wendet sich an seinen ugandischen
       Fahrer. „Das ist Teil der Übung“, sagt er und kramt seinen Militärausweis
       hervor.
       
       Die Soldaten sind keine Ugander, es sind junge, schlanke und großgewachsene
       Männer aus Somalia. Sie kommen näher, prüfen den Ausweis. Der Funker fragt
       in einer unverständlichen Sprache per Walkie-Talkie nach Anweisungen. Als
       diese eintreffen, winkt er KleffelsWagen durch die Straßensperre. Der
       Bundeswehroffizier guckt zufrieden und sagt: „Wir trainieren derzeit, wie
       man Straßenblockaden und Checkpoints errichtet.“ Dann biegt der
       Geländewagen in das Trainingslager ein.
       
       Bihanga ist ein weitläufiges Gelände zwischen grünen saftigen Hügeln, wo
       Kühe grasen, mitten im Herzen Ugandas. In Reih und Glied stehen große
       Baracken für die auszubildenden ugandischen und somalischen Rekruten,
       daneben Verwaltungs- und Lehrgebäude. Dahinter liegen Dutzende runde
       Lehmhütten mit Strohdächern, vor denen Frauen auf Holzkohleöfen Reis und
       Bohnen kochen und die Kinder der stationierten Offiziere herumtollen.
       
       Auf der Spitze des Hügels recken sich auf dem großen Paradeplatz die
       Fahnenmasten gen Himmel. Am Tag der deutschen Einheit sollen hier Somalier
       und Ugander zu wilden Rhythmen getanzt haben. Nikolas Kleffel zeigt auf
       einige neue Gebäude mit blauem Wellblechdach: „Dort sind die europäischen
       Ausbilder untergebracht.“
       
       ## Training als Modell für Mali
       
       Seit über zwei Jahren trainieren europäische Offiziere in Ugandas
       Militärtrainingslager Bihanga somalische Soldaten. Das langfristige Ziel:
       Somalias marode Armee für die Verteidigung ihres vom Bürgerkrieg
       zerschundenen Landes fit zu machen. Über tausend somalische Rekruten
       durchlaufen jährlich das Trainingscamp.
       
       Dass das Training in Uganda stattfindet, ergibt Sinn. Uganda stellt neben
       Burundi den Großteil der Friedenstruppen in Somalia. Nach über 20 Jahren
       Bürgerkrieg hatte die Al-Shaabab-Miliz, die unter anderem vom
       Terrornetzwerk al-Qaida unterstützt wird, das Land besetzt. Die
       Afrikanische Union beschloss deshalb 2007, eine 17.000 Mann starke
       Friedensmission nach Somalia zu entsenden, finanziert von der EU, der UNO
       und den USA. Im Jahr 2012 ist es ihr gelungen, die Hauptstadt zu befreien
       und die al-Shaabab in andere Landesteile zurückzudrängen.
       
       Doch langfristig benötigt Somalia eine Armee, die ihr Land selbst
       verteidigen kann. Sie muss, ähnlich wie in Mali und Afghanistan, von Grund
       auf aufgebaut werden. Das Training in Uganda gilt als Modell für weitere
       Ausbildungsprogramme, auch für Mali. Da Somalia bislang nicht sicher genug
       war, um ein solches Trainingsprogramm durchzuführen, hatte die EU
       entschieden, das Training in Uganda stattfinden zu lassen, immerhin wissen
       die Ugander am besten, welche Fähigkeiten die Rekruten im Kampf gegen die
       Islamisten brauchen. Diese Fähigkeiten sollen die Europäer vermitteln.
       
       Mittlerweile haben sich die europäischen Ausbilder in Ugandas Hinterland
       eingerichtet: Die provisorischen Zelte sind gemauerten Gebäuden mit
       Klimaanlage gewichen. In den Waschräumen gibt es Duschen mit warmem Wasser.
       In der Kantine übertragen große Flachbildschirme die Weltnachrichten. Es
       gibt Kartoffelsalat, Nudeln mit Tomatensoße und geriebenem Käse, zum
       Nachtisch Vanillekuchen mit Schokocreme. Irgendwie scheint Bihanga ganz
       weit weg von der somalischen Realität – zur Freude der Europäer: „Die
       Unterbringung hier ist das Beste, was man sich auf einer solchen Mission
       vorstellen kann“, sagt Kleffel und begrüßt seine deutschen Kameraden per
       Handschlag.
       
       Hauptmann Andreas Dell ist der stellvertretene Ausbildungsleiter der
       Mission. Der große Luftwaffenoffizier mit Brille und Bart guckt freundlich
       unter einem Safarihut hervor und schreitet mit langen Schritten auf den
       Konferenzsaal zu. Klimaanlage und Projektor surren, während Dell sich durch
       seine Power-Point-Präsentation klickt und im militärischen Stakkato die
       Mission erklärt: „Die Ugander trainieren die somalischen
       Mannschaftsdienstgrade, die Europäer die somalischen Offiziere, und am Ende
       führen wir sie dann zusammen.“ Und wie funktioniert das? Dell nickt, es ist
       nicht seine erste Mission in Afrika. „Vormachen ist wichtiger als lange
       Erklärungen und Briefings“, sagt er und steht auf, um das Training zu
       begutachten.
       
       ## Mit Maschinengewehr im Anschlag
       
       Auf einem Hügel gegenüber haben sich knapp ein Dutzend somalische Soldaten
       im Gebüsch versteckt, die Maschinengewehre im Anschlag. Ein Seil ist
       zwischen zwei Baumstämmen eines schmalen Pfades gespannt. Als sich ein
       Fahrzeug nähert, tritt ein Rekrut aus dem Busch hervor und schreit: „Stop!“
       In gebrochenem Englisch und mit Gesten macht er den Passagieren klar, dass
       sie aussteigen sollen. Mit vorgehaltener Waffe werden die drei Männer in
       Zivil untersucht. Unter ihnen ist auch ein Ausbilder der Bundeswehr, der im
       Rollenspiel einen Terroristen mimt. Der Bundeswehrsoldat stänkert
       lautstark, will sich nicht in die Taschen greifen lassen. Er lächelt
       verschmitzt, als der somalische Rekrut die Waffe auf ihn richtet.
       
       „Das machen die Jungs schon ganz gut“, kommentiert Dell zufrieden, „wenn
       man bedenkt, wie das vor vier Monaten abgelaufen ist.“ Doch noch haben die
       Somalier den Test nicht bestanden. In dem Wagen ist eine Bombenattrappe
       versteckt. Die Soldaten durchsuchen das Auto, lösen die Türverkleidung,
       räumen Kisten im Kofferraum beiseite. Sie stoßen auf verdächtige Kabel.
       „Go, go, go!“, brüllt der Zugführer, die Soldaten gehen auf
       Sicherheitsabstand.
       
       Mohammed Bareij stehen die Schweißperlen auf der Stirn. Der junge Somalier
       schwitzt vor Aufregung, aber er lächelt und findet: „Das Training macht
       großen Spaß.“ Der 23-Jährige ist als Halbwaise auf den Straßen von
       Mogadischu aufgewachsen, nachdem sein Vater – auch Soldat – im Krieg
       gefallen und seine Mutter mit den Geschwistern nach Kenia geflohen war. „Es
       gibt keine Jobs in Mogadischu. Ich bin sehr glücklich, Soldat zu sein“,
       sagt er weiter in gebrochenem Englisch. „Ich will mein Vaterland von der
       al-Qaida befreien.“
       
       Bei Sonnenuntergang marschieren die somalischen Rekruten im Gleichschritt
       auf dem Paradeplatz ein. Ein schwedischer Ausbilder hält eine Ansprache,
       auf Englisch: „Soldaten, ihr habt heute wirklich sehr gute Arbeit
       geleistet“, brüllt er. Ein Übersetzer wiederholt den Satz auf Somali. „Ja,
       Sir“, antworten die Rekruten im Einklang, auch Bareij steht kerzengerade in
       Reih und Glied, immer noch Schweißperlen auf der Stirn. Auf Befehl
       marschiert die Truppe ab.
       
       Funktioniert alles immer so reibungslos? „Wir hatten Fälle“, gesteht
       Hauptmann Dell später, „da wollte ein einfacher Soldat keine Befehle von
       seinem Offizier entgegennehmen, weil dieser in der Clanhierarchie unter ihm
       stand.“ Doch die Integration innerhalb der Somalier entwickele sich, „das
       kann ich mit Sicherheit sagen“. Dann sagt er noch: „Klar, wir haben als
       Ausbilder auch eine Vorbildfunktion.“
       
       ## Mit Rotwein und Bier
       
       Denn auch im europäischen Ausbildungslager müssen die Offiziere aus zwölf
       Nationen sich erst mal zusammenraufen. Die offizielle Kommunikationssprache
       ist Englisch, trotzdem hört man in der Kantine ein internationales
       Sprachengemisch. Mit Rotwein stoßen die Franzosen zum Abendessen auf den
       Geburtstag eines Kameraden an. Ein Foto vom Brandenburger Tor markiert den
       Deutschentisch, an dem vornehmlich Bier getrunken wird.
       
       Oberstleutnant Kleffel erzählt von der lauten Musik, dem Gestank und all
       den Abgasen in Ugandas Hauptstadt. In der Abgeschiedenheit Bihangas, wo man
       nur Frösche quaken und Grillen zirpen hört, klingen Kleffels Anekdoten wie
       von einem anderen Planeten.
       
       Und auch die Wirklichkeit Somalias scheint sehr weit weg – zumindest die
       meiste Zeit. Am nächsten Vormittag hallen Schüsse über die Hügel. Hauptmann
       Dell steht auf einem Häuserdach und hält Ausschau nach den Angreifern.
       Oberstleutnant Kleffel steht neben ihm. Ein schachbrettartiger Straßenzug
       von rund ein Dutzend Gemäuern simuliert jenseits des Paradeplatzes eine
       Stadt. „Freiheitsstraße“ steht auf einem Straßenschild auf Portugiesisch.
       Portugiesische Offiziere, die hier den Somaliern die Hinterhältigkeit des
       Häuserkampfes vor Augen führen wollen, haben die Hauptstraße von Lissabon
       inszeniert. In nur wenigen Minuten haben die Rekruten die Straßenzüge
       erobert.
       
       „Du bist tot, leg dich hin“, brüllt ein portugiesischer Offizier einen
       Somalier an, der sich noch immer mit seiner Waffe an die Häuserwand drückt.
       Dieser fasst sich theatralisch an die Brust und lässt sich in den Staub
       fallen. Oberst Mohammed Hassan schmunzelt entzückt. Der alte Mann mit dem
       grauen Schnurrbart ist der ranghöchste somalische Offizier hier, er diente
       bereits vor dem Bürgerkrieg in Somalias Armee.
       
       Bald ist er auch wieder Oberst einer Armee, die man als solche bezeichnen
       kann: „Dann kann ich mit meinen eigenen Einheiten in Somalia Operationen
       durchführen, und wir brauchen die Ugander nicht mehr“, sagt er stolz. Jetzt
       sei das Land befreit. „Bald können wir die Ausbildung auch in Somalia
       durchführen“, sagt Hassan und nickt zur Bestärkung glücklich.
       
       Seine europäischen Kollegen freuen sich weniger darauf. Statt mit
       Malariamücken hätten sie in Mogadischu mit viel gravierenderen
       Sicherheitsproblemen zu kämpfen.
       
       6 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schlindwein
       
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