# taz.de -- Die Wahrheit: Asozialer Wohnen
       
       > Im Kampf gegen die Gentrifizierung gibt es einen neuen Trend auf dem
       > Immobiliensektor: Verelendung statt Veredelung.
       
 (IMG) Bild: Noch schöner als im Katalog: Das Wohnzimmer der neuen Traumwohnung.
       
       „Riechen Sie das?“ Immobilienmakler Rudi Lorenz lächelt dem elegant
       gekleideten Pärchen in den Vierzigern aufmunternd zu. Während die Frau
       zögert, nimmt ihr Begleiter mutig einen tiefen Luftzug durch die Nase. „Ahh
       – das ist dieser typische Duft?“ – „Altes Urin!“, ruft Lorenz begeistert
       und zeigt auf eine kleine Lache neben den Briefkästen im Flur des
       heruntergekommenen Plattenbaus in Berlin-Marzahn.
       
       „Toll!“, schaltet sich nun auch die Frau in das Gespräch ein, „So
       authentisch!“ Sie bewegt einen ihrer Stöckelschuhe mutig auf die Pfütze zu,
       doch entscheidet sich im letzten Moment anders. „Sie haben Glück – erst
       letzte Woche hat der Vermieter den Hausmeister gefeuert. Hat wohl im Haus
       geklaut. So schnell macht das also keiner weg!“, sagt Lorenz. „Perfekt.
       Senkt ja auch die Kosten“, freut sich der Mann.
       
       Rudi Lorenz, 52, eigentlich gelernter Staubeobachter, makelt seit zwei
       Wochen Immobilien in Berliner Brennpunkten. Obwohl der Berufszweig längst
       so überlaufen ist, dass bei Wohnungsbesichtigungen mehr Makler als
       potenzielle Mieter herumstehen, hat Lorenz eine lukrative Nische gefunden.
       Er sagt, sein Beruf sei Berufung.
       
       „Letztlich kämpfe ich gegen Gentrifizierung. Sie wissen schon: Künstler und
       Studenten mieten günstige Wohnungen in Problembezirken. Die entstehenden
       Szeneviertel locken wiederum Menschen mit Geld. Investoren kommen,
       Wohnungen werden saniert, Mieten steigen und Menschen mit geringem
       Einkommen werden verdrängt. Ich aber harmonisiere beide Welten miteinander!
       Ich sorge für ein fröhliches Miteinander der sozialen Schichten!“ Lorenz
       hatte, wie er schildert, während einer seiner Staubeobachtungen einen
       Erweckungsmoment. „Ich stand auf meiner Lieblingsautobahnbrücke, sah den
       Brummis zu und auf einmal wurde mir ganz schwindlig. Wohl wegen der Abgase.
       Und da dachte ich plötzlich: Was, wenn man die Wohnungen gar nicht
       saniert?“
       
       Seitdem vermietet Lorenz heruntergekommene Wohnungen in sozial schwieriger
       Lage an erlebnishungrige Mieter mit hohem Einkommen. Er sei selbst über den
       großen Erfolg überrascht, aber seine Kunden hätten einfach keine Lust mehr,
       abgeschirmt in ihren Luxus-Apartments mit 24-Stunden-Sicherheitsdienst zu
       wohnen und sich nach Feierabend zu Tode zu langweilen. Mit seinem
       Firmenmotto „Verelendung statt Veredelung“ habe er den Zeitgeist
       wohlhabender Klienten perfekt getroffen, sagt Lorenz.
       
       Das Pärchen wird vom Makler zur freien Wohnung im ersten Stock geführt. Vor
       der Haustür türmt sich ein großer Müllhaufen, dessen Ausläufer bis zur
       Nachbarswohnung reichen. „Ach, die Brunners! Die haben wohl drinnen keinen
       Platz mehr“, erläutert Lorenz selbstverständlich. „Und das ist üblich
       hier?“, fragt die Frau vorsichtig und erntet einen mahnenden Blick ihres
       Mannes.
       
       „Das Gute ist, die Brunners sind Messies! Wenn Ihnen mal etwas im Haushalt
       fehlt – einfach klingeln, die haben alles!“, sagt Lorenz freudestrahlend.
       Wie es in der Umgebung mit Supermärkten aussähe, will der Mann wissen.
       Lorenz erklärt stolz, dass vom Ein-Euro-Markt bis zum Discounter alles
       fußläufig erreichbar sei. „Und falls Sie mal gern einen durchziehen. Die
       Kids aus dem dritten Stock dealen mit so ziemlich allem, was der
       Schwarzmarkt hergibt!“
       
       Lorenz öffnet die ramponierte Tür der Dreizimmerwohnung. „Sie brauchen
       nicht einmal einen Schlüssel. Nach dem letzten Einbruch hat der Vermieter
       das Schloss nicht ausgewechselt.“ Die Frau schaut ihren Mann begeistert an.
       „Das ist doch etwas für dich, Schatz. So oft, wie du den Schlüssel
       vergisst!“
       
       Aus der Wohnung strömt ein intensiver modriger Geruch. „Schimmel?“, fragt
       die Frau und zeigt auf einen großen schwarzen Fleck im Hausflur. „Da können
       Sie einen drauf lassen!“ – „Der ist hoffentlich gesundheitsgefährdend?“ –
       „Ohne Schutzmaske würde ich hier nicht schlafen!“ – „Wie aufregend!“
       
       Der Makler spürt, die Wohnung ist so gut wie vermietet. „Uns ist
       Authentizität enorm wichtig“, erklärt der Mann und legt einen Arm um die
       Schultern seiner Frau. „Sonst können wir gleich in Kreuzberg bleiben.“
       
       Die Unterschrift scheint perfekt. Doch plötzlich fällt dem Mann etwas
       Wichtiges ein. „Das hätte ich beinahe vergessen! Wir haben einen
       sechsjährigen Sohn und sind beide berufstätig – wie sieht es denn hier mit
       den Betreuungsangeboten aus?“ Aber Lorenz ist ein Vollprofi. Selbst in
       kniffligen Situationen bewahrt er die Ruhe. „Gar kein Problem! Ihr Sohn
       kann sich ganz bequem einer der vielen Jugendgangs in der Wohnsiedlung
       anschließen!“
       
       Der Mietvertrag wird noch in der Wohnung unterzeichnet. Rudi Lorenz, ein
       ruheloser Kämpfer gegen Gentrifizierung, hat erneut zwei Mietern zu ihrer
       Traumwohnung verholfen.
       
       15 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nico Rau
       
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