# taz.de -- Die Wahrheit: Die Haie der Queen
       
       > Neuseelandwocher der Wahrheit: Auswandern zu den Hobbits.
       
 (IMG) Bild: Vorsicht, Kiwi-Alarm! Überfahren Sie bloß nicht den Nationalvogel.
       
       Es muss kurz nach dem Abitur gewesen sein. Die Schule hatte mir gerade eine
       wichtige Lektion für das Leben erteilt: Mir war der kapitalistische
       Leistungsgedanke unser Gesellschaft fremd.
       
       Statt wie meine Schulkameraden den goldenen Weg der beruflichen Karriere
       einzuschlagen – Bundeswehr, BWL-Studium, Trainee, Abteilungsleiter,
       Vorstandschef, Burn-out, Aufsichtsrat –, hatte ich einen anderen Plan
       gefasst: auszuwandern. Und zwar weit weg. In ein Land, das sich noch nicht
       in den Klauen des Raubtierkapitalismus befand.
       
       „Möglichst weit weg“ ließ streng genommen nur zwei Optionen zu: Australien
       oder Neuseeland. Andere Länder standen wegen mangelnder Sprachkenntnisse
       nicht zur Debatte. Zumindest nicht zu einer, die ich verstanden hätte. Nach
       kurzer Überlegung schied Australien aus. Ein Land, dass einzig aus sechs
       Küstenstädten bestand, in die ganzjährig Horden verwahrloster Backpacker
       aus aller Welt einfielen, erschien mir nicht dem Grundgedanken der
       gesuchten vollkommenen Ruhe zu entsprechen.
       
       Also Neuseeland. Glücklicherweise konnte ich aus einem profunden
       Wissensschatz schöpfen, da ich mal einen Film gesehen hatte, der dort
       spielte. Die Wirtschaft fußte in diesem erstaunlich südöstlich gelegenen
       Inselstaat allein auf der Landwirtschaft. Hatten sie auch nicht viel in
       Neuseeland, so zumindest grüne Hänge, saftige Wiesen, knackige Täler und
       nahrhafte Berge. Meines Wissens bauten dort Hobbits, wie die Neuseeländer
       ihre Bauern liebevoll nannten, hauptsächlich zwei landwirtschaftliche
       Produkte an: Schafe und Kiwis.
       
       Beides schien meinem Bedürfnis einer extensiven beruflichen Tätigkeit zu
       entsprechen. Schafe oder Kiwis. Bei genauerer Betrachtung zwei nicht so
       unterschiedliche Produkte, schließlich waren beide von Natur aus mit
       weichem Flaum versehen.
       
       Beide Optionen würden es außerdem erlauben, den lieben, langen Tag in
       weiter Landschaft auf einem Stein zu sitzen und angerührt dabei zuzusehen,
       wie sich die Früchte der eigenen Arbeit ganz von alleine mehrten. Ich war
       unschlüssig und kontaktierte meinen besten Kumpel Jens, der in solchen
       Sachen immer Rat wusste.
       
       Mit gepacktem Rucksack und gebuchtem One-Way-Ticket traf ich mich mit ihm
       bei einem großen Pint Bitter – schließlich war die Queen noch immer
       Staatsoberhaupt der Neuseeländer. „Hast du an die Haie gedacht?“, fragte
       mich Jens. „Haie? Wieso?“ – „Na, wegen der Schafe.“ – „Schafe gehen nicht
       schwimmen, ihr Fell würde sich vollsaugen“, wand ich ein.
       
       Jens erklärte mir, dass, weil Neuseeland so unsagbar grün sei, die Schafe
       meist bis an den Strand saftigen Weidegrund fänden. Findige Haie, von denen
       es in Ozeanien nur so wimmelte, würden daher immer wieder vereinzelte
       Schafe durch spektakuläre Bauchplatscher auf dem Strand zermalmen. Aus rein
       sadistischer Freude. Ökonomisch sei das unbedingt einzurechnen.
       
       Ich war mir nicht sicher, ob Jens das Bitter vertrug. Ich war mir überhaupt
       nicht sicher, ob es irgendwer vertrug. Doch Jens war eine Instanz in
       kritischen Fragen. Deshalb entschied ich mich vorsichtshalber für die
       Kiwis. Die büxten auch nicht ständig aus. Allerdings hatte ich kaum eine
       Vorstellung davon, wie Kiwis artgerecht aufgezogen werden mussten.
       
       „Du musst aber als allererstes Mitglied in einem Sportclub werden“,
       erklärte Jens weiter. „Warum das jetzt?“ – „Du brauchst Beziehungen. Leute
       mit Erfahrung im Kiwi-Business. Das geht nur über Sportvereine. Alle
       Neuseeländer sind im Sportverein.“
       
       Ich könnte wieder wählen: Die Neuseeländer spielten Rugby oder Kricket.
       Rugby sei äußerst schmerzhaft, Kricket für Normalsterbliche kaum zu
       verstehen. Ich wählte aus Selbstschutz Kricket. Außerdem hatte ich von
       Teepausen und tagelangen Spielunterbrechungen gehört.
       
       „Bleibt noch die letzte Hürde, die du zu nehmen hast“, raunte Jens,
       mittlerweile mit schwerer Zunge. Ich wartete gespannt wie auf eine
       Prophezeiung. „Du musst Elizabeth anrufen!“ Ich runzelte verständnislos die
       Stirn. „Nur die Queen kann Land verpachten. Ohne ihren Otto bekommst du
       keinen Quadratmeter Wiese dort drüben.“
       
       Ich hätte aber erneut die Wahl: entweder einen Anruf bei der Queen oder –
       und Jens trübe Augen begannen zu leuchten – erst einmal als Pflücker auf
       einer Plantage anzufangen, dann die Tochter des Besitzers zu ehelichen und
       später dann die Erbfolge anzutreten.
       
       Ich hatte langsam die Schnauze voll von den ganzen Entscheidungen und ging
       erst einmal auf Toilette. Die Idee auszuwandern, stellte sich viel
       komplizierter dar, als ich gedacht hatte. Und dann noch dieses schreckliche
       Bier. Als ich zurückkam, war Jens samt meinem Rucksack und meinem
       Flugtickets verschwunden. Er hatte eine Nachricht auf meinem Bierdeckel
       hinterlassen: „Sorry, muss unbedingt diese Tochter kennenlernen. Zahl alles
       zurück, wenn ich Kiwi-Millionär bin. Komm mich besuchen!“ Jens war einfach
       viel pragmatischer als ich.
       
       12 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nico Rau
       
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