# taz.de -- Die Wahrheit: Güldene Weisheiten
       
       > Satire ist wie Gold: Zierrat, Luxus, Verschwendung. Wer aber reich sein
       > will, muss verschwenden.
       
 (IMG) Bild: Wenn man ihr zeigt, dass man sie mag, wird die Göttin des Wohlstands einen auch liebend gern besuchen.
       
       Religion ist etwas für die Armen, Dummen und Schwachen. Schon deshalb
       könnte ich nie religiös sein. Allerdings habe auch ich eine Schwäche. Ich
       bin ein Anhänger von Lakshmi, der indischen Göttin des Wohlstands, deren
       oberstes Gebot mir sehr einleuchtet: Man muss Lakshmi zeigen, das man sie
       mag, dann besucht sie einen auch.
       
       Dabei bedeutet mir Geld gar nichts. Ich verwandle es dauernd in
       Grundnahrungsmittel oder Getränke - und neuerdings in Gold. Denn Gold ist
       das, was die Satire für die Literatur ist: Zierrat, Luxus, Verschwendung.
       Es wird schon genug Blech gestanzt in der Welt der Worte, da darf man sich
       dies güldene Vergnügen im wahren Leben ruhig gönnen. Ein asketischer
       Satiriker wäre wie ein Goldschatz, der in Plastiktüten aufbewahrt wird.
       
       Das heißt beileibe nicht, dass man seine Stoßrichtung verliert: Immer auf
       der Seite der Schwachen, gegen die Mächtigen! Veröffentlicht man dann aber
       eine Satire über Armut, erhält man unweigerlich einen empörten Brief eines
       Lesers, der die ironische Ausrichtung des Textes verkennt und vehement
       Askese einfordert: "Lebt Ihr doch mal von Hartz IV! Dann wüsstet Ihr, wie
       Ihr darüber schreiben müsstet!"
       
       Wird ein Arzt ein besserer Diagnostiker, wenn er krank ist? Kann ein
       Polizist einen Mord schneller aufklären, wenn er selbst ein Verbrechen
       begeht? Man stelle sich einen Chirurgen vor, der während der Operation
       Tränen des Mitgefühls über den Zustand seines Patienten vergießt. Wäre es
       da nicht sehr viel besser, er würde die Lage distanziert analysieren und
       überlegt handeln?
       
       Mitleid ist die schlechteste Medizin. Es trübt den Blick und vernebelt die
       Sinne. Mitleid ist eine Erfindung der Christen, die erst eine ungerechte
       Welt schaffen und sie dann voller Mitgefühl kurieren wollen, nur um ihre
       eigene Existenz rechtfertigen zu können. Dabei muss man sich lediglich die
       miserablen Bedingungen in christlichen Betrieben ansehen, unter denen die
       Mitarbeiter ächzen. Den Kirchen wäre es am liebsten, ihre Leibeigenen
       würden das ganze Jahr über fasten, schließlich ist das Fasten auch wieder
       so eine religiöse Spezialdisziplin.
       
       Fasten als Reinigungsprozess - was für ein armseliger Stumpfsinn! Statt das
       Leben, die Jugend und alles, was wertvoll ist, zu feiern, indem man es
       verschwendet, um wahrhaft etwas davon zu haben in unserem kurzzeitigen
       Diesseits, soll man sich beschränken und seine Kräfte fürs Jenseits
       aufbewahren. Neuerdings werben christliche Organisationen sogar auf
       Plakattafeln mit dem schwer bemühten Stabreimbefehl "Verschwenden
       beenden!". Im Verbieten waren Christen immer schon gut.
       
       Verschwendung ist der Beginn aller Kultur. Hätte es in der Steinzeithöhle
       schon Schnäppchenjäger und Pfennigfuchser gegeben, dann würden wir heute
       noch Rinden von den Bäumen kauen. Erst mit der Verschwendung beginnt das
       Abenteuer Zivilisation. Und ganz sicher nicht mit puritanisch-pietistischen
       Organisationen wie dem Bund der Steuerzahler, dessen Präsident gern das ach
       so furchtbare Verprassen von Steuergeldern anprangert, wenn wieder
       irgendeine Autobahnbrücke für ein Vermögen ins Nichts gebaut wurde. In
       seinem bitteren Geiz übersieht der graue Knauser, welch große Kraft in der
       Leistung liegt, vollkommen unnütze und überflüssige Dinge in die Welt zu
       bringen. Dass sich die Gesellschaft eine solch fantastische Verschwendung
       überhaupt leisten kann und dennoch hervorragend funktioniert, ist ein
       geradezu sagenhafter Beweis ihrer Fähigkeiten und ihres Reichtums.
       
       Zur Verschwendung gehört jedoch Wohlstand, und den erreicht man nur, indem
       man Armut beseitigt. Armut beseitigt man nur durch Großzügigkeit. Um
       großzügig zu sein, muss man reich sein. Um aber reich zu werden, muss man
       sparen. Sparen kann man wiederum nur, wenn man es sich leisten kann. Man
       kann es sich nur leisten, wenn man reich ist …
       
       Wie sich dieser Widerspruch auflösen lässt, fragen Sie bitte Frau Lakshmi.
       Oder wollen Sie etwa in einem Wirtschaftssystem leben, das von einem
       Satiriker entwickelt wurde? Allerdings hätte man dann wenigstens mehr zu
       lachen.
       
       23 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Ringel
       
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