# taz.de -- Letztes Wochenende im Postfuhramt: Das Haus der Möglichkeiten
       
       > Wo einst die Post ihre Pferde unterbrachte, entstand Mitte der 90er ein
       > Freiraum für Kreative. Doch mit der Fotogalerie C/O Berlin muss nun der
       > letzte dieser Nutzer raus.
       
 (IMG) Bild: Lange Schlangen gab es schon am letzten Wochenende vor dem Postfuhramt in Berlin-Mitte
       
       Ein wenig wehmütig wird Mirko Nowak schon, wenn er hinunter in den Hof des
       Postfuhramts schaut. Bis zu 4.000 Leute trafen sich hier, wenn C/O zur
       Ausstellungseröffnung rief. C/O Berlin, das war eben nicht nur das
       Fotozentrum mit internationalen Stars und renommierten Ausstellungen. Es
       war zugleich der Treffpunkt einer Szene, für die Berlin in aller Welt
       beneidet wird. Künstler, Möchtegernkünstler, Lebenskünstler und auf jeden
       Fall Leute, die man als „Kreative“ bezeichnet. Genau solche Leute haben im
       Jahr 2000 C/O gegründet: ein Fotograf, ein Grafikdesigner und ein
       Architekt. Im Postfuhramt an der Oranienburger Straße. Das Gebäude wurde
       fester Bestandteil der Marke C/O.
       
       „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Mirko Nowak nun, und meint das
       alte Backsteingebäude. Nowak ist seit 2002 PR-Berater und Pressesprecher
       von C/O Berlin. Man habe sich gegenseitig befruchtet. C/O sorgte für die
       Belebung der ziemlich abgewrackten Immobilie. Das geschichtsträchtige
       Gebäude wiederum verlieh der Unternehmung das Image eines authentischen
       Künstlertums. Das Postfuhramt war eben kein cleanes Museum, sondern
       bewahrte sich stets eine Mischung von Improvisation, Street Credibility und
       Entrepreneurship.
       
       Ab 2006 war C/O der Hauptmieter im Postfuhramt. Aber es gab auch andere.
       Der Cookies-Club oder das Department, wo Gastronomie und Tanz ineinander
       übergingen, sorgten dafür, dass es auch nachts belebt war. Das Haus mit
       seinem brüchigen Charme aus Kaiserzeit und DDR-Mief spielte immer mit bei
       allem, was in ihm passierte. Denn innen blieb es so, wie es die Post Mitte
       der 1995 verlassen hatte.
       
       Das Postfuhramt war eine Zeitkapsel. Zwar verschwand die Büromöblierung,
       aber bis zuletzt konnte man die DDR noch riechen. Die abgewetzten
       Linoleumböden verströmten noch immer den Geruch von Wofasept, dem
       Allzweckdesinfektionsmittel aus dem Chemiekombinat Wolfen. Auch die
       gemusterten Tapeten der Amtsstuben hingen noch, und die ostigen
       Pastellfarben prangten an den Wänden. C/O hatte einfach nur Stellwände
       davor postiert. Die historische Substanz blieb unberührt.
       
       Fertiggestellt wurde das Postfuhramt 1881 vom Architekten Carl Schwatlo.
       Vorrangiges Ziel war es, Ställe für 250 Pferde zu schaffen. Die Rosse
       wurden gebraucht, um den nach der Reichsgründung stark gewachsenen
       Postverkehr zu bewältigen. Tatsächlich waren die Ställe als Erstes fertig,
       um Epidemien unter den Tieren einzudämmen, wie sie vorher bei den älteren,
       an gleicher Stelle befindlichen Ställen auftraten. Schon im 18. Jahrhundert
       existierten hier auch Unterkünfte für die Postillione. Die zweigeschossigen
       Stallgebäude aus dem 19. Jahrhundert existieren heute nicht mehr. Sie
       wurden Mitte der 20er Jahre durch Garagen ersetzt, als man auf
       Automobilität umstellte.
       
       Die heute noch erhaltenen, repräsentativen Straßenfronten beherbergten
       ursprünglich ein multifunktionales Gebäude mit Büros, einem Postamt,
       Dienstwohnungen, Gesellschaftsräume, einem Telegrafen-Ingenieur-Büro und
       einer Post- und Telegrafenschule. Deren Hörsaal mit der neun Meter hohen
       Decke zur Tucholskystraße blieb erhalten, mutierte aber zu DDR-Zeiten zur
       Sporthalle und fungierte bei C/O als Ausstellungsraum.
       
       Vom kürzeren Flügel des Hauses zur Oranienstraße hin waren im letzten Krieg
       nur die Mauern übrig geblieben. Zu DDR-Zeiten gab es Überlegungen, das
       Gebäude abzureißen. Man entschied sich aber dann doch für Wiederaufbau und
       Renovierung. Die ehemalige Schalterhalle auf der Ecke unter der Kuppel
       behielt allerdings ihre Zwischendecke. Man hatte sie schon in den 30er
       Jahren eingebaut, um störende Zugluft zu verhindern. Sie wird erst dieser
       Tage wieder entfernt.
       
       Nach Pressemeldungen will der neue Besitzer, die Medizintechnikfirma
       Biotronik mit Sitz in Neukölln, hier nun ihre Repräsentanz einrichten.
       Biotronik selbst verweigert jegliche Auskünfte. Zum 15. März muss C/O das
       Postfuhramt besenrein übergeben. Der Ausstellungsbetrieb läuft noch bis
       Freitag, den 8. März. Am Sonnabend steigt die für alle offene
       Abschiedsparty mit zwei Dancefloors, drei Bars und vielen Screenings.
       
       Das „große Finale“ ist zugleich Abgesang auf eine Epoche. Es war die Zeit
       des Aufbruchs nach der Wende, wo man sich in Mitte neu erfinden konnte.
       Hier waren Karrieren möglich, wie die von Judy Lybke oder Klaus Biesenbach.
       Der eine, ein Habenichts aus Leipzig, konnte mit einer Handvoll Künstler zu
       einem der wichtigsten Galeristen Deutschlands werden und mit der Leipziger
       Schule Kunstgeschichte schrieben. Der andere, der sein Medizinstudium
       abgebrochen hat, machte aus einer alten Magarinefabrik eine veritable
       Kunsthalle, gründete die Berlin Biennale und ist heute Museumsdirektor am
       Museum of Modern Art (MoMA) in New York. Diese beispielhaften Karrieren
       konnten so nur nach der Wende in Mitte passieren, weil es hier die Räume
       dafür gab. Die Kunstwerke in der Margarinefabrik oder die Galerie Eigen +
       Art in einem Ladenlokal, beide in der Auguststraße, wie das Tacheles oder
       das Postfuhramt in der Oranienburger Straße mit ihrem billigen Raumangebot
       lieferten überhaupt erst die Bühne für diese Start-ups in Sachen Kultur.
       
       Allerdings: Bereits zur zweiten Berlin Biennale im Postfuhramt, 2001, war
       viel von Gentrifikation die Rede, berichtete damals die taz.
       Möglichkeitsräume wie im Postfuhramt sind in Mitte jetzt endgültig
       verschwunden. C/O eröffnet im Amerika-Haus am Bahnhof Zoo neu.
       Wahrscheinlich im Herbst. Die Frage wird sein: Funktioniert die Marke C/O
       Berlin dann auch ohne Postfuhramt?
       
       7 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ronald Berg
       
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