# taz.de -- Internationaler Frauentag: Die Unsichtbaren: Wir sind den Leuten unangenehm
       
       > Im Kittel fühlt sich die Putzfrau Susanne Neumann übersehen. Als
       > Gewerkschafterin aber ist sie alles andere als unsichtbar.
       
 (IMG) Bild: „Die Unsichtbaren“ – Protokolle der taz zum Internationalen Frauentag.
       
       Ich arbeite seit 33 Jahren als Putzfrau. Ja, Putzfrau, sagen wir hier im
       Ruhrpott. Da gucken manche komisch, viele sagen lieber Reinigungskraft.
       Aber was machen wir? Wir putzen.
       
       Obwohl ich schon so lange im Beruf bin, ist mir erst im vergangenen Jahr
       schlagartig klar geworden, wie unsichtbar wir sind. Jemand aus der
       Reinigungsfirma wollte mich piesacken und hat mich als Tagesfrau in ein
       Einkaufszentrum geschickt. Da musste ich einen Kittel tragen und auf einmal
       sahen mich die Leute nicht mehr. Wirklich, ich war einfach unsichtbar. Bin
       ich hingegen ohne Kittel in den Laden rein, hat mich das restliche Personal
       gegrüßt. Auch Bekannte haben mich mit Kittel einfach übersehen. Das hat
       mich erschreckt.
       
       Den Job hätte ich nicht lange durchgehalten, weder seelisch noch
       körperlich. Jede Stunde die Toiletten säubern, Mülleimer leeren, die Büros
       und Gänge putzen, Abfälle durchs Parkhaus schleppen. Wenn jemand eine
       Weinflasche zerkloppte oder in die Ecke kotzte, war ich diejenige, die das
       wegmachen musste. Ein hartes Brot. Manche Leute entsorgen ihren Hausmüll im
       Supermarkt, denen ist das völlig egal, wer das wegmacht. Aber man darf ja
       nichts sagen, der Kunde ist König. Ich habe mich aber gewehrt, um da
       wegzukommen, das hat geklappt.
       
       ## Uns weist man eine Art Schuld zu
       
       Dass wir unsichtbar sind, hat etwas, glaube ich, mit psychologischen
       Abwehrreflexen zu tun. Schmutzarbeit ist unangenehm, wir sind den Leuten
       unangenehm. Eigentlich provoziert das bei den Leuten selbst ein schlechtes
       Gewissen, aber uns weist man eine Art Schuld zu, nach dem Motto: Hättest Du
       in der Schule mal aufgepasst, wäre dir das nicht passiert. Dabei ist das
       totaler Humbug. Jede zweite Frau, die in der Reinigung arbeitet, hat eine
       abgeschlossene Berufsausbildung. Nur durch Kindererziehung oder andere
       Umstände ist sie in den eigentlichen Beruf nicht mehr reingekommen.
       
       Ich selber habe eine Ausbildung als Schaufensterdekorateurin begonnen, dann
       wurde ich mit 17 Jahren schwanger. Mit Anfang 19 kam die zweite Tochter,
       ein Pillenunglück.
       
       Mit dem ersten Kind bin ich nach kurzer Zeit wieder in die Ausbildung
       gegangen, die Schwiegermutter hat geholfen, aber mit Kleinkind und Säugling
       – wie soll das gehen? Mein damaliger Mann hat als Klempner gearbeitet. Da
       hab ich gesagt, okay, holste die Ausbildung später nach.
       
       Aber dann hatte mein Mann einen Arbeitsunfall. Wir bekamen weniger Geld.
       Mich hat eine Nachbarin gefragt, hör mal Susi, willst du morgen in einem
       Klamottenladen saugen, als Urlaubsvertretung? So bin ich da reingekommen,
       vor 33 Jahren.
       
       Als mein Exmann dann umschulte und wieder eine Stelle bekam, bin ich zum
       Arbeitsamt, ich wollte meine Ausbildung nachholen. Aber ich war ja
       offiziell nie arbeitslos, für die war ich quasi unsichtbar. Also bekam ich
       keine Förderung. Irgendwann hab ich es dann aufgegeben.
       
       Und als ich mich mit 32 scheiden ließ, musste ich Stunden aufstocken, Geld
       ranschaffen. Aber ich hatte Glück. Ich putze seit Jahrzehnten in den Büros
       der Gewerkschaften IG BAU und IG Metall, am Anfang auch noch beim DGB, und
       für zwei Insolvenzanwälte.
       
       ## Es ist ungewöhnlich, respektiert zu werden
       
       Es ist absolut ungewöhnlich, so lange für die gleichen Kunden zu putzen.
       Und es ist auch ungewöhnlich, so respektiert zu werden. Wenn ich
       nachmittags komme und die anderen gerade Feierabend machen, halten wir ein
       Schwätzchen. Man begegnet mir auf Augenhöhe, ich fühle mich nicht
       diskriminiert. Aber wie gesagt, ich hatte Glück, ich bin in einem Biotop
       gelandet. Ich bin jetzt 54, ich habe mir vieles erkämpft. Es war ein langer
       Weg der Selbstermächtigung.
       
       Ich bin seit etlichen Jahren als Ehrenamtliche in der IG BAU aktiv. Der
       erste Kontakt entstand, als ich die Gewerkschaft vor Jahren um Hilfe bat.
       Meine Reinigungsfirma wollte damals eine Unterschrift, dass ich für den
       Generalschlüssel hafte. Da hab ich gedacht, ihr habt doch ’nen Schuss in
       der Birne, verlier ich den, bin ich 25.000 Mark los. Bei der Gewerkschaft
       hat man mir gesagt, das brauchste nicht zu unterschreiben. So bin ich
       Mitglied geworden.
       
       Dann hat es ein paar Jahre gedauert, bis ich mich in der Gewerkschaft
       engagiert habe. So fing das an. Schließlich war ich sogar Vorsitzende der
       Bundesfachgruppe Gebäudereinigung. Das war mein Weg, Frieden zu schließen
       mit meinem Beruf, mit entgangenen Chancen. Mein Beruf bekam so ein anderes
       Flair, ich war plötzlich noch jemand anderes, nicht nur die Putzfrau,
       sondern eine Frau, die für etwas kämpft. Ich hab die Unsichtbarkeit
       abgestreift.
       
       Ich hab mir schon immer nichts gefallen lassen. Aber jetzt hab ich auch
       noch die Gewerkschaft im Rücken. Zusammen können wir was durchsetzen, das
       hat mich noch ein Stück selbstbewusster gemacht.
       
       Trotzdem arbeite ich am liebsten in Objekten, die ich selber aufschließe
       und in denen niemand da ist, wenn ich arbeite. Da ist es mir sogar lieber,
       unsichtbar zu sein. Da guckt keiner, wie nass geschwitzt ich bin, ich hab
       meine Ruhe, singe ein Lied, und putze durch, nach Schema F. Gedanklich bin
       ich woanders.
       
       Wenn ich Wut hab, fang ich mit dem Flur an. Das Treppengeländer scheppert
       so schön, wenn ich davorhaue. Oft denke ich auch über meine nächste Rede
       für die Gewerkschaft nach. Da bin ich alles andere als unsichtbar. Ich rede
       bei Demonstrationen, ich rede mit Politikern.
       
       ## Wir haben uns unseren Respekt erkämpft
       
       Mein schönstes Erlebnis war dann der erste bundesweite Streik der
       Gebäudereinigerinnen 2009. Da wurden wir plötzlich in der Gesellschaft mit
       unseren Putzfrauenaktionen sichtbar und haben uns Respekt erkämpft. Ich
       hatte vorher Bauchschmerzen, kämpfen die ganzen befristetet angestellten
       Frauen und die 400-Euro-Kräfte mit? Aber gerade die waren dabei. Es war ein
       richtiges Fest.
       
       Ich selber bin zufrieden mit meinem Leben. Aber mich packt oft die große
       Wut, wenn ich daran denke, wie die Frauen in der Branche arbeiten müssen,
       wie man mit ihnen umgeht. Die Anforderungen werden immer höher, alles muss
       in immer kürzerer Zeit passieren und mit weniger Personal. Das Chemiewerk
       hier um die Ecke beispielsweise, das haben früher 43 Frauen gereinigt.
       Jetzt machen das 14 Minijobberinnen.
       
       400 Quadratmeter, die eine Person in einer Stunde putzen muss, sind kein
       Einzelfall. Natürlich mit genauer Leistungsvorgabe. Papierkörbe leeren,
       Schreibtische und Fußleisten wischen, Fingerflecken an Türen und Fenstern
       entfernen, Toiletten säubern, die Fliesen reinigen, die Küche, das Geschirr
       wegräumen.
       
       Wenn es darum geht, die Preise zu drücken, kennen die meisten Kunden weder
       Freund noch Feind. Sie schreiben die Aufträge alle zwei bis drei Jahre neu
       aus. Und die Reinigungsfirmen konkurrieren sich gnadenlos nieder, alles auf
       dem Rücken der Frauen. Und warum? Weil sie keine Lobby haben, keine Macht.
       Weil sie als gesamte Masse eben doch die meiste Zeit völlig unsichtbar
       sind.
       
       Deswegen kann man den Druck einfach schön nach unten weitergeben. Und wenn
       der Auftrag weg ist, schmeißt man die Frauen raus. Da kommt dann nichts,
       kein Blumenstrauß, kein tut mir leid, Kollegin, eine andere Firma macht das
       jetzt. Da sind Frauen dabei, die tauscht man nach 32 Jahren einfach aus,
       die wirft man weg, wie einen alten Putzlappen.
       
       Ich will die Frauen in die Gewerkschaft holen. Das ist mein Ding, das
       erfüllt mich. Und wenn die Frauen kommen, merken sie, hier kann ich mich
       weiterbilden, gemeinsam können wir sichtbar werden und Arbeitskämpfe
       gewinnen. Manchmal ist das schon etwas schizophren in der Gewerkschaft: Da
       diskutiere ich nachmittags mit einem Kollegen, abends putze ich ihm den
       Schreibtisch. Aber für mich ist das okay, ich mache mir keine Gedanken mehr
       darüber.
       
       ## Ab da sind wir zusammengewachsen
       
       So hab ich übrigens auch meinen zweiten Mann kennen gelernt. Eines Tages
       sagt der zu mir, in meinem Papierkorb ist Staub. Da hab ich ihm den über
       den Kopf gestülpt und gesagt, jetzt nicht mehr. Ab da sind wir
       zusammengewachsen.
       
       Wissen Sie eigentlich, wer Ihr Büro putzt? Oder merken Sie es erst, wenn
       Ihre Kaffeetasse mal nicht mehr da steht, wo sie sonst immer steht? Und
       beschweren Sie sich dann bei der Reinigungsfirma? Die ruft dann die
       Objektleiterin an und die reißt der Putzkraft den Arsch auf. Das bekommen
       Sie alles gar nicht mit, das sehen Sie nicht.
       
       Ich hingegen seh die Menschen, ich seh ihre Schreibtische, die erzählen
       viel. Manchmal wusste ich schon, dass eine neue Bürokraft nicht lange
       bleibt. Meistens hatte ich recht.
       
       So, jetzt muss ich los. Heute ist Donnerstag, Todesschicht. Da fang ich um
       15 Uhr an und bin um Mitternacht zu Hause. Wenn die anderen längst schlafen
       und sicher nicht von uns träumen.
       
       8 Mar 2013
       
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