# taz.de -- Optionspflicht bei Staatsbürgerschaft: Qual der Entscheidung
       
       > Ab diesem Jahr müssen sich Kinder von Nicht-EU-Ausländern für eine
       > Staatsangehörigkeit entscheiden. Drei Protokolle von Jugendlichen.
       
 (IMG) Bild: Deutsche Staatsbürgerschaft? Oder lieber doch nicht?
       
       In diesem Jahr werden die ersten Kinder mit doppelter Staatsangehörigkeit
       23 Jahre alt. Und müssen sich nun für eine Staatsbürgerschaft entscheiden –
       wenn ihre Eltern nicht aus der EU kommen.
       
       Betroffen sind also vor allem Deutschtürken, die nach 1990 geboren sind.
       Wer sich nicht rechtzeitig entscheidet, verliert automatisch die deutsche
       Staatsbürgerschaft.
       
       Beide Pässe dürfen nur behalten werden, wenn bis zum 21. Geburtstag die
       Betroffenen bei der zuständigen Ausländerbehörde nachweisen, dass ihnen
       andernfalls unzumutbarer Schaden entstünde. Emotionale Gründe zählen nicht.
       
       **************************************************************
       
       ## 
       
       Ich habe den Brief mit der Aufforderung, mich zwischen der deutschen und
       der türkischen Staatsbürgerschaft zu entscheiden, vor zwei Monaten
       bekommen. Und ich weiß schon, welchen Pass ich notfalls behalten werde. Ich
       würde mich für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden. Weil die
       einfach mehr Vorteile bringt. Und meine Nationalität mache ich sowieso
       nicht von meiner Staatsbürgerschaft abhängig. Ich bleibe immer noch Türke.
       Beziehungsweise Deutscher mit Migrationshintergrund.
       
       Mein Problem ist aber, dass ich nicht weiß, ob ich später in der Türkei
       leben will. Vielleicht wandere ich wieder aus. Denn wirtschaftlich steht
       die Türkei sehr gut da. Hier sind alle Leute wegen der Eurokrise nervös.
       Deshalb sehe ich in Deutschland keine rosige Zukunft. Diese ökonomische
       Entwicklung macht die Entscheidung so schwierig für mich. Einmal gemacht,
       lässt sich das ganz schwer ändern. Was soll dieser Entscheidungszwang
       überhaupt?
       
       Ich lebe in einem Land, wo es hundert verschiedene Kulturen gibt. Spanier
       und Schweden dürfen beide Pässe behalten. Wieso werden ausgerechnet die
       Türken, von denen so viele in Deutschland leben, gezwungen zu wählen? Wieso
       sollen ausgerechnet wir unsere Loyalität unter Beweis stellen?
       
       Eine Begründung der Regierung ist, dass man Leute mit doppelter
       Staatsbürgerschaft nicht so gut strafverfolgen kann. Klar gibt es solche
       Fälle. Aber deshalb pauschalisieren und so einen Druck aufzubauen? Das ist
       doch Schwachsinn.
       
       Bis ich 23 wurde, hat meine doppelte Staatsbürgerschaft keinen gestört. Ich
       verstehe nicht, wieso es danach nicht mehr gehen soll. Ich habe zwar vom
       Beibehaltungsantrag gehört. Das war letzte Woche Thema einer Veranstaltung
       im Rathaus. Aber da hieß es, dass das fast unmöglich sei.
       
       Dass das in den allerwenigsten Fällen genehmigt würde. Und dass man einen
       krassen Grund braucht. Da fällt mir keiner ein. Im türkischen
       Generalkonsulat hat mir keiner etwas von einem Beibehaltungsantrag erzählt.
       Meine Familie lebt seit über 40 Jahren hier. Ich fühle mich mehr deutsch
       als türkisch. Aber Ausländer bleibe ich sowieso, in beiden Ländern.
       
       Fatih Yartun, 20, in Köln geborener Sohn türkischer Eltern. Er arbeitet als
       selbstständiger Gebäudereiniger. Seine gefühlte Nationalität macht er
       ohnehin nicht von einem Pass abhängig. 
       
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       ## „Gefühle? Zählen vor der Behörde nicht“
       
       Ich habe ein gutes Recht auf die doppelte Staatsbürgerschaft. Ich bin die
       Brücke zwischen Deutschland und der Türkei. Wir reden immer von
       Integration. Und dann will der Staat plötzlich, dass ich mich entscheide.
       Entweder ich bin nicht integriert und nur Türkin. Oder vollkommen
       assimiliert und muss Deutsche werden. Das belastet mich emotional. Aber
       Emotionales zählt vor der Behörde nicht.
       
       Ich will keinen meiner Pässe abgeben und habe deshalb einen
       Beibehaltungsantrag gestellt. Bei diesem Antrag muss man den Behörden
       beweisen, dass man auf keine der Staatsbürgerschaften verzichten kann.
       
       Ich argumentiere, dass mir durch die Optionspflicht wirtschaftlicher
       Schaden entsteht. Denn ich will nach meinem Jurastudium in Deutschland und
       in der Türkei als Anwältin praktizieren. Wenn ich meinen türkischen Pass
       jetzt abgebe, geht das nicht mehr.
       
       Oder nur mit einem riesigen bürokratischem Aufwand. Soll ich dann jedes
       Mal, wenn ich in der Türkei arbeiten will, aus der deutschen
       Staatsbürgerschaft austreten? Ich habe dargelegt, dass ich Jura studiere.
       Dann hat die Behörde behauptet, man wisse ja nicht, ob ich das in einem
       Jahr noch studiere. Ich sei ja auch noch gar nicht zur Staatsprüfung
       zugelassen. Wie auch?
       
       Die Zulassungen zur Prüfung werde ich erst nach meinem 23. Geburtstag
       bekommen. Und der Staat stempelt mich einfach als potenzielle
       Studienabbrecherin ab. Das geht doch nicht. So viel Ermessensspielraum darf
       keine Behörde bekommen.
       
       Ich bin auch nicht die einzige Betroffene in unserer Familie. Mein jüngerer
       Bruder wird seinen türkischen Pass aufgeben. Er findet keine Begründung für
       den Beibehaltungsantrag. Meine Eltern hoffen, dass es zumindest für mich
       anders läuft. Wir alle hoffen, dass sich die Gesetze nach der
       Bundestagswahlen ändern. Jedes Wochenende sitzen meine Eltern mit den
       türkischen Zeitungen da und sagen: Die schreiben, dass sich was ändert.
       Vielleicht wird es ja was, vielleicht kannst du auch Türkin bleiben.
       
       Viele meiner Freunde, die auch von der Optionspflicht betroffen sind,
       reagieren viel zu voreilig. Die kriegen den Brief, wenn sie 18 werden, und
       marschieren gleich in die türkische Botschaft, wo sie ihren türkischen Pass
       abgeben. Vielleicht betrifft es ihr späteres Leben nicht so sehr.
       Vielleicht ist für sie die zweite Staatsbürgerschaft verzichtbar. Aber wer
       seine Chance nicht sucht, ist selbst schuld. Dabei ist alles so schwammig
       geregelt – dieses Gesetz fällt jetzt schon auseinander.
       
       Ich werde jedenfalls kämpfen. Sollte mein Antrag scheitern, werde ich
       Deutsche, erst mal. Dann bleibt nichts als Klagen, um mir meinen türkischen
       Pass zurückzukämpfen. Der Staat darf doch nicht anhand von
       Studienabbrecherquoten über meine Zukunft spekulieren. Ich habe absolut
       keine Lust, dass mir mein Pass mit diesen Argumenten weggenommen wird. Das
       wäre unerträglich.
       
       Merve Gül, 21, in Stuttgart geborene Tochter türkischer Eltern. Studiert
       Unternehmensjura in Mannheim und will später als Anwältin sowohl in der
       Türkei als auch in Deutschland arbeiten. Sie sagt, die Ausländerbehörde
       spekuliere über ihre berufliche Zukunft. 
       
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       ## „Du hast keine Wahl“
       
       Ich habe bis zum letzten Moment gewartet und gehofft. Vielleicht ändert
       sich noch ein Gesetz. Vielleicht setzt sich noch jemand ein. Dann hab ich
       schweren Herzens doch den Antrag gestellt, dass ich den türkischen Pass
       abgeben möchte. Angeblich wurde ich 2008 informiert, dass ich einen Antrag
       auf Beibehaltung beider Pässe stellen kann. So einen Brief habe ich niemals
       bekommen.
       
       Von dieser Möglichkeit erfuhr ich erst vor Kurzem – da war es aber auch
       schon zu spät. Im Rathaus meinte man nur: "Pech gehabt." Dann sagte der
       Herr vom Amt noch: „Verpassen Sie ja nicht die Frist. Wenn Sie bis zu Ihrem
       23. Geburtstag nicht alle Formalitäten geklärt haben, verlieren Sie die
       deutsche Staatsbürgerschaft.“ Jetzt liegt mein Antrag in Ankara. Und mir
       bleibt nichts, als zu hoffen, dass sie ihn rechtzeitig bearbeiten. Das
       macht mir große Sorgen.
       
       Den türkischen Pass zu behalten wäre mir sehr wichtig gewesen. Das ist eine
       Herzensangelegenheit. Ich will mich nicht entscheiden müssen. Ich komme aus
       der Türkei, ich bin in Berlin geboren. Ich fühle mich wie ein Türke. Und
       ich fühle mich gleichzeitig auch wie ein Deutscher.
       
       Ich fliege jedes Jahr in die Türkei, das ist meine Heimat. Die
       Optionspflicht nimmt mir einen Teil meiner Identität. Ich habe die deutsche
       Staatsbürgerschaft erst im Nachhinein bekommen. Weil ich für Deutschland
       schwimmen sollte. Ich war Leistungssportler. Das ging dann auf einmal ganz
       fix und problemlos. Wenn die was von dir wollen, kannst du sogar die
       dreifache Staatsbürgerschaft haben. Ich finde es total komisch, dass sie
       mir den deutschen Pass jetzt eventuell wieder wegnehmen wollen. Das ist wie
       Erpressung. Du hast keine andere Wahl. Wer will denn die Hälfte seiner
       Identität abgeben?
       
       Natürlich war ich beim Anwalt. Ich war vor einem halben Jahr bei fast allen
       Parteien. Ich habe die gefragt, ob wir Unterschriften sammeln oder so.
       Irgendwas, wodurch wir Aufmerksamkeit für unser Problem bekommen können.
       Die wollten das aber nicht machen.
       
       Die haben mich zu einem Anwalt weitergeschickt. Durch den bin ich aber auch
       nicht schlauer geworden. Der meinte zu mir: „Es wird sich irgendwann etwas
       ändern, aber noch nicht. Lass die Klage. Noch hat es keinen Sinn.“ Und dann
       hab ich es halt bleiben lassen.
       
       Jetzt weiß ich, wer mir helfen kann. Wir alle, die betroffen sind, müssen
       zusammenhalten und uns selbst helfen. Diese Welle wird auch kommen. Ich
       kann mir nicht vorstellen, dass sich alle einfach erpressen lassen.
       
       Serkan Kaya, 22, in Berlin geborener Sohn türkischer Eltern. Macht derzeit
       seinen Kfz-Meister. Als er für die Nationalmannschaft schwimmen sollte,
       bekam er sofort einen deutschen Pass.
       
       11 Mar 2013
       
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