# taz.de -- Debatte zum Burn-out: Arbeiten ist gesund
       
       > Lebenszufriedenheit wird vor allem durch innerpsychische Faktoren
       > bestimmt. Die Ausbrenn-Debatte versucht sich an falschen
       > Objektivierungen.
       
 (IMG) Bild: Die Annahme, dass kontinuierliche Herausforderung in einem Burn-out münden müsse, ist keineswegs zwingend.
       
       Es ist bemerkenswert: In dem Maße, wie die Arbeitslosigkeit sinkt, rückt
       Arbeit als Gesundheitsgefahr in unser Bewusstsein. Während weiterhin
       Millionen arbeitslos sind und Untersuchungen belegen, dass Arbeitslosigkeit
       psychisch besonders belastend ist, werden wir fast täglich mit Meldungen
       über die Zunahme von Stress am Arbeitsplatz konfrontiert.
       
       In der Tat sind die Zahlen beeindruckend. Psychische Erkrankungen liegen
       mit 41 Prozent auf Platz eins bei den Frühberentungen. Noch 2000 waren es
       nur 24 Prozent. Die Zahl der Fehltage wegen Burn-out hat sich nach
       AOK-Angaben von 2004 auf 2011 mehr als verzehnfacht.
       
       Die Ursachen scheinen identifiziert. Die Arbeit verdichtet sich und die
       Durchdringung der Arbeitswelt mit Kommunikationstechnologie bedeutet
       fortwährende Erreichbarkeit. Ende Januar stellte Bundesarbeitsministerin
       von der Leyen den Stressreport 2012 vor.
       
       Es bestätigt sich: 58 Prozent der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
       berichten, verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen zu müssen, 52
       Prozent klagen über starken Termin- und Leistungsdruck und 44 Prozent
       darüber, bei der Arbeit zu häufig unterbrochen zu werden. Der Stressreport
       folgert: Die „Anforderungen aus Arbeitsinhalt und -organisation“ bewegen
       sich „auf hohem Niveau“, Spitzenreiter bei den „Anforderungen sind
       „Multitasking … und Leistungsdruck“.
       
       ## Ausschließlich Telefoninterviews
       
       Liest man den 207-seitigen Stressreport vollständig, ist man jedoch
       verwundert. Eine Studie liefert Erkenntnisse über das, was gemessen wurde.
       Die Ergebnisse stammen ausschließlich aus Telefoninterviews mit abhängig
       Beschäftigten.
       
       Beeindruckend ist zwar die große Zahl von 17.562 Telefonaten, in denen
       Fragen gestellt wurden wie „Arbeiten Sie an der Grenze Ihrer
       Leistungsfähigkeit?“, „Müssen Sie sehr schnell arbeiten?“ oder „Werden von
       Ihnen Dinge verlangt, die Sie nicht erlernt haben oder beherrschen?“.
       
       Kein einziger Arbeitnehmer wurde jedoch an seinem Arbeitsplatz besucht, mit
       keiner Kennzahl wurden wenigstens zu versucht, das tatsächliche Ausmaß der
       Arbeitsbelastung zu objektivieren. Die Methodik ähnelt dem Versuch, das
       Lohnniveau in Deutschland mit der Umfrage „Verdienen Sie eigentlich genug?“
       zu objektivieren.
       
       Der Stressreport berichtet also über das subjektive Erleben von Stress.
       Stress entsteht im Kopf. Stressforscher beschreiben ihn als Missverhältnis
       zwischen empfundener Anforderung oder Bedrohung und den
       selbsteingeschätzten Bewältigungsstrategien.
       
       Fasst man die zeitliche Perspektive weiter, sprechen viele Zahlen nicht für
       eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Anfang der 1950er Jahre lag
       der jährliche Urlaubsanspruch im Westen noch bei zwei Wochen und die
       Wochenarbeitszeit bei 48 Stunden. Der Samstag war regulärer Arbeitstag. Im
       Osten wurde der Mindesturlaub 1967 auf 15 Tage angehoben, zur Arbeit im
       Betrieb kamen Subbotnik und für Frauen die Mehrfachbelastung aus Arbeit,
       Haushalt und Familie hinzu.
       
       Heute liegt Deutschland innerhalb der 27 EU-Länder bei der
       Wochenarbeitszeit auf Platz 7 – in 20 Ländern wird länger gearbeitet. Die
       Lebenserwartung steigt. Ein 60-jähriger Mann hatte 1981 statistisch noch
       16,5 Lebensjahre zu erwarten, 2010 waren es bereits 21,3. Bei Frauen gab es
       einen Anstieg von 20,8 auf 25,0 Jahre. Auch dies spricht nicht dafür, dass
       wir durch die Arbeit immer stärker verschlissen werden.
       
       Die körperliche Belastung war in vielen Branchen unvergleichbar höher, und
       die Arbeit auch sehr viel gefährlicher. Die Tochter eines Stahlarbeiters
       berichtet über Stress im Stahlwerk: „Mein Vater hat noch von vielen auch
       tödlichen Unfällen damals im Stahlwerk erzählt, und dass dies ein großer
       Stressfaktor war. Dass er immer auf sich und seine Kollegen aufpassen
       musste, dass sie nicht wegen einer kleinen Unachtsamkeit verunfallen.
       
       Bei meinem Vater hatten zunächst die Kollegen eine Kasse eingerichtet, in
       die jeder jeden Monat einen kleinen Betrag gezahlt hat. Wenn dann jemand
       tödlich verunglückt ist, haben sie der Witwe und den Kindern das Geld aus
       der Kasse gegeben, damit die Beerdigung bezahlt werden konnte.“ Sind
       Computer und Smartphones wirklich die größere Gesundheitsbedrohung?
       
       Die Annahme, dass kontinuierliche Herausforderung in einem Burn-out münden
       müsse, ist keineswegs zwingend. Diesem Holzscheitmodell des langsamen
       Ausbrennens stehen in der Biologie viele Beispiele für das Muskel-Modell
       entgegen. Mit jeder Beanspruchung wird ein Muskel größer und stärker.
       
       ## Die innere Unzufriedenheit
       
       Manche Forscher argumentieren, dass sich unsere Belastbarkeitsgrenze
       verschoben habe. Belastungen, die immer zum Menschsein gehörten, sind
       nahezu verschwunden, so etwa Hunger, Kälte, Kampf oder der Verlust eines
       Kindes. Nach der Set-Point-Theorie ist die Lebenszufriedenheit im
       Wesentlichen innerpsychisch festgelegt.
       
       Es ist aber ein menschliches Bedürfnis, für Unzufriedenheit Erklärungen in
       äußeren Umständen zu finden. „Burn-out“ ist hierbei positiv besetzt, denn
       nur wer vorher für die Arbeit gebrannt hat, kann anschließend ausgebrannt
       sein. Aus psychotherapeutischer Sicht ist Burn-out allerdings ein
       problematischer Begriff, da er eine einseitige Ursachenzuschreibung
       vornimmt und damit die Therapie der innerpsychischen Faktoren erschwert.
       
       Die wissenschaftlich am höchsten angesehene Untersuchung zur Häufigkeit
       psychischer Erkrankungen in Europa (Wittchen und Kollegen 2011) kommt zu
       dem irritierenden Ergebnis, dass bei 38 Prozent der europäischen
       Bevölkerung in den vergangenen zwölf Monaten eine psychiatrische Diagnose
       zu stellen war. Hier droht, dass die Grenze zwischen Alltagsbelastungen und
       schwerwiegenden psychischen Erkrankungen verwischt und schwere
       psychiatrische Erkrankungen bagatellisiert werden.
       
       Eine Diskussion über die gerechte Zuteilung von Errungenschaften des
       Sozialstaats wie Frühberentungen wird geführt werden müssen, damit Menschen
       mit schwer beeinträchtigenden psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel
       Schizophrenie, bipolare Krankheit oder Borderline-Störung nicht den Preis
       bezahlen.
       
       12 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Bschor
       
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