# taz.de -- Gedenken an SS-Opfer: Brief aus Sant’Anna di Stazzema
       
       > Am Sonntag erwartet Präsident Gauck in Italien ein heikler Termin. Er
       > reist an den Ort eines SS-Massakers, das von deutschen Gerichten nie
       > gesühnt wurde.
       
 (IMG) Bild: Vor schwieriger Mission: Joachim Gauck am Freitag in Schleswig-Holstein.
       
       BERLIN taz | Am Sonntag wird Bundespräsident Joachim Gauck im toskanischen
       Dorf Sant’Anna di Stazzema sein, um dort gemeinsam mit seinem italienischen
       Kollegen Giorgio Napolitano der 560 Opfer eines Massakers der Waffen-SS zu
       gedenken.
       
       Es war der 12. August 1944, als Waffen-SS-Einheiten in den Bergen der
       nördlichen Toskana zuschlugen, zur „Bandenbekämpfung“. Als Rache für
       Angriffe italienischer Partisanen schlachteten sie dort die gesamte
       Bevölkerung, deren sie habhaft werden konnten, ab - fast ausschließlich
       alte Männer, Frauen und Kinder; das jüngste Opfer war 20 Tage alt.
       
       Drei Kinder überlebten, weil sie sich unter einer Treppe versteckten. Einer
       von ihnen war der damals zehnjährige Enrico Pieri, heute Vorsitzender der
       Opfervereinigung des Orts. Pieri hatte bei dem Massaker seine Eltern und
       Großeltern, seine zwei Schwestern, Onkel, Tanten und Cousins, insgesamt 25
       Familienangehörige verloren. Im Februar hatte er dem italienischen
       Präsidenten Napolitano für seinen Staatsbesuch in Deutschland einen Brief
       an Gauck mitgegeben.
       
       Hintergrund des Briefs war die in Italien herrschende Empörung über die am
       1. Oktober 2012 bekanntgegebene Entscheidung der Staatsanwaltschaft
       Stuttgart, das Verfahren gegen acht noch lebende Angehörige der Waffen-SS
       einzustellen. Leider, so die Stuttgarter Staatsanwälte, lasse sich der
       Nachweis nicht führen, „bei dem Massaker habe es sich um eine von
       vorneherein geplante und befohlene Vernichtungsaktion gegen die
       Zivilbevölkerung gehandelt“.
       
       ## Keine Auslieferung
       
       Anders hatte die italienische Justiz das Morden gewürdigt: In einem 2005
       zuende gegangenen Prozess waren zehn der Täter zu lebenslanger Haft
       verurteilt worden. Doch eine Auslieferung erfolgte nicht; stattdessen sagte
       Deutschland eigene Ermittlungen zu – die nun vor wenigen Monaten im Nichts
       endeten.
       
       Noch am 12. August 2012 hatte sich EP-Präsident Martin Schulz bei einem
       Besuch in Sant’Anna anlässlich des Jahrestags des Verbrechens fassungslos
       gezeigt, dass sämtliche Mörder trotz ihrer Verurteilung in Italien straflos
       ausgegangen waren; diese Straflosigkeit wurde nun mit der Stuttgarter
       Verfahrenseinstellung definitiv festgeschrieben.
       
       Enrico Pieri hatte daraufhin versucht, in Stuttgart mit Ministerpräsident
       Winfried Kretschmann und Justizminister Rainer Stickelberger zu sprechen,
       war aber von keinem der beiden empfangen worden. Anders reagierte nun Gauck
       auf die Einladung nach Sant’Anna – ausgesprochen eigentlich für den 70.
       Jahrestag des Massakers am 12. August 2014. Gauck wollte so lange nicht
       warten. Er vereinbarte einen Besuch binnen Monatsfrist, am nächsten
       Sonntag.
       
       22 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Gauck
 (DIR) Italien
 (DIR) Gedenkstätte
 (DIR) SS-Massaker
 (DIR) Kriegsverbrechen
 (DIR) SS
 (DIR) Bundespräsident
 (DIR) Joachim Gauck
 (DIR) Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Juristin über Klage wegen SS-Massaker: „Vorsätzliche Vernichtung“
       
       Der einstige Kompanieführer Gerhard Sommer kann nach einem
       Gerichtsbeschluss wegen des SS-Massakers vor 70 Jahren in Italien angeklagt
       werden.
       
 (DIR) Prozess wegen NS-Massakers in Italien: 93-Jähriger soll doch vor Gericht
       
       Die Staatsanwaltschaft wollte den Kriegsverbrecher-Prozess gegen einen
       Altnazi einstellen. Ein Opferverein hat nun durchgesetzt, dass er angeklagt
       wird.
       
 (DIR) Ungesühntes SS-Verbrechen: Eine Medaille immerhin
       
       Er kämpfte für eine Verurteilung der Täter von Sant’Anna - erfolglos. Nun
       bekommt Enrico Pieri den Stuttgarter Friedenspreis.
       
 (DIR) NS-Massaker in der Toskana: „Es schreit zum Himmel“
       
       Bei seinem Besuch im toskanischen Sant’Anna di Stazzema findet
       Bundespräsident Gauck klare Worte für das NS-Verbrechen.
       
 (DIR) Kommentar Gaucks Rede: Wir sind gar nicht böse
       
       In Gaucks Lesart spielt Deutschland in der EU die Rolle des Erziehers:
       Streng, aber gerecht. Mit solcherlei onkelhaften Bekundungen ist die Krise
       nicht zu lösen.
       
 (DIR) Europa-Rede von Gauck: Eine seltsame Leere
       
       Joachim Gaucks erste Grundsatzrede wurde mit Spannung erwartet. Doch was
       dem Bundespräsidenten zu Europa einfiel, haben schon viele andere gesagt.
       
 (DIR) Aufarbeitung Zweiter Weltkrieg: Moralische Wiedergutmachung
       
       Eine Historikerkommission hat die von deutschen Soldaten an Italienern
       verübten Verbrechen untersucht. Sie empfiehlt den Bau einer Gedenkstätte.