# taz.de -- Europa-Rede von Gauck: Eine seltsame Leere
       
       > Joachim Gaucks erste Grundsatzrede wurde mit Spannung erwartet. Doch was
       > dem Bundespräsidenten zu Europa einfiel, haben schon viele andere gesagt.
       
 (IMG) Bild: Wolkig und allgemein: Joachim Gauck am Rednerpult.
       
       BERLIN taz | Den ersten Applaus bekommt der Bundespräsident, als er über
       die Briten spricht. Wobei ein nüchternes „spricht“ es nicht recht trifft.
       Es ist ein flammender Appell, den Gauck da im Saal des Schlosses Bellevue
       in Richtung Insel ruft. „Wir möchten euch weiter dabeihaben!“, ruft also
       Gauck. Europa brauche die Erfahrungen der ältesten parlamentarischen
       Demokratie, ihre Traditionen, ihren Mut.
       
       Eindeutig, Emotionen liegen diesem Bundespräsidenten. Gauck hält inne,
       während die Gäste laut klatschen. Seitdem der britische Premierminister
       David Cameron Ende Januar angekündigt hatte, die Briten bis 2017 in einem
       Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU abstimmen zu lassen,
       sorgt sich die deutsche Politik um einen möglichen Austritt des wichtigen
       Landes. Gauck bezieht auf seine Art Stellung. Tagespolitik in einer
       Grundsatzrede, das ist schon mal bemerkenswert.
       
       Die Erwartungen an den Präsidenten waren hoch. Gauck hielt am Freitag eine
       mit Spannung erwartete Grundsatzrede zu Europa, sie bildete den Auftakt für
       eine Serie von Auftritten, Diskussionsforen und Symposien unter dem Titel
       „Bellevue Forum“. Der Bundespräsident hatte diese Rede lange vorbereitet,
       bis Donnerstagabend feilte er persönlich am Manuskript. Im Saal saßen 200
       Geladene, Schüler, Botschafter, Parlamentarier, Vertreter von Initiativen –
       ein sorgfältig ausgesuchter Querschnitt durch die Republik, vom Punkmädchen
       mit bunten Haaren bis zum Diplomaten im Anzug.
       
       Nicht weniger als den Gegenentwurf zur technokratischen Krisenrhetorik der
       Berliner Politik wollte Gauck liefern, er selbst hatte diesen Anspruch
       definiert. Im Juli vergangenen Jahres hatte er die Kanzlerin aufgefordert,
       den Bürgern „sehr detailliert zu beschreiben“, was die Maßnahmen zur
       Eurorettung bedeuten. Schafft Gauck selbst die große Europa-Rede?
       
       ## Europas Wert
       
       Er beginnt mit richtigen Analysen, die vor ihm allerdings auch schon viele
       andere lieferten. Die EU lasse „zu viele Bürger in einem Gefühl der Macht-
       und Einflusslosigkeit zurück“, sagt Gauck. Und diagnostiziert eine „Krise
       des Vertrauens in das politische Projekt Europa“, ebenso wie das Fehlen
       einer finanzpolitischen Steuerung, als der Euro eingeführt wurde – was zu
       einer Schieflage geführt habe. Wer zweifelte daran heute noch?
       
       Gauck hebt mehrmals hervor, welchen Wert er Europa und einer stärkeren
       Integration des Staatenbunds zuschreibt. Der Präsident, der in der DDR als
       Pastor arbeitete und nach der Wende Bundesbeauftragter für die
       Stasiunterlagen wurde, bezieht auch sein Lebensthema auf Europa.
       
       „So wie Europa nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem ein Friedensprojekt
       gewesen war, so war es 1989 ein Freiheitsprojekt“, sagt er. Zwar fehle
       „eine große, identitätsstiftende Erzählung“ für die 740 Millionen Europäer,
       doch eine sie ein identitätsstiftender Wertekanon: Frieden,
       Rechtsstaatlichkeit, Solidarität.
       
       All dies sind Sätze, die gut klingen, und die jeder Demokrat unterschreiben
       würde. Doch eine neue Idee enthalten sie nicht. Gauck bleibt oft zu wolkig
       und allgemein, als das sich erkennen ließe, welche Richtung er seinem
       Europa wünschen würde.
       
       Deutlich wird diese seltsame Leere, als er versucht, Menschen in den
       Nachbarstaaten die Furcht vor einem deutschen Diktat zu nehmen. Erst
       kritisiert er unflätige Griechenland-Beschimpfungen deutscher Politiker und
       Boulevardmedien, dann versichert er, niemand wolle anderen Konzepte
       aufdrücken. „Mehr Europa heißt für uns: europäisches Deutschland.“
       
       Aber was heißt das genau? Zu sagen, Deutschland wolle nur „Erfahrungen
       vermitteln“, ist ein befremdlicher Euphemismus. Die Bundesregierung hat
       Europa mit SPD und Grünen ein rigides Sparprogramm aufgezwungen, das
       schwache EU-Staaten weiter schwächte. Gauck heißt diese Politik offenbar
       gut, man erfährt zumindest nicht, was er anders machen würde.
       
       Die Parteien überhäuften Gauck nach der Rede mit Lob. Er habe „klare Worte
       gefunden“, sagte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.
       Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt sagte, Gauck fülle eine
       Lücke, die die Kanzlerin nicht schließen könne, nämlich Europa zu erklären
       und dafür zu werben. Beide Parteien hatten ihn als möglichen Präsidenten
       vorgeschlagen.
       
       22 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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