# taz.de -- Die Profiteure der Energiewende: Geld liegt in der Luft
       
       > Der ostwestfälischen Kleinstadt Lichtenau bringen die satten Einnahmen
       > aus der Windkraft vor allem: kommunale Konflikte.
       
 (IMG) Bild: Die Bundesregierung fördert die Windkraft mit teils hohen Subventionen
       
       LICHTENAU taz | Schwere, graue Wolken treiben über stille Landstraßen, als
       der Unternehmer in seinem Büro sitzt und wieder einmal durchgeht, was der
       Wind ihm bringt, was er bringen könnte, und welche Spanne dazwischenliegt.
       Was ihm fehlt, um das Potenzial ausschöpfen zu können, ist eine
       Entscheidung der Stadt. „Es vergeht unheimlich viel Zeit“, sagt er, „das
       schadet allen Seiten.“
       
       Etwa 30 Kilometer entfernt steigt der Bürgermeister aus dem Auto. Ringsum,
       verteilt auf weite Felder, ragen Windräder auf. Manchmal kommt er hierher,
       um zu überlegen, wo die neuen Windflächen gut hinpassen würden. „Man könnte
       überall in Lichtenau Windräder aufstellen“, sagt er. „Aber da sag ich:
       Nein. Wir entscheiden, wo.“
       
       Ganz in der Nähe läuft ein junger Bauer über das Land, das seine Familie
       seit Generationen bestellt. Auch er wartet auf die neuen Flächenpläne der
       Stadt. Nur fragt er sich, ob er die gleichen Rechte haben wird wie alle
       anderen Bauern. Denn die meisten haben sich mit dem Windunternehmer
       zusammengetan. Er dagegen steht allein. „Mit ihren Bebauungsplänen“, sagt
       er, „kann uns die Stadt am langen Arm verhungern lassen.“
       
       Der Unternehmer, der Bürgermeister und der Landwirt haben erkannt, dass die
       Energiewende eine Chance sein kann. Die drei Männer verbindet der Windpark
       in Lichtenau-Asseln. Der entstand bereits in den 90er Jahren und war damals
       der größte in ganz Europa. Inzwischen ist aus der Idee, aus Wind Strom zu
       gewinnen, ein rentables Geschäft geworden.
       
       ## Hohe Subventionen
       
       Die Bundesregierung will, dass die Energiewende vorankommt, und fördert die
       Windkraft mit zum Teil hohen Subventionen. In Lichtenau, Ostwestfalen
       verdienen viele gut daran, dass der Wind fast immer kräftig weht. Bald
       sollen die Anlagen im Ort durch neue, leistungsfähigere ersetzt werden. Das
       würde noch mehr Geld bedeuten. Eigentlich müssten sich alle einig sein.
       Doch wer eine Weile dort unterwegs ist, merkt, welche Konflikte der Ausbau
       der Windkraft mit sich bringt.
       
       Johannes Lackmann ist am Ende seiner Geduld. Der Geschäftsführer der Firma
       Westfalenwind sitzt sprungbereit auf der Kante seines Stuhls. Durch
       halbrunde Fenster fällt fahles Licht über Holzregale und Aktenordner. Das
       Büro ist in einer Scheune am Rand von Paderborn eingerichtet; es sieht noch
       aus wie ein Öko-Start-up. Doch Lackmann hat nichts Naturverklärendes an
       sich. „Wir warten jetzt, bis die im ganzen Ort Fledermäuse und Vögel
       gezählt haben“, sagt er, Schärfe im Blick. Die Anlagen, die ihm
       vorschweben, sind 180 Meter hoch, fast doppelt so hoch wie die jetzigen.
       Sie würden dreimal so viel Strom abwerfen. Zwar wären nur wenige der
       Kolosse nötig, doch sie brauchen viel mehr Platz. Also muss die Stadt erst
       neue Windflächen festlegen. Seit vier Jahren wird nun schon diskutiert. Der
       Unternehmer verzieht das Gesicht.
       
       Johannes Lackmann ist Idealist, die Energiewende, das ist die Aufgabe
       seines Lebens. Er ist aber auch Geschäftsmann. Er hat früh erkannt, dass
       sich seine Ideen am besten verwirklichen lassen, wenn er die Bevölkerung
       einbezieht. Mit seiner Firma baut er Windparks mit Bürgerbeteiligung.
       Lichtenau war eines seiner ersten Projekte. 53 Leute haben ihre Ersparnisse
       investiert.
       
       Inzwischen liegt ihre Rendite zwischen 10 und 20 Prozent. Seit 2011 kann
       zudem jeder Lichtenauer seinen Strom aus dem Windpark beziehen, für 1 Cent
       weniger als beim Konkurrenten RWE – und mit zehn Jahren Preisgarantie.
       Lackmann ist einer, der Dinge in Bewegung bringt. Er hat wenig Sinn für die
       Leute in den Rathäusern, die ihn aufhalten mit ihren Gutachten und
       Flächenanalysen. „Wir fangen jetzt mit der Planung an“, sagt er,
       „unabhängig von der Gemeinde.“
       
       Johannes Lackmann hat einen großen Plan. Er will beweisen, dass das
       tatsächlich geht: Kommunen, die sich selbst mit grünem Strom versorgen,
       können eine gute Rendite erwirtschaften. Ohne dass deshalb die Preise für
       die Verbraucher steigen. Aus diesem Grund nimmt er für den Asselner
       Windpark auch keine Fördergelder mehr. „Es ist erstaunlich, dass es in so
       kurzer Zeit gelingt, auch wirtschaftlich.“
       
       ## Spenden für die Vereine
       
       Lackmann hat in den 80er Jahren Sonnenkollektoren auf sein Dach geschraubt.
       Später hat er als Cheflobbyist die Subventionen mit den Politikern
       ausgehandelt. Fast zehn Jahre lang war er Präsident des Bundesverbandes
       Erneuerbare Energie. Inzwischen hat er sich mit der ganzen Branche
       verkracht.
       
       Denn so, wie er es sieht, ist das Förderungssystem aus dem Gleichgewicht
       geraten. Der Staat garantiert den Erzeugern, dass sie ihren Strom zu einem
       festen Preis verkaufen können. Damit sind zum Teil hohe Renditen möglich
       und üppige Pachteinnahmen für die Bauern, die Platz für Windräder haben.
       Das ist noch so ein Thema, das Lackmann in Rage bringt. Er ruft: „In
       einigen Regionen herrscht Goldgräberstimmung!“ Bis zu 60.000 Euro werde den
       Landwirten von den großen Windkraftkonzernen geboten. Pro Windrad. Zugleich
       steigen die Preise, weil die Kosten auf die Stromkunden umgelegt werden.
       Darin sieht Lackmann eine Gefahr für den Ausbau der alternativen Energien.
       „Die Politik hat die Kosten ausufern lassen. Wir müssen etwas ändern, sonst
       fahren wir die Energiewende vor die Wand.“
       
       Dieter Merschjohann lenkt seinen Wagen vorsichtig über den Feldweg, der
       Bürgermeister (CDU) zeigt nach rechts und nach links. Wolken verhängen die
       obere Hälfte der Windräder; die Rotoren tauchen in den Dunst ein und wieder
       auf. Er ist guter Dinge, denn rotierende Propeller, das bedeutet Einnahmen
       für seine klamme Kommune. Der Betreiber des Bürgerwindparks, die Asselner
       Windkraft GmbH, ist inzwischen der beste Gewerbesteuerzahler im Ort.
       „Manche sagen, das Geld liegt auf der Straße“, sagt er. „Ich sage: Das Geld
       liegt in der Luft.“
       
       Ihm geht es darum, wie die Stadt den Wind nutzen kann, ohne dass die
       Windräder den Ort spalten. Denn nicht jeder ist an dem Windpark beteiligt;
       manche haben nichts von den Anlagen außer ihrem Anblick. Merschjohann weiß,
       dass sich viele daran stören. Daher will er sich Zeit lassen, Konflikte
       vermeiden, alle Faktoren prüfen. „Ich muss den Bürger mitnehmen“, sagt er.
       
       ## Im Wohnzimmer
       
       Doch der Druck des Marktes wächst. Nicht nur Lackmann will den Wind ernten:
       Das wollen auch die großen Windkraftkonzerne, deren Vertreter derzeit
       überall nach Standorten für Windräder suchen. „Die saßen schon bei mir im
       Wohnzimmer“, sagt Merschjohann. Sie haben ihm hohe Summen versprochen.
       Spenden für die Vereine. 100.000, 200.000 Euro. Er blinzelt etwas verstört;
       ihm ist es wichtig, dass die Dinge nach Recht und Gesetz laufen. „Wir sind
       hier in Deutschland“, sagt er.
       
       Doch mit Geld lässt sich vieles bewegen, vor allem in strukturschwachen
       Kommunen. Auch die Asselner Windkraft hat gespendet, Schulbücher,
       Fleecejacken für die Feuerwehr. Kleinkram. „Wir könnten das in viel
       größerem Umfang machen“, sagt Lackmann. Dann müsse aber auch die
       Zusammenarbeit besser werden. Doch wo ist die Grenze zwischen Spende und
       politischer Einflussnahme? Lackmann kann da nichts Unredliches erkennen.
       „Es ist ja alles transparent“, sagt er. „Wir sagen: Das bieten wir euch.
       Ihr könnt Ja sagen oder Nein. Es ist ein offenes Rennen.“
       
       Doch es gibt Menschen, die fürchten, dass sie dabei zurückbleiben könnten.
       So wie Josef Becker. Der richtige Name des jungen Landwirts soll
       verschwiegen werden, er will keinen Ärger; ihm kommt es ohnehin vor, als
       stehe seine Familie zwischen allen Fronten. „Beckers gegen den Rest“,
       murmelt er. Er läuft über den frostverkrusteten Ackerboden; über ihm
       pflügen die Windräder durch die Wolken. „Der Lackmann und ich, wir sitzen
       auf unterschiedlichen Seiten“, sagt er.
       
       Becker zählt zu den wenigen Landwirten, die sich Lackmanns Projekt nicht
       anschließen wollten. Zum einen können Bauern auf eigene Faust höhere
       Pachten und Erträge erzielen. Auf seinem Land hat die RWE drei Anlagen
       aufgestellt, dafür zahlt der Konzern je 5.000 Euro im Jahr. Dann hat die
       Familie noch zwei eigene Windräder. Den Strom verkaufen sie für jährlich
       rund 146.000 Euro. Mit den neuen Anlagen könnte es ein Vielfaches davon
       werden. Doch das Geld, sagt Becker, ist für ihn nicht das Entscheidende.
       „Uns geht es um die Freiheit.“ Er will selbst entscheiden, was auf seinem
       Land geschieht. Teil der Bürgergesellschaft zu werden, das hätte bedeutet,
       einen Teil dieser Eigenständigkeit zu verlieren.
       
       Doch nun macht er sich Sorgen, dass seine Familie zu kurz kommt, wenn die
       Stadt die Windflächen neu zuschneidet. Denn die neuen Anlagen brauchen viel
       Abstand. Was also, wenn seine Nachbarn Baugenehmigungen bekommen? Dann,
       sagt Becker, könnte er leer ausgehen.
       
       Er beobachtet schon länger, wie sich die Erträge aus der Windkraft auf die
       Stimmung im Ort schlagen. „Die Bürger sind neidisch, mache Bauern protzen“,
       sagt er. Derzeit spekuliere jeder, wer von den neuen Plänen der Stadt
       profitieren wird, „das ist die große Unbekannte“. Ihm ist klar, dass er,
       verglichen mit jemandem wie Johannes Lackmann, nur ein kleines Licht ist.
       Genau das ist sein Problem. „Der kämpft mit knallharten Methoden“, sagt er.
       Ihn stört vor allem die Rhetorik: „Wir von hier. Wir sind regional.“ So
       rede Lackmann, wenn er die Bauern überzeugen will. Becker missfällt das, er
       fühlt sich bedrängt.
       
       ## Spannungen zwischen Nachbarn
       
       Lackmann räumt ein, dass es Spannungen gibt, Konkurrenz zwischen Nachbarn,
       Landwirte, die lieber auf eigene Rechnung arbeiten. Für manche, sagt er,
       sei die Höhe der Profite der einzige Maßstab, „Eigennutz als oberstes
       Gebot. Das ist nicht unser Ansatz. Wir wollen mit vielen gemeinsam etwas
       auf den Weg bringen.“
       
       Im Moment ist allerdings der Bürgermeister derjenige, der das Tempo
       vorgibt. Er tritt in sein Büro und drückt die Tasten auf seinem Laptop; auf
       einem Bildschirm an der Wand erscheinen Karten und Tabellen. Schon heute
       wird in Lichtenau viermal so viel Strom produziert, wie alle Haushalte
       brauchen. Das reicht doch, sagen manche. Merschjohann sieht das anders.
       „Die Saudis fördern ja auch nicht nur so viel Öl, wie sie selbst brauchen.“
       Nur will er sich nicht drängeln lassen. Doch es kann auch anders laufen:
       Der Nachbarort Bad Wünnenberg hatte keine Windzonen ausgewiesen. Deswegen
       klagten einige Bauern. Erfolgreich. Nun investiert Lackmanns Firma dort 80
       Millionen Euro in einen neuen Bürgerwindpark, die Stadt hat kein
       Mitspracherecht mehr. „Ein Horrorszenario“, sagt Merschjohann. So weit will
       er es nicht kommen lassen. Er wird neue Windflächen ausweisen. Bis Ende des
       Jahres soll feststehen, wo.
       
       2 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriela M. Keller
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Ökostrom
 (DIR) Energiewende
 (DIR) Windkraft
 (DIR) Energie
 (DIR) Freiburg
 (DIR) Energiewende
 (DIR) Energiewende
 (DIR) Ökostrom
 (DIR) Energie
 (DIR) Peter Altmaier
 (DIR) Strompreisbremse
 (DIR) Energiewende
 (DIR) Stromkosten
 (DIR) Erneuerbare Energien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Neue Agentur für Energiewende: Frische Brise für Windräder
       
       Bessere Koordination, weniger Konflikte: Der Staat plant mit Ökoverbänden
       und Industrie einen Förderverein für Windkraft an Land.
       
 (DIR) Windenergie in Deutschland: Der Herr der Windrädle
       
       Windräder kosten Milliarden und ragen hässlich in den Himmel. Geht es auch
       eine Nummer kleiner? Ja, sagt der Architekt Wolfgang Frey.
       
 (DIR) Stromexport aus Deutschland: Rekord mit Wind und Sonne
       
       Trotz der stillgelegten Atomkraftwerke hat Deutschland 2012 so viel Strom
       exportiert wie zuletzt vor fünf Jahren. Grund für den Überschuss sind
       Solar- und Windkraft.
       
 (DIR) Debatte Energiewende: Kohlekraft ist schon längst am Ende
       
       Kohlekraftwerke arbeiten heute kaum rentabel und sind zu unflexibel für den
       Strommarkt der Zukunft. Wird die Branche einsehen, dass Kohle keine Zukunft
       hat?
       
 (DIR) Deutsche Stromversorger: Kunden zahlen Gewinn
       
       Trotz sinkender Einkaufskosten erhöhen viele Lieferanten die Preise für die
       Verbraucher. Eine neue Studie relativiert die preistreibende Wirkung der
       Ökoenergie.
       
 (DIR) Debatte Energiewende: Die Brüsseler Gefahr
       
       Atomkraft und CCS fürs Klima? Die Pläne der Europäischen Union könnten den
       deutschen Umstieg auf Erneuerbare in Schwierigkeiten bringen.
       
 (DIR) Kommentar Energiegipfel: Verlierer unter sich
       
       Altmaiers Strompreisbremse ist Geschichte. Aber auch die Opposition kann
       sich auf keinen gemeinsamen Plan einigen. Was bleibt ist Wahlkampf.
       
 (DIR) Energiepolitik in Deutschland: Schneller bauen für die Wende
       
       Die Bundesregierung lobt ihre Energiewende und will Stromtrassen rascher
       fertigstellen. Umweltschützer warnen vor Aktionismus bei der
       Strompreisbremse.
       
 (DIR) Energiewende aus Bürgerhand bedroht: Kleine Projekte werden benachteiligt
       
       Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf für das Kapitalmarktgesetz
       gefährdet Bürgerenergieprojekte. Die Energiewende wird damit ausgebremst.
       
 (DIR) Streitgespräch Strompreise: „Nicht nachvollziehbare Horrorzahlen“
       
       Eine Billion Euro für die Energiewende? Das glauben weder Energielobbyist
       Stephan Kohler noch der Grüne Hans-Josef Fell.
       
 (DIR) Altmaier beziffert Kosten: Energiewende für eine Billion Euro
       
       Bundesumweltminister Altmaier fürchtet, die Energiewende könnte bis zu eine
       Billion Euro kosten. Deshalb sollen Branchen wie der Kohlebergbau mehr
       zahlen.