# taz.de -- Biografie der Punkband Slime: Symbol für Konflikte
       
       > Die Karriere der Hamburger Punkband Slime ist nun in einer Biografie
       > aufgeschrieben. Es ist auch die Geschichte der linken Szene, Hafenstraße
       > und St. Pauli.
       
 (IMG) Bild: „Wir wollten keine verschissene Avantgarde-Kacke hören“, wird Slime-Gitarrist Michael „Elf“ Mayer im Buch zitiert
       
       Man würde vielleicht nicht unbedingt auf die Idee kommen, Heinrich Heines
       „Die schlesischen Weber“ mit der Punkband Slime in Verbindung zu bringen.
       Die Richter des Bundesverfassungsgerichtes (BVG) aber hatten im Jahre 2000
       diesen gescheiten Einfall. Da erklärten sie das wahrscheinlich bekannteste
       Lied der Band, „Deutschland muss sterben“, offiziell zu „Kunst im Sinne des
       Grundrechts“.
       
       Im Gerichtssaal wurde Heines Gedicht verlesen, Slime zu dessen legitimen
       (legalen!) Erben erklärt. Der Demoveranstalter, der den Slime-Song auf
       einer Kundgebung abgespielt hatte und ein Strafverfahren am Hals hatte, war
       bis zu diesem Urteil durch alle Instanzen gezogen. Bis er vor dem BVG Recht
       bekam.
       
       Diese Anekdote aus Daniel Rysers Bandbiografie „Slime – Deutschland muss
       sterben“ erzählt viel über die Bedeutung von Slime. Ihr druckvoller Punk
       mit anarchistischen Texten ist seit jeher als Politikum mehr von
       öffentlichem Interesse gewesen als die musikalischen Qualitäten – denn das
       Rad haben Slime mit mal bluesigem, mal folkigem Punk nicht neu erfunden.
       
       Aber Slime ist ein Symbol – als Band, die vor allem im linksradikalen
       Spektrum gefeiert wurde – derart vieler politische Konflikte innerhalb und
       außerhalb der Linken, dass sie inzwischen als zeithistorisches Phänomen
       interessant sind. Der Schweizer Journalist Daniel Ryser legt nun eine
       Monografie über diese „Jukebox der linken Szene“ vor.
       
       Neben allen (Ex-)Bandmitgliedern kommen vor allem Protagonisten der
       Hamburger Punkszene zu Wort. Für Rocko Schamoni etwa waren Slime der
       „verlängerte Arm der RAF im Punkrock“. Politisch steht die Band auch für
       befremdlich anmutenden Antiimperialismus und einfältigen Antiamerikanismus.
       
       ## Reflektierter wurds erst 1984
       
       Ryser zeichnet den Werdegang Slimes vom ersten Auftritt 1979 im Hamburger
       Jugendzentrum Kiwittsmoor an nach. Als „Slime“ und „Yankees raus“, die
       ersten beiden Alben, Anfang der Achtziger erscheinen, besteht das
       Repertoire vor allem aus Antifa- und Streetpunkhymnen mit simplen
       Schwarz-Weiß-Texten: „Bullenschweine“ (der Song landet 2011 auf dem Index),
       oder „Legal, illegal, scheißegal“. Reflektierter wird es erst mit dem Album
       „Alle gegen alle“, erschienen 1984.
       
       Die Auseinandersetzungen innerhalb der Hamburger Szene kulminieren schon
       auf dem „Geräusche für die 80er“-Festival, veranstaltet von Alfred Hilsberg
       1979: Proletarische Punkbands wie die Buttocks stehen dort den
       avancierteren Postpunk-Acts gegenüber, es kommt zu Schlägereien. „Wir
       wollten keine verschissene Avantgarde-Kacke hören“, wird Slime-Gitarrist
       Michael „Elf“ Mayer im Buch zitiert, der als Zuschauer dort ist. „In
       München gab es keine strikte Trennung zwischen den Jugendkulturen“, sagt
       Ted Gaier von den Goldenen Zitronen an anderer Stelle.
       
       ## Nachdenklich oder populistisch
       
       Slime lösen sich 1984 zum ersten Mal auf. Grund war der Richtungsstreit
       zwischen Schlagzeuger/Texter Stephan Mahler und Gitarrist Christian Mevs
       auf der einen und Mayer und Sänger Dirk „Dicken“ Jora auf der anderen
       Seite. Mahler schreibt die nachdenklicheren Texte, während Jora vor allem
       populistische Slogans beisteuert.
       
       Der Konflikt um die besetzten Häuser in der Hafenstraße, in denen Jora eine
       Weile wohnt, wird ebenso geschildert wie der Anteil von Dicken an der
       Entstehung der linken Fußball-Fankultur des FC St. Pauli.
       
       Die Bandbiografie ist nicht ohne Schwächen. So beschreibt Autor Ryser im
       ersten Teil eher die gesamte damalige Hamburger Szene um das Krawall 2000
       am Fischmarkt. Stärker ist der Text, wenn er den Musikern nahe kommt. Etwa
       Mevs oder Mahler – allen voran aber Sänger Jora. Denn an Dicken reiben sich
       alle. Über diesen Konflikt wird im Buch das gesamte inhaltliche Problem von
       Slime verhandelt. Etwa, wie man antikapitalistische Kritik nach Ende des
       Kalten Kriegs neu definieren muss. Oder das Musikalische, wie sich Punk ins
       21. Jahrhundert transportieren lässt.
       
       2012 kehrten Slime übrigens mit dem Album „Sich fügen heißt lügen“ zurück.
       Es enthält vertonte Gedichte des Dichters Erich Mühsam. Musikalisch wirkt
       es wie ein überflüssiger Aufguss. Das Lied „Deutschland muss sterben“ aber,
       welches den „Soldatenabschied“ nach Heinrich Lersch („Deutschland muß
       leben, auch wenn wir sterben müssen“) elegant konterkariert, wird in
       Erinnerung bleiben. Vielleicht sogar so lange wie Heine.
       
       ## Daniel Ryser: „Slime – Deutschland muss sterben“. Heyne Verlag, München
       2013, 288 Seiten, 19,90 Euro
       
       ## Lesetour mit Slime-Unplugged: 3. 4. Wiesbaden, 4. 4. Bielefeld, 5. 4.
       Hagen, 6. 4. Osnabrück, 7. 4. Hamburg, wird fortgesetzt.
       
       3 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
 (DIR) Jens Uthoff
       
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