# taz.de -- Kuschelhormon mit Wundereffekten: Viagra-Ersatz gegen Depressionen
       
       > Das Hormon Oxytocin gilt als Allzweckwaffe: Es hilft gegen
       > Potenzstörungen, Depressionen und Süchte. Doch so ganz sicher ist das
       > alles noch nicht.
       
 (IMG) Bild: Oxytocin: die einzelnen Aminosäuren sind unterschiedlich gefärbt
       
       BERLIN taz | Glaubt man den Berichten aus der Wissenschaft, dann scheint
       das Hormon Oxytocin wahre Wunder zu bewirken. Es steht im Ruf eines
       „Kuschel-Hormons“, das die Menschen einander nahe bringt und bei
       Kontaktängsten, Autismus und Depressionen helfen soll. Selbst
       potenzschwächelnde Männer sollen durch das Hypothalamus-Hormon wieder ganze
       Kerle werden. Doch es mehren sich die Stimmen, die eindringlich vor der
       grassierenden Euphorie warnen.
       
       Der amerikanische Psychiater Kai MacDonald [1][beschreibt im Journal of
       Sexual Medicine] den Fall eines verheirateten Familienvaters, der sich
       wegen seiner Aufmerksamkeitsstörung behandeln ließ, die ihn sozial isoliert
       hatte. Die Ärzte rieten ihm zu einer Therapie mit einem oxytocinhaltigen
       Nasenspray, zwei Mal pro Tag. Das Ergebnis überraschte. Denn neben der
       Kontaktscheu besserte sich auch das Liebesleben des Mannes. Der Sex wurde
       im Verlauf der Behandlung immer besser, die vorherigen Erektionsprobleme
       verschwanden– und das sah nicht nur der Mann so, sondern auch seine
       ebenfalls befragte Ehefrau.
       
       Oxytocin als Viagraersatz – es ist der vorläufige Gipfel eines ganzen Bergs
       von möglichen Einsatzgebieten, den Forscher der letzten Jahre aufgehäuft
       haben. So entdeckte Markus Heinrichs von der Universität Zürich bei einem
       Investitionsspiel, dass dessen Teilnehmer sich untereinander mehr Geld
       liehen, sofern man ihnen vorher Oxytocin in die Nase gesprayt hatte. Und
       zwar deshalb, weil sie einander vertrauten und davon ausgingen, dass ihre
       Investition sich schon auszahlen würde.
       
       Heinrichs Kollegin Beate Ditzen forscht derzeit daran, wie sich Oxytocin
       auf die Wundheilung auswirkt. Auf die Idee dazu kam sie vor einigen Jahren,
       als sie herausfand, dass Oxytocin die Streitigkeiten in Paarbeziehungen
       entspannter und konstruktiver ablaufen lässt, weil es das Stresshormon
       Cortisol puffert – und das beeinflusst bekanntlich auch
       Selbstheilungskräfte und Immunabwehr des Menschen.
       
       ## „Ernsthaftes Blockbuster-Potenzial“
       
       An anderen Universitäten stärkte Oxytocin die Treue- und Vätergefühle bei
       jungen Männern. Außerdem scheint es eine Therapieoption für Schizophrenie,
       Alkoholsucht, Ängste und Depressionen zu sein, und als Empathieverstärker
       könnte es sogar Autisten helfen. Das sind beachtliche Potenziale, weswegen
       der amerikanische Pharma-Experte Mike Wyllie in Oxytocin „ein ernsthaftes
       Blockbuster-Potenzial“ sieht. Der Mann muss es wissen: Er etablierte in den
       1990ern Viagra als Potenzmittel auf dem Markt.
       
       Bei Internethändlern wie Amazon erhält man bereits ein oxytocinhaltiges
       Parfüm namens Liquid Trust, mit der Ankündigung: „Einmal sprühen, und die
       Menschen vertrauen Ihnen.“ Die Verkaufszahlen sind wie die Erwartungen:
       hoch. Und es kursieren auch Beschreibungen euphorischer Kunden. Doch
       möglicherweise geben sie ein recht einseitiges Bild ab.
       
       Denn das Trend-Hormon kann auch anders. An der Universität Amsterdam
       schweißte es wohl die Menschen einer kleinen sozialen Gruppe zusammen, doch
       dies ging zulasten der Akzeptanz anderer sozialer Gruppen, bis hin zur
       ethnischen Diskriminierung. In anderen Studien zeigte sich Oxytocin als
       Neidverstärker, und auch hier wiederum vor allem gegenüber Menschen, die
       man nicht kannte.
       
       ## Mehr Distanz zu einer attraktiven Frau
       
       Die einerseits zusammenkittende, andererseits abgrenzende Wirkung bestätigt
       eine Studie der Universität Bonn, in der fest liierte Männer nach einer
       Oxytocinbehandlung deutlich mehr Distanz zu einer attraktiven Frau hielten,
       die man zu ihnen ins Zimmer gesetzt hatte.
       
       Romantisierend könnte man dies als Treueverstärkung bezeichnen.
       Wissenschaftlich neutral heißt es jedoch, dass Oxytocin die Nähe zu
       Bewährtem suchen und den Kontakt zu Fremden meiden lässt. In vielen Fällen
       wirkt es aber auch gar nicht. Die New Yorker Psychiaterin Jennifer Bartz
       hat insgesamt 52 Studien zu Oxytocin auf ihre Aussagekraft abgeklopft, und
       sie fand gerade mal bei der Hälfte von ihnen signifikante
       Wirkungsnachweise.
       
       Offenbar hängt die Wirkung von vielen äußeren Faktoren ab, wie etwa
       Testsituation, Messzeitpunkt und Aufgabenstellung. Zudem benötigt Oxytocin
       spezifische Rezeptoren, an denen es andocken kann – und deren
       Beschaffenheit und Verteilung kann sehr unterschiedlich sein. So können
       Männer durch Oxytocin mutiger werden, während es Frauen sogar empfänglicher
       für Bedrohungen macht. Für die Therapie von Ängsten kann solch ein
       Unterschied jedoch entscheidend sein.
       
       ## Geburtshelfer Oxytocin
       
       Seriöse Wissenschaftler sind daher skeptisch im Hinblick auf die
       propagierten Wirkungen von Oxytocin. Es wird wohl in der Medizin fürs Erste
       auf seine klassischen Einsatzgebiete beschränkt bleiben, nämlich das
       Einleiten und Erleichtern von Geburt und Stillen.
       
       Was freilich in Zeiten des Internets dem rezeptfreien Einsatz keinerlei
       Grenzen auferlegt. So wirbt der Anbieter des Produkts Oxytocin Factor mit
       den Worten: „Nie wieder Furcht und Sorgen.“ Es gibt Sekten, in denen man
       die gleichen Formeln hört.
       
       6 Apr 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1743-6109.2012.02703.x/abstract
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörg Zittlau
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Depression
 (DIR) Viagra
 (DIR) Medizin
       
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