# taz.de -- Ottmar Schreiner ist tot: Mutiger als die anderen
       
       > Der leidenschaftlichste Kämpfer gegen Gerhard Schröders
       > Agenda-2010-Politik in der SPD ist am Samstag an Krebs gestorben. In
       > seiner Partei war er oft ziemlich einsam.
       
 (IMG) Bild: Ein Verteidiger der Sozialdemokratie gegen die Schröderianer: Ottmar Schreiner.
       
       BERLIN taz | Das sei mit ihm wie mit dem berühmten alten Zirkusgaul, sagte
       Ottmar Schreiner und lächelte mit gespitztem Mund: „Wenn die Musik
       erklingt, schwinge ich die Hufen.“
       
       Es sah nicht aus, als wolle er ablassen von der Politik und von seiner SPD,
       oh nein, auch 2009 ging er noch einmal in den Bundestag. Das erhoffte
       Ministeramt im Saarland hatten ihm seine Genossen dann doch verwehrt; nun
       aber wollte er sich in Berlin die Rentenpolitik vornehmen, Altersarmut sei
       das nächste große Thema. „Dank SPD-Reformen: Wer 45 Jahre lang
       durchschnittlich verdient, landet im Alter auf Grundsicherung!“, schnaubte
       er, nie um ergänzendes Zahlenmaterial verlegen.
       
       Aber um noch einmal eine richtige Welle zu machen, hat es nicht mehr
       gereicht. Der Krebs schlug zu. Schreiner erholte sich, dann gewann wieder
       die Krankheit und herrschte über ihn den ganzen langen Winter hindurch.
       
       ## Schwere Tränensäcke
       
       Hätte er nicht einmal einen Kampf gewinnen können? Niemand in der SPD warf
       sich vor zehn Jahren mit derartiger Vehemenz und solchem Mut der „Agenda
       2010“ von Kanzler Gerhard Schröder entgegen. Gereizt, wütend, die schweren
       Tränensäcke in den Talkshows wie ein Ausweis seiner Kränkung: Er
       verteidigte hier die Sozialdemokratie gegen den Kanzler! Gegen die
       arbeitgeberfreundliche Medienmacht! Er wurde dafür behandelt wie ein
       Sonderling von Leuten, die das Wort „Arbeitslosenhilfe“ vor einer halben
       Stunde das erste Mal gehört hatten!
       
       Schreiner, aus kleinen Verhältnissen, Kurzzeitsoldat, Jurist aus dem
       Saarland, war einer der engsten Vertrauten Oskar Lafontaines, wurde nach
       dem Antritt von Rot-Grün 1998 Bundesgeschäftsführer der Partei. Nachdem
       Lafontaine wenige Monate später seine Ämter hinwarf, wartete Gerhard
       Schröder nicht lange, um auch Schreiner abzusägen. Er wurde zusammen mit
       dem ganzen Posten aus der Parteizentrale entfernt. Statt dessen gab es ab
       1999 dann einen „Generalsekretär“ – Franz Müntefering.
       
       Als Chef der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen war Schreiner ab
       2000 dann immerhin ein Posten im Parteivorstand – und ein offizielles Maß
       an Respekt in den Reihen der Schröderianer sicher. Ihm den echten Respekt
       zu rauben, ihn als Ewiggestrigen in eine Reihe müffelnder alter Männer zu
       schieben, daran arbeiteten viele in der SPD fleißig. Ein berlin-mittig
       schnittiger Zeitgeist half ihnen dabei.
       
       Schreiner keilte zurück. Seine Verachtung für eine Parteiströmung – die
       „Netzwerker“ –, die sich „nicht links und nicht rechts“ nannte, war
       beträchtlich. „Nichts gelesen und an nichts interessiert“ wäre treffender,
       meinte er.
       
       ## Ohne Rücksicht auf persönliche Verluste
       
       Besser als die Presse, die ständig irgendwo eine mächtige und
       Schröder-gefährdende „Parteilinke“ am Werke sah, wusste Schreiner, wie
       einsam er war. Zu viele Rede-Gefechte mit Schröder oder Müntefering musste
       er in der Fraktion allein bestreiten. Manche, die sich gern als
       „Aushängeschild der Linken“ handeln ließen, würden Ideen und Argumente
       demnächst zugunsten einer Parteikarriere zurückstellen, deutete er an. Er
       behielt übrigens Recht.
       
       Schreiner dagegen kämpfte ohne Rücksicht auf persönliche Verluste für
       Menschen, mit denen er fühlte: Arbeitslos gewordene Mittfünfziger zum
       Beispiel, denen die Hartz-Reform den Lebensstandard für immer rauben würde.
       Im Saarland war ja für jeden sichtbar, dass sich nicht jedes
       Arbeitsplatzversprechen erfüllte. Den Abschied von 250 Jahren
       Steinkohle-Bergbau und 70.000 Arbeitsplätzen verkraftet das winzige
       Bundesland nur schwer.
       
       Doch war Schreiners Kampf gegen die Agenda-Politik mehr als bloß
       Interessenvertretung für seine Klientel, seine Leute in Saarlouis und
       ringsherum. Das war Gefühl, eine leidenschaftliche Einsicht, wie mühsam die
       Verlierer am Arbeitsmarkt sich Lebensfreude und Selbstachtung
       zusammenbasteln, dass sie keinen Tritt in die Kniekehlen verdienen.
       
       Dass allzuviele SPD-Wählerinnen und Wähler ihrer Parteispitze die
       Agenda-Politik nicht verzeihen würden, hat Schreiner vorhergesehen. Den
       Aus- und Umstieg in eine neue Linkspartei unter seinem Freund Lafontaine,
       der diesen Niedergang zu beschleunigen trachtete, wollte er doch nicht
       mitmachen. „Ich bin jetzt zu lange in der SPD, es soll meine Partei
       bleiben“, sagte er.
       
       Am Samstag ist Schreiner mit 67 Jahren gestorben.
       
       7 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Winkelmann
       
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