# taz.de -- Jonas Mekas im Wiener Filmmuseum: Einfache Freuden, Ekstasen, Glück
       
       > Er ist der große alte Mann des US-amerikanischen Avantgardefilms. Im
       > Wiener Filmmuseum stellt Jonas Mekas jetzt seine Werke vor.
       
 (IMG) Bild: Jonas Mekas in seinem Film „Scenes from the Life of Andy Warhol“ (1965-82/90, Ausschnitt)
       
       Erinnerungen sind wie ein Haus, das man bewohnen kann. Um sich an einem
       fremden Ort wohlzufühlen, muss man also durch ein paar Zimmer, Gänge und
       Stockwerke gegangen und dort anderen Menschen begegnet sein.
       
       „1965, also 15 Jahre nachdem ich von Litauen nach New York gekommen bin,
       hatte ich endlich genug Erlebnisse gesammelt, um an bestimmten Straßen im
       East Village oder von Soho dieses Gefühl der Zugehörigkeit zu bekommen“,
       erinnert sich Jonas Mekas an seine ersten Jahre in New York, als wir uns in
       einem Hotel am Wiener Petersplatz zum Gespräch treffen.
       
       Seine „Wiedergeburt“ erlebte der Filmemacher, Poet und Gründer des
       Anthology Film Archive, einer zentralen New Yorker Institution für den
       experimentellen Film, allerdings schon ein paar Jahre davor, als er vom
       Einwanderermilieu in Brooklyn und vor der Wehmut über die verlorene Heimat
       nach Manhattan hinüberwechselte: „Dort begann mein Leben mit dem Film, mit
       der Kultur. Ich ließ mein altes Ich zurück. Im Kino wuchs ich wie ein Kind
       nochmals auf. Da fühlte ich mich sofort wie daheim.“ Sein Tagebuchfilm
       „Lost Lost Lost“ (1976) erzählt von dieser Neuerfindung.
       
       Mekas, den man immer wieder als den Paten des US-amerikanischen
       Undergroundkinos bezeichnet hat, wurde im vergangenen Jahr zu Weihnachten
       90 Jahre alt. Nach der Serpentine Gallery in London und dem Centre Pompidou
       in Paris wird sein Werk nun auch in Wien gezeigt: Eine [1][Retrospektive]
       ist im Filmmuseum, eine Ausstellung bei Krinzinger Projekte zu sehen.
       
       ## In die Köpfe gelangen
       
       Mekas’ Beziehung zur Stadt Wien ist eng, denn die österreichische
       Avantgarde der 1960er Jahre war mit jener der USA gut vernetzt. In der
       Ausstellung sind so auch Mekas’ neu angefertigte Porträts von drei
       österreichischen Freunden zu sehen, jene des Filmemachers Peter Kubelka,
       mit dem er das Anthology Film Archive gegründet hat, des Malers Hermann
       Nitsch und des 2010 verstorbenen Architekten Raimund Abraham.
       
       Die Porträts von Kubelka und Abraham sind jeweils sechs Stunden lang.
       „Monumental!“, so Mekas, in dem immer noch das Feuer der Begeisterung
       lodert: „In meinen Porträts gebe ich den Menschen Raum, lasse sie reden,
       sodass man wirklich in ihre Köpfe gelangt und ihre Arbeitsweise versteht.“
       Das Material dazu stammt aus den letzten 40 Jahren – solange eben auch
       diese Freundschaften schon existieren. Das Beste wäre, sagt Mekas, man
       könnte die Filme nach Hause mitnehmen, wie Bücher – man würde ja
       schließlich auch nicht in der Buchhandlung lesen.
       
       Mekas’ Freundschaften mit Künstlern haben sein ganzes Werk geprägt. Robert
       Frank, George Maciunas, Ken Jacobs, Yoko Ono, Jackie Kennedy, natürlich
       Andy Warhol, um nur ein paar wenige zu nennen, sind in seinen Filmen zu
       sehen. Aber Mekas betrachtet sich selbst nicht als Chronisten, nicht einmal
       autobiografisch will er die Arbeiten nennen: „Ich habe bis heute nicht ganz
       begriffen, was ich da tue“, sagt er und lacht auf:
       
       „Ich verstehe mich mehr als Anthropologe, als anthropologischer
       Filmemacher. Ich nehme nicht nur mein eigenes Leben auf, sondern Momente,
       Aktivitäten der Menschheit – man kann sie an vielen Orten der Welt
       wiederfinden. Es sind universelle Momente der Freude, des Feierns,
       Erinnerungen, Ereignisse, die nicht außergewöhnlich sind, sondern
       alltäglich. Ein jeder kann sich damit identifizieren.“
       
       ## Saufgelage mit Freunden
       
       „Nothing is happening in this film.“ So lautet denn auch in einem seiner
       umwerfendsten Werke, „As I Was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief
       Glimpses of Beauty“ (2001), das Credo. Der Film ist ein rund fünfstündiger
       Fluss aus flüchtigen Momenten des Lebens: eine Frau im Bett, der Vorhang
       weht sanft ins Zimmer, dahindämmernde Katzen, Saufgelage mit Freunden.
       Immer wieder wird von Mekas’ typischem Singsang, dem Voice-over, die
       Schönheit der Welt beschworen, die eine Schönheit der Bilder ist, am
       Schneidetisch arrangiert.
       
       Mekas’ Blick gilt der dionysischen Seite des Daseins, Ekstasen, auch den
       einfachen Freuden: „Ich interessiere mich nicht für die Dunkelheit meiner
       Zeit, für all die Grausamkeiten. Davon gibt es ohnehin genug. Ich bevorzuge
       die andere Seite. Ich bin der Propagandafilmer des Glücks.“
       
       Ist dieser Vorrang des Schönen eine Reaktion auf seine Kindheit und die
       Flucht vor den Russen und den Deutschen? „Meine Kindheit war sehr
       glücklich. So lange, bis jene einmarschiert sind, die glaubten, wir sind
       nicht glücklich, und uns ihr Glück aufzwingen wollten.“
       
       ## Vorbild Beat-Generation
       
       Mekas’ Filmarbeiten – seit den 1990er Jahren dreht er auf Video – sind alle
       direkt in der Kamera geschnitten (wobei da kleinere Zweifel berechtigt
       sind), nachträglich werden nur die Zwischentitel eingefügt, Stellen
       geklebt. Als er in den 1950ern zu filmen begonnen hat, sei ihm noch nicht
       klar gewesen, was er da eigentlich tue: „Das Werkzeug ist da, aber man muss
       auch zu einer bestimmten Geistesgegenwart gelangen. Ich war noch in diesem
       alten System gefangen.“
       
       Mekas’ erste Filmarbeit, „Guns of the Trees“ (1961), war noch viel
       narrativer, der Gefängnisfilm „The Brig“ (1964) danach ein
       Living-Theatre-Projekt. „Ich benötigte Zeit, um mich zu befreien. Es hat
       bestimmt zehn Jahre gedauert, um die Kamera richtig zu bedienen.“ Geholfen
       hat das Vorbild der Beat-Generation in den 50ern, Schriftsteller oder
       Filmemacher wie Jack Kerouac und John Cassavetes, die auf Improvisationen
       setzten.
       
       1954 gründete Mekas gemeinsam mit seinem Bruder Adolfas die Zeitschrift
       Film Culture, die zwar die ganze Bandbreite des Kinos thematisierte, sich
       aber bald zum publizistischen Leitblatt des New American Cinema
       verwandelte. Eine wichtige Funktion als Kritiker übte Mekas auch als
       Kolumnist der Village Voice aus.
       
       Welche Ziele verfolgte er mit dieser Öffentlichkeit? „Meine Funktion
       bestand nicht so sehr darin, das Alte zu attackieren, als darin, das Neue
       zu verteidigen“, sagt Mekas durchaus kämpferisch. Er wollte
       Aufmerksamkeiten schaffen, das Neue beschreibbar machen. „Ich war für das
       amerikanische Undergroundkino der Verteidigungsminister und
       Informationsminister in einem!“
       
       ## Ein eigenes Vertriebszentrum
       
       Mekas war immer gut darin, neuartige Perspektiven zu entwickeln, im Film
       wie im wirklichen Leben. „Mir wurde klar, wir dürfen nicht die vorhandenen
       Verleiher auffordern, unsere Filme zu zeigen, die sie ja nicht gut fanden,
       vielmehr benötigen wir unser eigenes Vertriebszentrum. Also gründeten wir
       die ’Filmmaker’s Cooperative‘. Das ging richtig gut, und wir waren unter
       uns, wir hatten Kontakte zu Universitäten und Museen.“
       
       Diese Freude an immer wieder neuen Formen hat sich Mekas bis ins hohe Alter
       bewahrt. Auf seiner [2][Homepage] führt er sein visuelles Tagebuch weiter,
       2007 hat er mit „365 Days“ sogar jeden einzelnen Tag eines Jahres mit einem
       eigenen Beitrag gewürdigt, insgesamt 36 Stunden Material. Die
       Vergänglichkeit des Lebens beschäftigt ihn aber nicht per se: „Zeit
       interessiert mich an und für sich nicht. Die Kamera kann ja nicht in die
       Vergangenheit zurückgehen, sondern nur das aufzeichnen, was sich vor der
       Linse abspielt. Jeder Frame, jede Sekunde meiner Filme ist ein
       gegenwärtiger Moment.“
       
       Versteht er die Filme als Erinnerungen? Mekas lacht wieder auf: „Sie sind
       Erinnerungen! Lauter vergangene Momente, die ich aufgezeichnet habe. Wir
       sind selbst das letzte Blatt auf dem Baum der Menschheit mit Erinnerungen
       an die vor uns.“ Dafür, dass zumindest das filmische Gedächtnis ein wenig
       länger erhalten bleibt, kämpft Mekas mit dem Anthology Film Archive nun
       schon seit Jahrzehnten. Dringend realisiert gehöre eine Bibliothek, die
       noch Raimund Abraham entworfen hat. Mekas gehen die Ideen nicht so bald
       aus: „Das wird mich sicher die nächsten zwei, drei Jahre beschäftigen.“
       
       Retrospektive der Filme von Jonas Mekas: bis 29. April, Filmmuseum Wien.
       Vom 11. bis zum 17. April laufen außerdem acht Programme aus den Beständen
       des Anthology Film Archive.
       
       11 Apr 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.filmmuseum.at/jart/prj3/filmmuseum/main.jart?rel=de&content-id=1216720898687&schienen_id=1355220831449&reserve-mode=active
 (DIR) [2] http://www.jonasmekas.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominik Kamalzadeh
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Moderne Kunst
 (DIR) Filmfestival
 (DIR) New York
       
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