# taz.de -- Radplanung in Städten: „Da geht es hoch her“
       
       > Warum haben Radfahrer so wenig Platz in der Stadt? Weil das alles nicht
       > so einfach ist, sagt der Fahrradbeauftragte von Stuttgart.
       
 (IMG) Bild: Man zieht nicht einfach nur einen weißen Streifen auf die Fahrbahn und dann ist der Radweg fertig, sagt der Fahrradbeauftragte.
       
       sonntaz: Herr Köhnlein, Sie sind seit 20 Jahren für den Fahrradverkehr in
       Stuttgart zuständig, seit 2004 Fahrradbeauftragter. Wie in vielen anderen
       Städten gibt es dort noch viel zu wenige Radstreifen. Warum kann man nicht
       einfach auf alle großen Straßen einen weißen Strich malen, der Platz
       schafft für Radfahrer? 
       
       Claus Köhnlein: Wenn das mal so einfach wäre. Wir haben ja in Stuttgart auf
       vielen Kilometern Radfahrstreifen. Aber es reicht nicht, einfach einen
       weißen Strich auf die Straße zu malen. Zuerst muss die Fläche dafür
       vorhanden sein. Das heißt, entweder es muss eine bisherige Kfz-Fahrspur für
       Radfahrer umgenutzt werden, oder es müssen eventuell Parkplätze zugunsten
       des Radfahrstreifens beseitigt werden. Und dann melden sich auch die
       Autofahrer zu Wort. Die rufen mich dann manchmal erbost an, und meinen, wir
       kümmern uns um Radfahrer und lassen sie im Stau stehen. Da geht es hoch
       her.
       
       Was sagen Sie denen? Fahrt Rad? 
       
       Ich antworte sachlich, um die Stimmung nicht weiter zu reizen, und versuche
       die Situation auf fachlicher Ebene zu erklären.
       
       Im Fahrradklimaindex des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs belegt
       Stuttgart Platz 30 von 38 Plätzen. Der Anteil der Radfahrer liegt einer
       Befragung zufolge bei 5 Prozent. In Berlin etwa sind es 15, in Münster
       sogar mehr als 30 Prozent. Was machen Sie falsch? 
       
       Stuttgart kann nicht mit traditionellen Fahrradstädten wie Freiburg oder
       Münster konkurrieren. Im Stuttgarter Kessel sind bis zu 300 Höhenmeter und
       Steigungen bis zu 20 Prozent zu überwinden. Außerdem wurde Stuttgart nach
       dem Krieg als autogerechte Stadt aufgebaut. An den Radverkehr haben viele
       nicht gedacht.
       
       Warum ist es so schwer, daran etwas zu ändern? 
       
       Das braucht alles einen langen planerischen Vorlauf. Vor zwanzig Jahren
       waren Radfahrer die, die am Wochenende mit der Familie unterwegs waren, um
       an den See zu fahren. Und überwiegend für diese Radfahrer wurde geplant.
       Ich habe versucht, die Verwaltung zu sensibilisieren. Wir haben aber immer
       noch viele veraltete Radwege an kleinen Nebenstraßen. Wenn man sie bewusst
       auf die Hauptstrecken führen möchte, wird es schwierig. Viele Flächen sind
       bereits für andere Verkehrsarten verteilt: Stadtbahn, Parkplätze und
       mehrspurige Hauptstraßen. Nachträglich muss man viel investieren, wenn man
       den Platz schaffen will.
       
       Das dürfte doch im Sinne des grünen Oberbürgermeisters sein. 
       
       Fritz Kuhn hat gesagt, dass er die Stadt fahrradfreundlicher machen will.
       Er weiß aber auch, dass das nicht von heute auf morgen geht. So wie ich ihn
       verstehe, will er, dass sich alle Verkehrsteilnehmer auf Augenhöhe
       begegnen. Er weiß, dass er im Gemeinderat einen grundsätzlichen Konsens
       braucht. Der Gemeinderat hatte in den letzten Jahrzehnten andere
       Schwerpunkte.
       
       Und da konnten Sie gar nichts bewirken? 
       
       Doch, konnte ich. Vor zehn Jahren gab es einen Grundsatzbeschluss.
       Radfahrer sind seitdem fester Bestandteil der Verkehrsplanung.
       
       Konkret scheint sich trotzdem wenig zu ändern. 
       
       Wenn die Politik das jahrzehntelang nicht unterstützt, kann ich noch so
       viele Planungen machen. Wenn der Gemeinderat sagt, wir wollen zwar
       Fahrradförderung …
       
       … aber nicht hier … 
       
       … genau, aber nicht da, wo sie den Kfz-Verkehr stören, dann ist das
       schwierig. Da muss ein Lernprozess stattfinden. Ich muss dann zeigen, wie
       konkrete Fahrradförderung aussehen kann. Ich muss die Route planen und viel
       Überzeugungsarbeit leisten.
       
       Sind das alles Autofahrer im Gemeinderat? 
       
       Nein. Aber oft war die Mehrheit der Ansicht, dass der Autoverkehr wichtiger
       ist als die Radfahrer. Seit drei Jahren hat auch der Gemeinderat eine
       andere Mehrheit. Die Politiker, die selber Rad fahren, bekommen ein
       stärkeres Gefühl dafür. Es macht unheimlich Spaß. Man ist viel relaxter.
       Vieles, was früher abgelehnt wurde, wird jetzt positiv besprochen. Wir
       verteilen die Verkehrsflächen zugunsten des Fahrradverkehrs neu, indem zum
       Beispiel die zweite Kfz-Fahrspur für den Fahrradverkehr zur Verfügung
       gestellt wird.
       
       Als Radfahrer muss man an manchen Kreuzungen an zwei Ampeln halten, damit
       die anderen Autofahrer schneller Grün kriegen. Immer alles aus der
       Autoperspektive. 
       
       Nicht alles, aber in vielen Leuten ist diese Denkweise noch drin. Und
       Stuttgart ist auch bekannt als Kfz-Stau-Hauptstadt. Je mehr ich für den
       Radverkehr mache, bei den Ampeln etwa, desto mehr nehme ich zeitlich dem
       Autoverkehr. Dadurch entsteht eventuell ein längerer Rückstau.
       
       Ist doch gut. Dann fahren mehr Leute Rad. 
       
       Wir wollen, dass jeder fünfte Verkehrsteilnehmer mit dem Rad unterwegs ist.
       Der Oberbürgermeister hat schon mal erwähnt, dass Radlern an manchen
       Kreuzungen Vorzug zu geben ist.
       
       Müsste man sich mal für ein Auto vorstellen: dass es in zwei Schritten über
       eine Kreuzung kommt. Da würden die Autofahrer aber schön austicken. 
       
       Das ist eine politische, weniger eine Planungsfrage. Es gibt Kollegen, die
       das für den Gesamtverkehr berechnen. Was bedeutet es, wenn ich die
       Ampelschaltung für die Radfahrer ändere? Dann werden dem Gemeinderat die
       Auswirkungen vorgestellt. Der beschließt oft einen Kompromiss, denn große
       Staus will man nicht verursachen. Zugegeben: Für Radler kann Stuttgart noch
       einiges machen.
       
       Konnten Sie mal eine Ampelphase ändern lassen? 
       
       Ja. Da habe ich mit Politikern und Politikerinnen Fahrradumfahrten gemacht
       und gesagt: Guckt mal, da fahren auch ein paar tausend Leute Rad. Wisst
       ihr, was das bedeutet, wenn ich ewig an der Ampel stehe? Das muss man erst
       mal aus der Perspektive eines Radfahrers erfahren.
       
       Woran arbeiten Sie gerade? 
       
       Ich verantworte gerade viele Baustellen, wenn Sie so wollen. Vor allem,
       weil aus zwei- oder mehrspurigen Straßen durch die Umverteilung der
       Verkehrsflächen Spuren für den Radverkehr geschaffen werden. Da werden
       Hauptverkehrsadern aktiv pro Fahrrad zurückgebaut. Und zwar mit allem Drum
       und Dran. Mit Grünphasen und zwei Meter breiten Wegen nur für Radfahrer.
       
       Wie lange mussten Sie das vorbereiten, was jetzt passiert? 
       
       Vor zehn Jahren gab es die ersten Pläne. Erst muss die Verwaltung überzeugt
       werden, dann die Politik, am besten zum richtigen Zeitpunkt, man muss die
       Mehrheitsverhältnisse kennen. So ein Großumbau dauert einige Jahre.
       Kleinere Dinge, Einbahnstraßen für Räder öffnen zum Beispiel, geht
       natürlich schneller.
       
       Und trotzdem: 5 Prozent Radfahrer. 
       
       Ich habe aber den Eindruck, dass der Radverkehr zunimmt. Wir wollen von 5
       auf 20 Prozent.
       
       Bis 2095? 
       
       Nein, früher. Hauptradrouten sollen den Radverkehr zügig durch die Stadt
       führen. Die ersten drei werden gerade gebaut, das kostet jährlich 2,4
       Millionen Euro. 1990 hatten wir noch 380.000 Euro. Jeder fünfte Stuttgarter
       ein Radfahrer, das werde ich noch erleben.
       
       Die Titelgeschichte "Die Ampel ist rot. Ich trete!" - Bekenntnisse eines
       Kampfradlers - lesen Sie in der [1][taz.am wochenende vom 27./28. April
       2013].
       
       29 Apr 2013
       
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 (DIR) [1] http://bit.ly/17vqaM6
       
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