# taz.de -- Nebenkläger zum NSU-Prozess: „Das Vertrauen ist schwer angegriffen“
       
       > Die Erwartungen der Opfer-Familien im NSU-Prozess sind hoch: Die
       > Nebenkläger wollen, dass behördliches Versagen und die Unterstützer
       > thematisiert werden.
       
 (IMG) Bild: Ismail Yozgat und seine Frau Ayse auf einer Gedenkveranstaltung anlässlich des siebten Todestages ihres Sohnes Halit.
       
       Am 6. April 2006 wurde Halit Yozgat zum vermutlich vorletzten Opfer des
       NSU. Ein anwesender Mitarbeiter des Verfassungsschutzes will nichts
       mitbekommen haben. Nicht nur diesen Vorfall wollen die Nebenkläger der
       Familien im NSU-Verfahren hinterfragen. 
       
       taz: Welche Hoffnungen verbinden ihre Mandanten mit der Nebenklage? 
       
       Alexander Kienzle: Die Hoffnung der Familie Yozgat ist nicht primär an der
       Verurteilung oder dem konkreten Strafmaß für Frau Zschäpe oder andere
       Angeklagte orientiert. Für die Familie geht es darum, dass sie in einem
       transparenten und rechtsstaatlichen Verfahren die behördlichen
       Verstrickungen und Kenntnisse aufgeklärt wissen will. Die Familie selbst
       wurde unmittelbar nach der Tat reflexartig zum Gegenstand der Ermittlungen
       und musste im privatesten Bereich Transparenz für die Ermittler herstellen.
       Diese Transparenz erwartet sie jetzt spiegelbildlich auch von
       Verfassungsschutzämtern und Polizeibehörden.
       
       Bis heute ist die Rolle eines anwesenden Verfassungsschutzmitarbeiters bei
       dem Mord nicht geklärt? 
       
       Das LKA versuchte seinerzeit, auch weitergehende Kenntnisse über Quellen,
       Verbindungen und Hintergründe des Verfassungsschützers zu erlangen. Sie
       stieß dabei schnell auf eine Blockade durch das Landesamt für
       Verfassungsschutz. Die Quellen, die der Verfassungsschützer führte, wurden
       kaum für Erkenntniserlangung freigegeben; insgesamt gab es keine
       Kooperation bei der Aufklärung der Mordstraftat. Bis auf politisch höchste
       Ebene im Innenministerium wurde dieses Vorgehen gedeckt.
       
       Ist dieses „Nicht-Aufklären-Wollen“ für ihren Mandanten nicht ernüchternd? 
       
       Das Vertrauen in die Institutionen dieses Rechtsstaats ist schwer
       angegriffen. Auch deshalb ist die Hoffnung der Familie, dass jetzt das
       Strafverfahren Transparenz schafft. Gerichte sind – der Gesetzestheorie
       nach – nicht politisch gebunden.
       
       Die Familie selbst fragte bei den Ermittlern nach, ob nicht rassistische
       Tatmotive berücksichtigt werden müssten? 
       
       Ja, die Ermittler wandten sich dennoch trotz fehlender Anhaltspunkte sofort
       dem Umfeld der Familie zu, es wurden Telefone abgehört, Finanzermittlungen
       vorgenommen, so genannte Umfeldermittlungen durchgeführt. Statt der Familie
       das Gefühl zu geben, den oder die Mörder ihres Sohnes und Bruders zu
       suchen, sahen sich die Mandanten selbst kriminalisiert.
       Ermittlungshypothesen waren – ausgesprochen oder unausgesprochen – mafiöse
       Strukturen, Betäubungsmittelkriminalität, Schutzgeld. Dies alles bar jeder
       Fakten. Daran änderte sich auch nichts, als Herr Yozgat die Ermittler
       darauf aufmerksam machte, dass nach seiner Ansicht nur ein
       fremdenfeindliches Motiv für die Straftat in Betracht komme.
       
       Die Erwartung an das Verfahren ist von den Angehörigen der NSU-Opfer sehr
       hoch. Die Zeugenliste legte jedoch nahe, das bestimmte Fragen wie zu den
       Unterstützern gar nicht erst beantwortet werden könnte? 
       
       Das Gericht will das Verfahren wie ein gewöhnliches Schwurgerichtsverfahren
       durchführen und sich dabei auf das unmittelbare Tatumfeld beschränken
       möchte. Es soll einzig die Anklage nachvollzogen und an der Ermittlung der
       einzelnen Straftat und deren unmittelbarer Zuordnung die Grenze gezogen
       werden. Die eigentliche Dimension – Unterstützer, behördliche
       Verstrickungen und Kenntnisse – soll keine Rolle spielen. Die Mandanten
       sind sich auch dieser Gefahr bewusst. Sie wissen aber auch um Sinn und
       Zweck der Nebenklage in einem solchen Verfahren, die solche Aspekte
       thematisieren kann.
       
       Ein Strafverfahren ist kein Untersuchungsausschuss. Könnte es passieren,
       dass den Verstrickungen des Verfassungsschutzes nicht nachgegangen werden ,
       da sie nicht prozessrelevant sind? 
       
       Nach unserer Überzeugung wird sich die Straftatserie nicht aufklären
       lassen, ohne die weiteren Aspekte aufzuklären. Ein Beispiel: Eine Vielzahl
       behördlicher Kenntnisse und Kontakte zusammengenommen hätten ggf.
       ausreichen können, um die Serie deutlich früher aufzuklären und damit zu
       stoppen. Ein derartiges behördliches Mitverschulden müsste dann auch in dem
       Verfahren gegen die konkreten Angeklagten eine Rolle spielen. Nur so lässt
       sich die individuelle Schuld korrekt bemessen.
       
       Sie meinen, dass wenn Geheimdienste und Polizeibehörden frühe Erkenntnisse
       nicht nutzen um das Trio zu stoppen, sie mit verantwortlich wären für die
       weiteren Morden wie an Yozgat? 
       
       Das ist genau der Punkt. Sollte sich herausstellen, dass das Trio und deren
       Unterstützer nur wegen behördlichen Versagens dauerhaft unerkannt bleiben
       konnten, wäre dies auch in dem Münchner Verfahren von herausragender
       Bedeutung.
       
       5 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Speit
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
 (DIR) Halit Yozgat
 (DIR) Rechtsextremismus
 (DIR) Verfassungsschutz
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
 (DIR) Anja Sturm
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
 (DIR) Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
 (DIR) NSU-Prozess
 (DIR) Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
 (DIR) NSU-Prozess
 (DIR) NSU-Prozess
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Anwälte im NSU-Prozess: Drei für Zschäpe
       
       Heer, Stahl und Sturm: Die Anwälte von Beate Zschäpe werden beim
       NSU-Prozess die Indizienkette der Anklage infrage stellen.
       
 (DIR) Erwartungen an den NSU-Prozess: Der lange Weg zur Wahrheit
       
       Ist Beate Zschäpe Täterin? Oder schuf sie die Fassade des Neonazi-Trios und
       wusste von nichts? Am Montag beginnt der Prozess gegen Zschäpe und vier
       weitere Angeklagte.
       
 (DIR) NSU-Prozess beginnt: Morde, Bomben, Raubüberfälle
       
       Es wird ein gigantisches Verfahren. Das Münchner Oberlandesgericht
       verhandelt ab Montag die beispiellosen Taten des NSU.
       
 (DIR) NSU-Prozess: „Keine Aufklärung erwartet“
       
       Die Anwälte der Familie des ermordeten Süleyman Tasköprü dämpfen die
       Erwartungen: Mit Erkenntnissen über die politischen Hintergründe sei nicht
       zu rechnen.
       
 (DIR) Ein Prozess in der Provinz: Wo fängt rechts an?
       
       Tobias M. mag keine Leute, die von Sozialhilfe leben und trotzdem einen
       Flachbildfernseher haben. Also zündelt er vor einem Haus, in dem Migranten
       wohnen.
       
 (DIR) Presse-Auslosung im NSU-Prozess: Aufregung ohne Ende
       
       Vertreter der NSU-Opferangehörigen fürchten eine erneute Verschiebung des
       Prozess-Auftakts. Die erste Klage ist schon auf dem Weg nach Karlsruhe.
       
 (DIR) Kommentar Presseplätze im NSU-Prozess: Die Zufallspolitik der Tombola
       
       Die Verlierer mosern jetzt zwar, dass auch das Losververfahren Mist sei.
       Doch auf jeden Fall ist es besser als das, was das Oberlandesgericht bisher
       geboten hat.
       
 (DIR) Kameras im NSU-Prozess: Videoanlage bleibt unbenutzt
       
       Das Münchener Oberlandesgericht hat für den Prozess gegen Beate Zschäpe
       eine Videoanlage angeschafft. Doch die Bilder werden nicht in einen
       Nebensaal übertragen.