# taz.de -- Kunstmahnmal: Märchenszenen eines Leibeigenen
       
       > Der Autor Bruno Schulz überlebte im Getto. Seine später geschändete
       > Bilderkammer zeigt der Filmemacher Benjamin Geissler im
       > Martin-Gropius-Bau.
       
 (IMG) Bild: Kinderzimmerfresken mit Metaebene. Reste von Schulz’ Bilderkammer (Ausschnitt)
       
       Die Bilderkammer des polnischen Schriftstellers Bruno Schulz existiert nur
       noch als virtueller Raum. Dafür aber maßstabsgetreu und in all den
       verschiedenen Stadien ihrer Zerstörung. Der Filmemacher Benjamin Geissler
       hat diesen engen, mit Fresken geschmückten Raum rekonstruiert und gemahnt
       damit der letzten Monate in Schulz’ Leben, aber auch einer Kunstraubposse
       zwischen der Ukraine und Israel. Geisslers mobile Installation wird seit
       Ende April auf ein Glaszelt am Martin-Gropius-Bau projiziert.
       
       Schulz, den sein Roman „Die Zimtläden“ international bekannt machte, wurde
       am 19. November 1942 in Drohobytsch – im galizischen Dreiländereck von
       Polen, Slowakei und Ukraine – auf offener Straße erschossen: Kurz vor
       seiner geplanten Flucht aus dem Getto, in dem er seit dem Einmarsch der
       Nationalsozialisten damit rechnen musste, wie die anderen jüdischen Männer,
       Frauen und Kinder in den Wald von Bronica abtransportiert und exekutiert zu
       werden. Zuvor hatte ihn sein Zeichentalent gerettet und das zweifelhafte
       Protektorat durch den SS-Hauptscharführer Felix Landau.
       
       Der Träger des „Blutordens“ hatte das Kommando über Organisation und
       Leitung des erzwungenen Arbeitseinsatzes der Juden in der Oblast Lemberg
       freiwillig übernommen. Er ist verantwortlich für die Ermordung Tausender
       Menschen. Den Zeichner Bruno Schulz hielt sich Landau wie einen
       Leibeigenen, er ließ ihn Raubkunst katalogisieren, Zeichnungen anfertigen
       und Intarsienarbeiten aufpolieren. In einer beschlagnahmten Stadtvilla, in
       der sich Landau mit seiner Geliebten, der Gestapo-Sekretärin und ehemaligen
       Tänzerin Gertrud Segel und den beiden Kindern aus der ersten Ehe
       niederließ, musste Schulz das Kinderspielzimmer mit Fresken ausmalen.
       
       Die Märchenszenen wirken vordergründig naiv, doch gab Schulz ihnen
       individuelle Züge: Landau malte er als Herrenreiter, Segel als Königin.
       Sich selbst malte Schulz als Kutscher eines Pferdewagens, seine Mutter als
       gramgebeugte Frau. „Wie in seiner Literatur hat Bruno Schulz auch hier mit
       Metaebenen gearbeitet“, erklärt Geissler. „Man erkennt sie in der
       Bildkomposition, selbst wenn der Stil der Malerei eher dem Geschmack
       Landaus angepasst ist.“ Das gesamte Ensemble ist heute zerstört. Kurz
       nachdem Geissler 2001 die übermalten Fresken entdeckte, wurde die
       Bilderkammer geplündert. Mitarbeiter der Jerusalemer Holocaustgedenkstätte
       Jad Vaschem trennten illegal drei Wandmalereien heraus. Später entnahmen
       ukrainische Restauratoren fünf weitere Fragmente.
       
       Für den Filmemacher, der die Entdeckungs- und Schändungsgeschichte in
       seinem Film „Bilder finden“ dokumentierte, hat man sich damit ein zweites
       Mal an Schulz und seiner Geschichte vergangen. Denn die Episode als
       „Leibjude“ hatte ihm nur kurzen Aufschub gewährt. Er wurde von einem
       Nazikollegen Landaus umgebracht. Aus Vergeltung, weil der Hauptscharführer
       zuvor dessen Zahnarzt getötet hatte. Vor diesem Hintergrund erscheint die
       Bilderkammer als Allegorie auf die zynische Doppelmoral, der Schulz zum
       Opfer fiel.
       
       Geissler will mit der virtuellen Rekonstruktion noch mehr zeigen. Mittels
       aufwändiger Rückprojektion zeigt er den Raum, wie er ihn vorfand, deckt
       durch Überblendungen die Freilegung der verschiedenen Fresken auf und führt
       vor, wie brutal die Bilder schließlich aus den Wänden gerissen wurden. Er
       versteht Schulz’ Fresken als das letzte Werk eines Genies. Mit der
       virtuellen Bilderkammer, die nur durch die Unterstützung des russischen
       Milliardärs Wiktor Wekselberg und des amerikanischen Unternehmers Andrew
       Intrater, die beide aus Drohobytsch stammen, realisiert werden konnte, ist
       Geissler schon durch mehrere europäische Städte getourt. Nun ist er auf der
       Suche nach einem permanenten Ort für die Erinnerungsarchitektur.
       
       Nicht nur im Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“ wäre Berlin dafür gut
       geeignet. Schließlich hatte Bruno Schulz lange seinen Platz im Teatr
       Kreatur, das von 1990 bis 2003 am Halleschen Ufer bestand. Gegründet von
       Andrej Woron, eröffnete es mit einer Theaterfassung der „Zimtläden“. Auch
       die Abschiedsvorstellung war Schulz gewidmet. Der Protagonist von
       „Sanatorium zur Todesanzeige“ hieß Bruno und kehrte zu den Gespenstern
       seiner Kindheit zurück. Erfunden im Drohobytscher Getto, wurden seine
       surrealen Erzählungen, die das Ausgeschlossensein aus der Zeit und
       gespenstische Szenarien voller Wiedergänger thematisieren, erst Jahrzehnte
       nach seinem Tod entdeckt.
       
       Und immer aufs Neue wiederentdeckt. Jüngster Fan von Schulz ist Jonathan
       Safran Foer, der die „Zimtläden“ zur Basis seines experimentellen Close
       Readings „Tree of Codes“ gemacht hat, indem er Zeilen und Wörter
       herausschnitt, um einen verborgenen Text sichtbar zu machen. „Schulz’
       Bücher sind die schärfste Axt, der ich je begegnet bin“, sagte Foer. „Ich
       ermutige Sie, sie als Spaltklotz zu benutzen.“ So will auch Benjamin
       Geissler seine Multimedia-Installation verstanden wissen.
       
       „Die Bilderkammer des Bruno Schulz“, Mobile Installation von Benjamin
       Geissler, bis 26. Mai, Martin-Gropius-Bau, Zelt Südseite,
       Niederkirchnerstr. Der Film "Bilder finden" wird am 25. Mai um 17 Uhr im
       Kinosaal des Martin-Gropius-Baus gezeigt.
       
       21 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marcus Woellner
       
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