# taz.de -- Registrierung der Artenvielfalt: Eine Sisyphusarbeit für Biologen
       
       > Pro Jahr werden tausende neue Tier- und Pflanzenarten auf der Erde
       > entdeckt. Entdeckt meint: wissenschaftlich beschrieben und katalogisiert.
       
 (IMG) Bild: Die Lemurenart Microcebus marohita war bis vor Kurzem noch unbekannt.
       
       BUCHHOLZ taz | Microcebus tanosi und Microcebus marohita heißen die
       neuesten Vertreter der Mausmaki-Familie. Knapp 15 Zentimeter sind die Tiere
       groß. Schon ein größeres Blatt reicht den nachtaktiven Primaten aus, um
       sich vor den Forschern zu verstecken.
       
       „Wir haben die beiden neuen Arten eher nebenbei bei Feldstudien entdeckt“,
       erklärt [1][Peter Kappeler vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen.]
       Bereits 2003 und 2007 hatte ein deutsch-madagassisches Forscherteam den
       Tieren Gewebeproben entnommen.
       
       Ein DNA-Vergleich mit vorhandenem Erbmaterial der Primatengattung ergab,
       dass es sich um neue Arten handelt. Beschrieben wurden sie vor Kurzem im
       International Journal of Primatology und gehören nun offiziell zu den jetzt
       insgesamt 20 Mausmaki-Arten. Ihre Heimat Madagaskar ist eine wahre
       Fundgrube für Biologen.
       
       Neben den Mausmakis werden hier regelmäßig neue Insekten oder Frösche
       entdeckt, beschrieben und in die große, uns Menschen noch größtenteils
       unbekannte Artengemeinschaft aufgenommen.
       
       Gänzlich erfasst ist die Artenvielfalt der Insel noch lange nicht, wie
       Kappeler berichtet: „Man mag es kaum glauben, aber es gibt noch
       unerforschte Orte auf der Erde. Ein gutes Beispiel dafür sind die
       Baumkronen. In 30 Meter Höhe können wir nur ein kleines Gebiet untersuchen
       und wissen eigentlich zu wenig über diesen Lebensraum.“
       
       Auf dem Boden und in der Höhe bieten das meiste Potenzial für
       Neuentdeckungen die Arthropoden, also die Gliedertiere. Tausendfüßler,
       Insekten und Co sind schon rein zahlenmäßig der größte Tierstamm. „Ein
       Kollege hat auf Madagaskar gerade in wenigen Tagen ein Dutzend neue
       Stabschrecken-Arten entdeckt.
       
       Neue Arthropodenarten kann man aber überall sonst auf der Welt finden“,
       berichtet der Göttinger Biologe. Die Entdeckung neuer Wirbeltierarten ist
       dagegen eher ein seltenes Erlebnis und oft mit großem Medieninteresse
       verbunden.
       
       Der erste Schritt zur Bestimmung einer neuen Art ist der Sichtbefund, fast
       90 Prozent der Tiere können morphologisch, also anhand der Körperform,
       bestimmt werden. Wichtige Bestimmungsmerkmale sind dabei die
       Geschlechtsorgane.
       
       „Die sind für die Übertragung des Spermas verantwortlich. Gibt es dabei
       anatomische Unterschiede zwischen den Tieren, kann die Fortpflanzung
       behindert werden. Die Unfähigkeit, Nachwuchs miteinander zu zeugen, ist ein
       wichtiger Anhaltspunkt für eine neue Art“, erklärt [2][Jörg Ganzhorn vom
       Zoologischen Institut der Universität Hamburg.] 
       
       Um solche Unterschiede zu erkennen, braucht es ein geschultes Auge. Spinnen
       zum Beispiel haben ihre Fortpflanzungsorgane an den vorderen Extremitäten,
       anatomische Unterschiede sind für Nicht-Spinnen-Experten nur schwer
       auszumachen. Aber es gibt auch Arten, die selbst unter dem Mikroskop nicht
       zu unterscheiden sind oder deren Beobachtung schwer möglich ist.
       
       ## Ein Blick in die Vergangenheit
       
       „Man vermutet zum Beispiel, dass es drei unterschiedliche Schwertwal-Arten
       gibt. Klarheit darüber gibt erst die Untersuchung und der Vergleich des
       Erbgutes“, erklärt Ganzhorn. Doch nicht nur das Erbgut und die Morphologie
       muss vor einer Artbeschreibung überprüft werden, sondern auch die
       Forschungsliteratur. Immerhin könnte es sein, dass eine Art schon 1786
       beschrieben wurde.
       
       „Natürlich gibt es ein Restrisiko, aber die Fachleute haben meistens einen
       genauen Überblick über zoologischen Sammlungen und die entsprechende
       Forschungsliteratur“ erklärt Kappeler.
       
       Die Exponatensammlungen und Bestimmungsbücher, randvoll mit Zeichnungen und
       Beschreibungen der Merkmale, waren lange Zeit die Arbeitsumgebung der
       Taxonomen. Diese auf die Beschreibung und systematische Einordnung von
       Organismen spezialisierten Biologen verbrachten häufig ihr gesamtes
       Berufsleben in den Archiven der Museen und waren entsprechend kompetente
       Ansprechpartner für ihre Fachkollegen.
       
       ## Ein langer Weg
       
       „Leider stirbt der Beruf aus. Die zusätzliche Arbeit des Bestimmens und der
       Einordnung muss man deshalb neben seiner eigentlichen Forschungsarbeit
       bewältigen“, sagt Ganzhorn. Der Weg von der ersten Probe bis zur
       endgültigen Beschreibung kann entsprechend langwierig sein. Bei
       Spezialisten einer Tiergruppe dauert es manchmal nur ein paar Monate und
       bei anderen viele Jahre, je nachdem wie viel Wert der Wissenschaftler auf
       die Beschreibung legt.
       
       Vereinfachung könnte das globale Projekt „[3][International Barcode of
       Life]“ bringen. „Im Prinzip handelt es sich um eine Inventur der Tier-,
       Pflanzen- und Pilzwelt. Entstehen soll eine Bibliothek der Artenvielfalt –
       eine umfassende Dokumentation mit genetischem Fingerabdruck, Gewebeproben
       und Belegexemplaren aller Lebenswesen“, erklärt [4][Björn Rulik] vom
       Projekt [5][„German Barcode of Life“], das mit 5 Millionen Euro vom
       Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird.
       
       Die Besonderheit: Die Datenbank mit vollständigen Artensteckbriefen soll im
       Internet für alle offen zugänglich sein. In Deutschland arbeiten an diesem
       Ziel 14 Forschungsinstitute mit 45 Wissenschaftlern, sowie unzählige
       externe Spezialisten und interessierte Laien. Mit 9.179 Barcodes von 4.029
       Arten steht man dabei erst am Anfang, immerhin geht man allein in
       Deutschland von 66.000 Arten aus.
       
       ## Schnelle Identifikation
       
       „Wir wollen mit dieser Datenbank mittelfristig eine schnelle und
       zuverlässige Möglichkeit zur Artidentifikation schaffen. Gerade vor dem
       Hintergrund der hohen Aussterberate vieler Arten ist das aus unserer Sicht
       ein notwendiger Schritt“, so der Taxonom. Die Vorteile seien sowohl
       ökologischer als auch ökonomischer Art. So könnten in der Landwirtschaft
       durch die Identifikation von „Schädlingen“ entsprechende Abwehrmaßnahmen
       schneller eingeleitet werden.
       
       Gleiches erhoffen sich die Verantwortlichen auch für Schutzmaßnahmen für
       die bedrohten Arten. Wie vollständig die Datenbank am Ende sein wird, kann
       heute noch keiner sagen.
       
       „Wir haben natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, immerhin wurde
       mit circa 1,7 Millionen erst ein Bruchteil der Arten auf der Erde entdeckt
       und beschrieben“, so Rulik.
       
       24 May 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.dpz.eu/de/abteilung/verhaltensoekologie-und-soziobiologie/ueber-uns.html
 (DIR) [2] http://www.uni-hamburg.de/biologie/BioZ/zis/oek/ganzhorn.html
 (DIR) [3] http://www.barcodeoflife.org/
 (DIR) [4] http://www.museumkoenig.de/web/ZFMK_Mitarbeiter/RulikBjrn/index.de.html
 (DIR) [5] http://www.bolgermany.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Birk Grüling
       
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