# taz.de -- Büchnerpreis für Lewitscharoff: Die Sprachartistin
       
       > Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ehrt die Autorin Sibylle
       > Lewitscharoff. Sie kann unglaublich gut formulieren – aber meint sie es
       > ernst?
       
 (IMG) Bild: Den Büchnerpreis bekommt Sibylle Lewitscharoff im Oktober.
       
       BERLIN taz | Ihre Auftritte sind überaus beeindruckend. Egal, ob sie aus
       ihren Romanen vorliest, ob sie als Laudatorin gebucht wird oder ob sie auf
       einem Podium sitzt (zuletzt war sie häufig als Repräsentantin der Literatur
       und ihrer selbst unterwegs) – stets kaut sie ihre Sätze gewissermaßen beim
       Sprechen, mit tönender dunkler Stimme gesegnet und jede einzelne Silbe
       betonend, als liege in ihrer korrekten Aussprache das Heil der Menschheit
       verborgen.
       
       Manchmal wird das dann zu einem unverkennbaren Gesang, mit starken Verben
       und Beschreibungen gewürzt und mit Wortwitz vorgetragen (nur dass man sich
       hinterher manchmal fragte, was sie eigentlich gesagt hat). Und es gibt
       keine Zweifel daran, dass Sibylle Lewitscharoff, die 1954 in Stuttgart
       geborene und in Berlin lebende Autorin, auch ihre Büchnerpreisrede mit
       Bravour meistern wird, wenn sie den mit 50.000 Euro dotierten Preis, der
       ihr nun zuerkannt worden ist, am 26. Oktober in Darmstadt entgegennimmt.
       
       Sibylle Lewitscharoff ist die Favoritin derjenigen Leserinnen und Leser,
       die unter Literatur hoch orchestrierte Sprachkunstwerke erwarten.
       Tatsächlich ist sie eine Sprachartistin von Graden. Aber anmerken möchte
       man schon auch, dass ihre Sprachkunst oft dick aufgetragen wirkt. Und wer
       in ihre Poetikvorlesungen schaut, die unter dem klassischen Titel „Vom
       Guten, Wahren und Schönen“ erschienen sind, entdeckt darin eine wortmächtig
       vorgetragene, aber auch ziemlich traditionelle Formästhetik.
       
       Die Form, der Stil, das hat für sie geradezu etwas Transzendierendes. Als
       Gegenstück haben der literarische Stoff, das Körperliche, die Realität
       etwas Erlösungsbedürftiges. Und man darf die religiösen Untertöne schon
       sehr ernst nehmen, die aufklingen, wenn sie etwa von „messianischen
       Sprengkapseln“ spricht, die im Stil eines Autors enthalten sein müssen.
       
       Und weiter: „Erlösung heißt das Zauberwort. Der Stil muss den Gnadenschatz
       bergen, der Erlösung vom Bann des Alltäglichen verspricht, Erlösung von
       Schmutz und Schuld, die wir alle, schwache, böse, schutzbedürftige Wesen,
       die wir sind, unablässig in uns und um uns anhäufen.“
       
       ## Gut ist sie, wenn sie nicht auftrumpft
       
       Sibylle Lewitscharoff ist eine Autorin, die unglaublich gut formulieren
       kann, bei der man sich aber auch immer fragt, ob sie wirklich ernst meint,
       was sie da so wohlformuliert von sich gibt. Sie meint es ernst. Das mit dem
       Schmutz und der Schuld beispielsweise. In den Poetikvorlesungen sucht sie
       die Zwiesprache mit toten Genies, während sie mit der Gegenwart „Geschwätz“
       verbindet und von realistischen Konzepten der „Vulgarität“ Tür und Tor
       geöffnet sieht. Nun lässt sich über antirealistische Konzepte immer reden.
       Nur sind sie bei Lewitscharoff zu moralisch aufgeladen.
       
       Interessanterweise kann man in ihren Romanen aber gerade die Stellen
       wirklich gut finden, in denen sie nicht so auftrumpft. In „Blumenberg“,
       einem großen Erfolg, gibt es Szenen um die Studenten des großen
       titelgebenden Philosophen, in denen Lebenstragik gerade in einem
       zurückgenommenen Stil aufscheint.
       
       Und „Apostoloff“, der Vorgängerroman, birgt herrlich vulgäre Stellen: „Ich
       liebte die hochtourigen Flitzköpfe oder das Gegenteil davon: staubtrockene
       Knarzer. Und nichts dazwischen. Meine Schwester hingegen, herrje, meine
       Schwester trieb es mit den aalglatten Schwiegermutterlieblingen, mit diesen
       notorischen Blumen- und Pralinenmitbringern, unserer Mutter garantiert zur
       Freude.“ Solche Stellen möchte man unbedingt gegen ihre eigene Autorin
       schützen und gegen ihre Ansätze, die Vulgarität – wie hieß das in der
       idealistischen Ästhetik? – in der Form „aufzuheben“. Da hätte man eher
       Lust, mehr hineinzugehen ins Alltägliche.
       
       Sibylle Lewitscharoff gehört, schätze ich, zu denjenigen
       Schriftstellerinnen, die tatsächlich noch an die höheren Weihen des
       Büchnerpreises glauben. Da drückte und drängelte etwas. Die Autorin Angela
       Leinen prophezeite schon vor zwei Jahren in der taz, dass sie den Preis
       bekommen werde; die Frage sei nur noch, wann. Nun ist das also abgehakt.
       Erlösung wird, außer vielleicht Sibylle Lewitscharoff selbst, im Ernst
       niemand von diesem Preis erwarten. Aber ein beeindruckender Auftritt kann
       es wieder werden.
       
       4 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dirk Knipphals
       
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