# taz.de -- Aktivistengruppen in Athen: Vernarrt in ihre Stadt
       
       > „Die Krise hat unser Leben verändert“, sagt Vicky. Die griechische
       > Künstlerin macht mit anderen „Atenistas“ das Beste aus der Situation.
       
 (IMG) Bild: In Athen liegt selbst die Werbung brach, Plakattafeln bleiben leer, weil es nichts zu bewerben gibt.
       
       ATHEN taz | Es ist Samstag, elf Uhr, und die Fylisstraße unweit der
       U-Bahn-Station Viktoria im Herzen Athens macht einen verschlafenen
       Eindruck: Bei 32 Grad im Schatten sind an den meisten Fenstern die
       Rollläden geschlossen. Auf der Straße ist weit und breit kein Fußgänger zu
       sehen. Hier scheint der Tag später zu beginnen.
       
       Nur am Grundstück an der Kreuzung Ferronstraße ist es jetzt schon
       ungewöhnlich laut. Hier ist die Aktivistengruppe Atenistas am Werk.
       Ausgerüstet mit Drahtbesen, Schaufeln und Pinseln, arbeiten rund sechzig
       Athener, die meisten zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt, daran, aus der
       kleinen Brache einen „Pocketpark“ zu zaubern: einen Kinderspielplatz mit
       Bäumen und Parkbänken zwischen den Häusern.
       
       Im Moment ist der Platz noch eine Baustelle: ein Haufen Erde hier, ein
       Haufen Kies dort, zwischendrin Elsa Kopasi. In der Hocke versucht sie, eine
       Metallrutsche zu montieren. Keine leichte Aufgabe. Immer wieder muss sie
       ihre Arbeit unterbrechen. Sie gibt Anweisungen, begrüßt Neuankömmlinge,
       macht dann weiter. Elsa ist neunundvierzig, fällt aber unter den jüngeren
       Aktivisten kaum auf. „Wir haben alle einen jung gebliebenen Geist“, sagt
       sie und lacht.
       
       Zusammen mit vier weiteren Aktivisten bildet Elsa die Atenistas-Untergruppe
       „Green“, die sich für Projekte wie dieses einsetzt. „Wir gucken, wo es
       verlassene Grundstücke gibt oder Grundstücke in einem desolaten Zustand.
       Dort greifen wir ein, säubern sie oder machen daraus einen kleinen Park für
       die Nachbarschaft“, sagt sie. Wenn das Gelände einem öffentlichen Träger
       gehört, wird es kompliziert. „Da müssen wir den offiziellen Weg gehen und
       Anträge stellen. Hier gab es zum Beispiel eine kleine Bauruine. Um die
       abzureißen, mussten wir über ein Jahr lang mit der Bürokratie kämpfen.“
       
       Die Woche über arbeitet Elsa als Psychologin. Am Wochenende wird sie zur
       Aktivistin und tut damit nicht nur etwas für andere, sondern auch für sich
       selber. „Klar könnte ich meinen Samstag auch am Strand verbringen, aber so
       etwas macht mehr Spaß“, sagt sie und zeigt auf die Mitstreiter um sich
       herum. „Vor allem, wenn wir etwas für Stadtteile wie diesen tun!“
       
       ## Junkies im Park, Lichter in den Fenstern
       
       An den Eingangstüren der kleinen Häuschen, in denen in den 50er und 60er
       Jahren noch die Athener Mittelschicht wohnte, hängen kleine Lichter – ein
       Zeichen für Freier, dass hier Prostituierte arbeiten. Die Gegend rund um
       die Fylisstraße ist das bekannteste Rotlichtmilieu der griechischen
       Hauptstadt.
       
       Doch in den Mehrfamilienhäusern dazwischen leben Familien, arme Familien,
       die es sich nicht leisten können wegzuziehen, wie die 40-jährige Anelia und
       ihr Mann Mustafa. Während die Bulgarin ihren dreijährigen Zwillingen Jacob
       und Adam hinterherrennt, schiebt ihr Ehemann Mustafa eine Schubkarre voll
       mit Erde. Das Paar freut sich, dass die Atenistas ausgerechnet ihre
       Nachbarschaft für dieses Projekt ausgesucht haben.
       
       „Unsere Wohnung liegt genau gegenüber“, strahlt Anelia und zeigt auf einen
       kleinen Balkon. Oberhalb ihrer Wohnung schaut gerade ein junger Mann aus
       dem Fenster, verschwindet dann aber wieder schnell hinter der grauen
       Gardine. „Früher war die Situation hier richtig schlimm“, erinnert sich
       Anelia. In der Bauruine des Parks versammelten sich Drogendealer und
       Junkies, „das waren unheimliche Gestalten. Wir hatten Angst, aus dem Haus
       zu gehen.“ Anelia und ihr Mann kamen Ende der 90er Jahre nach Griechenland,
       Mustafa stammt aus Marokko. „Wir haben uns hier kennengelernt. All die
       Jahre haben wir uns mit Aushilfsjobs über Wasser gehalten.“
       
       Die Krise erwischte die Einwanderer als Erste. Im Moment muss die
       vierköpfige Familie mit dem auskommen, was Anelia als Bedienung in einem
       kleinen Café verdient. Ihr Mann ist seit Langem arbeitslos. „Es ist nicht
       leicht, aber wir tun, was wir können.“ Anelias Gesicht wirkt blass, umso
       eindringlicher ist ihr Blick. „Na, wie geht es deinen Jungs?“, unterbricht
       sie Liana, eine ältere Dame in blauer Bluse und knielangem Rock, und klopft
       ihr auf die Schulter.
       
       ## Weniger Aufträge, mehr freie Zeit
       
       Die alleinstehende Rentnerin hat ihr ganzes Leben in Viktoria verbracht:
       Sie hat miterlebt, wie das Viertel verkommt, wie die Drogen und die
       Kriminalität kamen und immer mehr Familien gingen. Sie streicht sich eine
       Strähne aus dem faltigen Gesicht. „Ich bin diesen jungen Menschen
       unglaublich dankbar, dass sie sich so für uns ins Zeug legen.“ Liana geht
       ein paar Schritte weiter. An der Wand des angrenzenden Mehrfamilienhauses
       steht Vicky auf einer Leiter und ist gerade dabei, einen Regenbogen zu
       malen. Ihre Haare hat sie zusammengebunden.
       
       Die Absolventin der Athener Kunsthochschule hält einen großen Pinsel in der
       Hand. Hinter ihr stehen Eimer mit Wandfarben. „Ich male gerade das Blau
       aus. Wir wollen ja schließlich den Kindern im Viertel ein bisschen Freude
       bereiten, oder?“ Liana nickt, und beide lachen. „Es ist ein unbeschreiblich
       schönes Gefühl. Wir wachen am Samstagmorgen auf und tun zusammen mit
       Freunden etwas Gutes für unsere Stadt“, sagt Vicky.
       
       Vor der Krise habe sich keiner dafür interessiert, wie es den anderen gehe,
       gibt die 40-jährige Künstlerin zu. „Heute merken wir: Wir sitzen alle im
       selben Boot.“ Und viele hätten jetzt mehr Freizeit, sagt Vicky. Sie selber
       hat viel weniger Aufträge als früher, viele ihrer Freunde sind arbeitslos.
       „Ob man will oder nicht: Die Krise hat unser Leben verändert.“
       
       Die 12-jährige Melina, ein schlankes Mädchen mit langen, braunen Haaren,
       steht neben der Leiter und beobachtet, was Vicky malt. Ungeduldig wartet
       die Sechsklässlerin mit ihren Freundinnen Daniela und Olympia auf
       Anweisungen. Alle drei wohnen in der Fylisstraße und freuen sich, bei der
       Gestaltung „ihres“ Parks mitmachen zu dürfen. „Wir werden jeden Tag nach
       der Schule hierherkommen“, sagt Melina und malt jetzt mit gelber Farbe den
       Regenbogen aus.
       
       ## „Wir Atenistas gehen, die Nachbarn bleiben“
       
       Was für die Kinder ein Spiel ist, sei für den Erfolg solcher Aktionen
       besonders wichtig, erklärt Tasos Halkiopoulos, Mitgründer der Atenistas.
       Der 36-jährige Grafiker flitzt mal zur einen Gruppe und mal zur anderen. Er
       hat Schweißperlen auf der Stirn. „Wenn die Nachbarschaft mitmacht und sich
       für das Projekt einsetzt, sind die Chancen gut, dass sie sich auch später
       um den Park kümmert. Wir Atenistas gehen, die Nachbarn aber bleiben“, sagt
       er und trinkt einen Schluck kaltes Wasser.
       
       Als er vor weniger als zwei Jahren zusammen mit einem Freund die Atenistas
       ins Leben rief, konnte Tasos nicht ahnen, welchen Erfolg seine Idee haben
       würde: „Wir beide sind vernarrt in unsere Stadt. Wir wollten etwas
       verändern, wussten aber nicht, wie. Wir haben also kleine Aktionen
       gestartet und über die sozialen Netzwerke andere eingeladen mitzumachen.“
       
       Mittlerweile habe sich eine Eigendynamik entwickelt. „Es gibt Aktionen, da
       kommen Tausende“, sagt Tasos und lächelt. Alles, was die Atenistas dafür
       benötigten, komme entweder aus dem Sperrmüll oder werde von Geschäften
       gespendet. „Unsere Projekte sind Low-Budget-Projekte. Da sind wir für
       Sachspenden dankbar.“ Mittlerweile gibt es Gruppen wie die Atenistas in
       ganz Griechenland. Tasos kann sich ein Lächeln nicht verkneifen.
       „Vielleicht ist das unsere größte Leistung: dass wir auch anderen gezeigt
       haben, es geht. Man braucht nur Ideen und den Willen, sie zu
       verwirklichen.“
       
       Am Abend ist der Spielplatz an der Fylisstraße fertig. Aus der ehemals
       brachliegenden Fläche ist ein farbenfroher Park geworden. Vickys Regenbogen
       ragt über den Platz. Auf den bunt angemalten Reifen und Holzkisten haben
       Anelia, Mustafa und ihre zwei Kinder schon Platz genommen. Und auch die
       Rutschen und Schaukeln stehen bereits. Melina, Daniela und Olympia klettern
       auf die Rutsche, danach geht’s zur Schaukel. „Nach jedem Projekt gehen wir
       glücklich und zufrieden nach Hause“, sagt Tasos. „Und jedes Mal sagen wir:
       Das war die beste aller Aktionen, die wir bisher gemacht haben.“
       
       Von nun an müssen die Anwohner selber auf den Spielplatz achten. Melina und
       die Rentnerin Liana haben schon Ideen. „Ich habe mir Regeln überlegt, die
       wir Kinder im Park aufstellen werden und befolgen müssen“, sagt das
       Mädchen. „Zum Beispiel, dass keiner etwas kaputt machen darf. Und niemand
       darf andere hauen oder fluchen.“ Liana drückt das Mädchen an sich. „Bravo,
       Melina! Und ich werde täglich Wache schieben.“
       
       26 Jun 2013
       
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