# taz.de -- Kurdische Bewegung in der Türkei: Der Friedensprozess ist in Gefahr
       
       > Ministerpräsident Erdogan spielt nach Ansicht der Kurden auf Zeit. Die
       > angekündigten Reformen stocken. Das bringt die vereinbarten Fortschritte
       > in Gefahr.
       
 (IMG) Bild: Demo 2009 in Diyarbakir: Seit Jahren protestieren die Kurden für mehr Rechte in der Türkei.
       
       ISTANBUL taz | In einer dramatischen Erklärung hat die kurdische BDP
       (Partei des Friedens und der Demokratie) angekündigt, dass sie ab sofort
       einen Monat lang mit zivilen Aktionen die Regierung in Ankara unter Druck
       setzen will, damit der Friedensprozess weitergeht. „Die Regierung muss
       jetzt anfangen, die angekündigten gesetzlichen Reformen durchzuführen,
       nachdem die PKK den größten Teil ihrer Kämpfer aus der Türkei zurückgezogen
       hat, sonst wird es zu spät sein“, heißt es in der Erklärung der BDP.
       
       Nachdem in den letzten Wochen die landesweiten Demonstrationen der
       Gezi-Bewegung die politische Szene völlig beherrschten und die
       Verhandlungen der Regierung mit der PKK (Kurdische Arbeiterpartei) in den
       Hintergrund getreten waren, bringt sich jetzt die kurdische Bewegung
       nachhaltig wieder in Erinnerung. Ein Vorfall am letzten Freitag hat
       klargemacht, dass der Friedensprozess auf der Kippe steht.
       
       Die Kurden werfen der Regierung und dem Militär vor, den Rückzug der PKK
       dazu zu nutzen, ehemals für die Armee unzugängliches Terrain zu besetzen.
       So hat die Gendarmerie in Lice, einer PKK-Hochburg nördlich von Diyarbakir,
       angefangen, einen neuen Militärposten zu bauen, kaum dass die Guerilla sich
       von dort zurückgezogen hatte. Die Bevölkerung von Lice protestierte dagegen
       und versuchte, das Baugelände zu besetzen.
       
       Bei der Auseinandersetzung wurde ein 18-jähriger Kurde vom Militär
       erschossen. Spontan gingen daraufhin nicht nur Kurden in verschiedenen
       Städten der Türkei auf die Straße, sondern die Gezi-Bewegung rief ebenfalls
       zu solidarischen Protesten auf. Wohl das erste Mal in der Geschichte der
       Republik demonstrierten am Wochenende Tausende türkische Oppositionelle für
       die Anliegen der Kurden.
       
       ## PKK-Kämpfer im Nordirak
       
       Die Führung der BDP, die in der letzten Woche auch wieder PKK-Chef Abdullah
       Öcalan im Gefängnis besuchte, will erreichen, dass die Regierung noch vor
       der parlamentarischen Sommerpause Mitte Juli einige Gesetze durchs
       Parlament bringt, die unter anderem dazu führen würden, dass etliche
       kurdische Aktivisten aus dem Gefängnis entlassen werden. Doch der türkische
       Ministerpräsident Erdogan mauert.
       
       Während die BDP davon spricht, dass sich mittlerweile 80 Prozent aller
       PKK-Kämpfer von der Türkei in den Nordirak zurückgezogen haben, behauptet
       Erdogan, es seien erst 15 Prozent. Ein Hauptanliegen der Kurden, zukünftig
       ab der Grundschule muttersprachlichen Unterricht in Kurdisch zuzulassen,
       hat er bereits abgelehnt.
       
       Die Kurden erwarten jetzt, dass das Militär sich sichtbar aus den
       kurdischen Regionen zurückzieht und auch die Milizen, die zusätzlich zum
       regulären Militär in der Gegend aufgebaut wurden, wieder entwaffnet werden.
       Die Hinhaltetaktik von Erdogan hat jedenfalls das Misstrauen auf kurdischer
       Seite neu entfacht. So sagte der im Nordirak stationierte Militärchef der
       PKK, Murat Karayilan, kürzlich, er habe den Eindruck, dass die türkische
       Regierung sich mit dem Friedensprozess nur taktische Vorteile verschaffen
       wolle.
       
       Entgegen diesen düsteren Prognosen gibt es aber auch Indizien dafür, dass
       Erdogan doch noch ernsthaft an einer Lösung mit der PKK interessiert ist.
       Aus Kreisen der AKP wird immer wieder lanciert, dass die parlamentarische
       Sommerpause verkürzt werden könnte, um zuvor noch ein Reformprogramm
       verabschieden zu können. Beshir Atalay, in der Regierung zuständig für die
       Koordination des Friedensprozesses, sagte, die AKP-Fraktion sei bereit, die
       Anti-Terror-Gesetzgebung erneut zu verändern, sodass etliche Angeklagte
       oder verurteilte kurdische Aktivisten freikommen können.
       
       1 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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