# taz.de -- Interview mit Polizeiausbilder: „Reaktion trainieren“
       
       > Nach dem tödlichen Polizeieinsatz am Neptunbrunnen: Psychologe und
       > Polizeiausbilder Wim Nittelnsroth über den Umgang mit psychisch Kranken.
       
 (IMG) Bild: Werden Polizisten in der Ausbildung gut auf den Umgang mit psychisch Kranken vorbereitet?
       
       taz: Herr Nettelnstroth, vor knapp zwei Wochen hat ein Polizist einen
       vermutlich verwirrten Mann vor dem Roten Rathaus erschossen. Er war nackt
       und mit einem Messer bewaffnet. Wären Sie in dieser Situation in den
       Neptunbrunnen geklettert, wie es der Polizist tat? 
       
       Wim Nettelnstroth: Sie gehen von Voraussetzungen aus, die mir nicht bekannt
       sind. Im Internet kursiert ein Video, und die Medien haben den Fall sofort
       aufgegriffen. Alle tun gerade so, als wüssten sie, was passiert ist. Dabei
       sind die Umstände unbekannt, unter denen sich diese Situation entwickelte.
       Filme können manipulativ sein, deshalb ist bei der Beurteilung dieser Sache
       Vorsicht geboten. Ich kann mich zu diesem Fall nicht äußern.
       
       Wie bereiten Sie Ihre Studenten auf solche Situationen vor? 
       
       Das Deeskalationstraining hat in unseren Lehrveranstaltungen einen relativ
       hohen Stundenanteil. Wir thematisieren hier auch Krankheitsbilder von
       psychischen Störungen: Was sind psychische Störungen? Wie können sie sich
       äußern? Und wie kann ich sie erkennen?
       
       Gibt es für solche Situationen ein einheitliches Vorgehen, das Sie lehren? 
       
       Nein. Es gibt keine Handlungsweise, die für alle Störungen angemessen ist.
       Der Polizist muss sein Handeln auf die Person abstimmen, mit der er
       arbeitet. Was bei einem Menschen funktioniert, mag bei einem anderen nicht
       gehen. Aber es gibt gewisse Muster, die wir lehren. Ich denke auch, dass
       ich den Studierenden gut vermitteln kann, dass in Gefahrensituationen im
       Umgang mit psychisch Kranken Vorsicht geboten ist.
       
       In welchem Verhältnis stehen Theorie und Praxis dabei? 
       
       Wir besprechen keine einzelnen Fälle, sondern typische Bedrohungslagen und
       Verhaltensweisen von Menschen. Aus den Praxisfällen werden Tätermuster
       erarbeitet, die wir unseren Studierenden näherbringen. Aber wir trainieren
       auch intensiv Kommunikationstechniken und machen Rollenspiele: Wie kann ich
       einen Bürger beruhigen? Wie kann ich ihn wertschätzen?
       
       Ist das Erlernte in der Realität überhaupt umsetzbar? 
       
       Die Reaktion in solchen Situationen muss intensiv trainiert werden, damit
       die Handlungsoptionen perfekt abgerufen werden können. Die Polizisten
       müssen verhaltenssicher sein, nicht nur theoriesicher. Ich habe auf jeden
       Fall Achtung vor der Arbeit der Polizei.
       
       Welche Mittel der Deeskalation gibt es? 
       
       Die Deeskalation von Bedrohungssituationen basiert auf Kommunikation. Aber
       Kommunikation besteht nicht nur aus Worten. Der Polizist kann mit seinem
       Auftreten, seiner Körpersprache, Worten und Betonung Signale setzen. Dabei
       muss er sich individuell auf den Menschen einstimmen. Wenn die Person
       panisch ist, muss man sie beruhigen. Man sollte Ernsthaftigkeit und
       Anerkennung senden. Aber wenn geduldig alles versucht wurde und trotzdem
       nichts wirkt – und die Person Mitmenschen bedroht –, dann müssen andere
       Techniken greifen, auch der Waffeneinsatz.
       
       Reicht die Theorie zum Umgang mit psychisch labilen Menschen aus? 
       
       Es gibt Studien, die besagen, dass in mehr als 50 Prozent der erfassten
       Bedrohungssituationen Menschen mit psychischer Erkrankung involviert waren.
       Die letzten drei tödlichen Schüsse von Polizisten in Berlin waren alle auf
       Menschen mit psychischer Erkrankung. Man müsste diese Thematik vermehrt im
       Unterricht aufnehmen und Polizisten besser im Umgang mit psychisch Kranken
       schulen.
       
       Wie sollen sich Schutzpolizisten im mittleren und gehobenen Dienst
       verhalten: eingreifen oder auf einen Polizeipsychologen warten? 
       
       Die Schutzpolizisten werden selbstverständlich auch mit Methoden geschult.
       Aber im Curriculum für den mittleren Dienst hat die Psychologie keinen
       hohen Stellenwert. Die Kollegen vor Ort sollen Situationen aber richtig
       einschätzen und sofort eingreifen können und nicht auf einen
       Polizeipsychologen warten.
       
       Ist der mittlere Dienst dafür ausreichend ausgebildet? 
       
       Die Ausbildung kann natürlich immer noch intensiviert werden.
       Kommunikationsmethoden sollten auch zum Schwerpunkt des mittleren Dienstes
       gehören. Der Beamte vor Ort muss mit solchen Situationen umgehen können.
       
       8 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Milena Menzemer
       
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