# taz.de -- Kennzeichnung von Siedlungsprodukten: Wein vom Berg des Segens
       
       > Produkte aus dem Westjordanland sollen nicht als „Made in Israel“
       > deklariert werden, fordert die EU. Siedler hoffen auf einen Werbeeffekt –
       > oder fürchten Boykott.
       
 (IMG) Bild: Chardonnay aus dem Westjordanland: Weinlese nahe der jüdischen Siedlung Bat Ayin.
       
       ARIEL taz | Abed Bani Nimra präpariert Klodeckel mit Styroporpuffern für
       die Verpackung, damit sie beim Transport keinen Schaden nehmen. Seit sieben
       Jahren arbeitet der palästinensische Familienvater bei Lipski-Plastik im
       Industriegebiet Barkan, unweit der israelischen Siedlung Ariel.
       
       „Ein palästinensischer Betrieb wäre mir natürlich lieber“, sagt Nimra, aber
       in Salfit, seinem Heimatort, werde die Arbeit viel schlechter bezahlt als
       bei den Siedlern. Rund 3.000 Palästinenser verdienen ihren Lebensunterhalt
       im Industriegebiet Barkan. Wenn es einen Boykott gibt, „sind sie die
       Ersten, die den Preis dafür zahlen“, meint Nimras Chef Ofer Alter, Direktor
       der Plastikfabrik.
       
       Mit Sorge verfolgt Alter die Debatte der EU-Staaten über eine einheitliche
       Kennzeichnungspflicht von Produkten aus israelischen Siedlungen. Geplant
       ist kein Boykott, sondern lediglich eine Aufschrift, die klarmacht, wo die
       Ware herkommt. Als „Product from Israeli Settlement“ zeichnet der
       holländische Einzelhandel die israelische Importware aus dem Westjordanland
       aus, anstatt mit dem irreführenden „Made in Israel“, das in den meisten
       EU-Staaten noch üblich ist. Der politisch wache Käufer soll künftig die
       Wahl für oder gegen Produkte aus Siedlungen haben.
       
       Ob Boykott oder Warenkennzeichnung – für die Unternehmen in Barkan fühlt
       sich beides wie eine Bestrafung für ihre Standortwahl an. Fabrikdirektor
       Alter findet das ungerecht. Gerade hier kämen die beiden Völker auf
       gleicher Ebene zusammen. „Die Arbeiter bekommen denselben Lohn und genießen
       dieselben sozialen Rechte“, sagt er. Egal ob Israeli oder Palästinenser
       „beide haben gleiche Aufstiegsmöglichkeiten“. Nur auf dem Parkplatz zeigt
       sich der Unterschied, denn während die Palästinenser aus Sicherheitsgründen
       ihre Autos an der Einfahrt zum Industriegelände abstellen müssen, fahren
       ihre israelischen Kollegen direkt bis zur Produktionshalle vor.
       
       Die Firma Lipski-Plastik hat Erfahrung damit, welche Folgen ein Boykott
       haben kann. Bis vor drei Jahren noch ging rund die Hälfte der Produktion
       ins Westjordanland, dann machte Salam Fajad, ehemals palästinensischer
       Ministerpräsident, dem Geschäft ein Ende. In eigener Person verteilte er
       Flugblätter, die die Namen der Siedlerunternehmen auflisteten und
       appellierte an sein Volk, sich dem Kauf der Besatzungsware fortan zu
       verweigern. „30.000 Klospülungen pro Jahr haben wir ins Westjordanland
       verkauft“, jammert Alter, „und heute? Nichts. Nicht eine einzige
       Klospülung.“
       
       ## Bloß keinen Boykott
       
       Der Betrieb trotzt dem palästinensischen Boykott und hält sich mit
       alternativen Absatzmärkten über Wasser. Bis zu 15 Prozent der Produkte
       werden heute ins Ausland verkauft, außerdem erweiterte Lipski-Plastik das
       Angebot auf Wäschekörbe und Plastikstühle. Besonders erbost zeigt sich
       Fabrikdirektor Alter darüber, dass das palästinensische
       Konkurrenzunternehmen Royal Hebron ungestört das eigene Badezimmerzubehör
       auf den israelischen Handel bringen darf. „Warum kann der bei uns verkaufen
       und ich nicht dort?“, fragt er und setzt hinzu, dass seine
       palästinensischen Mitarbeiter den höchsten Preis zahlen werden, wenn eines
       Tages Entlassungen anstehen. „Die Israelis können sich irgendwo anders eine
       neue Stelle suchen, aber bei den Arabern gibt es keine Jobs.“
       
       Zwischen 20.000 und 30.000 Palästinenser arbeiten in den Fabriken der
       Siedler, bauen neue Siedlerhäuser oder mauern an der Trennanlage, die sich
       durch ihre Felder, Städte und Gärten zieht. Mit der Besetzung sind viele
       Arbeitsplätze verbunden und gleichzeitig ist sie der Grund dafür, dass die
       palästinensische Arbeitslosigkeit seit Jahren steigt. Überall dort, wo
       Israel Land annektiert, kann sich keine palästinensische Wirtschaft
       entwickeln.
       
       In einem Anfang des Jahres verfassten Bericht machen die in Jerusalem
       stationierten EU-Diplomaten „die Baumaßnahmen und Kontrollposten“ mit für
       die Stagnation verantwortlich und empfehlen, „direkte Investitionen“, die
       in die Infrastruktur und Dienstleistungen der Siedlungen fließen, zu
       verhindern.
       
       Die Botschaft der Diplomaten lässt die Regierung in Jerusalem aufhorchen.
       Vor allem Zipi Livni, Justizministerin und Beauftragte für
       Friedensverhandlungen, bereitet der sich verschärfende Ton in Europa
       Kopfschmerzen. Israel werde zunehmend als „kolonialistischer Staat“
       empfunden, deshalb wird ein Boykott „nicht mit den Siedlungen enden,
       sondern früher oder später ganz Israel erreichen“, fürchtet sie. Damit
       würde das palästinensische Beispiel Schule machen, denn Fajad erweiterte
       seinen anfänglichen Aufruf, keine Produkte aus Siedlungen zu kaufen, jüngst
       zu einem grundsätzlichen Boykott gegen Israel.
       
       ## Kopfschmerzen
       
       Laut der Zeitung Ha’aretz erwägen führende europäische Banken die Sperrung
       von Anleihen israelischer Unternehmen, die geschäftliche Verbindungen zu
       Firmen in den besetzten Gebieten unterhalten. „Das Ausmaß der Gefahr für
       die israelische Wirtschaft ist kaum überzubewerten“, warnte die Zeitung
       jüngst in einem Leitartikel. Der einzige Weg, den drohenden Boykott
       aufzuhalten, seien Verhandlungen.
       
       Nichts anderes verfolgt US-Außenminister John Kerry, dessen
       Pendeldiplomatie von bewundernswerter Geduld geprägt ist und von leeren
       Händen – die 500 Millionen US-Dollar-Wirtschaftshilfe für die Palästinenser
       ausgenommen. Die Regierung im Weißen Haus zeigt sich nicht bereit dazu,
       Kerrys dringendem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Wirtschaftliche
       Sanktionen gegen Israel kommen für US-Präsident Barack Obama nicht in
       Frage. Erst jüngst warnte Kerry, dass „gewaltbereite Extremisten das Vakuum
       füllen werden, das durch das Versagen der Führungen zurückbleibt“.
       
       Im gesamtnahöstlichen Kontext könnte ein Frieden zwischen Israel und den
       Palästinensern mit dahin wirken, dass im Ringen arabischer Staaten zwischen
       westlicher Moderne und islamistischer Tradition die Moderaten und die, die
       auf regionale Kooperation setzen, letztendlich die Oberhand gewinnen. „Ich
       denke, dass sich das Fenster für eine Zweistaatenlösung schließt“, sagt
       Kerry. „Ich glaube, wir haben noch ein, eineinhalb bis zwei Jahre, dann ist
       es aus.“
       
       Die israelische Weinbäuerin Vered Ben Saadon glaubt, dass die
       Zweistaatenlösung schon jetzt nicht mehr relevant ist. „Wir leben so eng
       zusammen“, sagt die 36-jährige mehrfache Mutter und verschränkt die Finger,
       um ihren Gedankengang anschaulich zu machen. „Dieses Puzzle ist nicht mehr
       auseinanderzukriegen.“ Das sei auch gar nicht nötig. Beide Völker sollten
       zusammenleben. „Die Mutter im Nachbardorf will ihren Sohn nicht in den
       Märtyrertod schicken“, sagt sie. „Ich glaube an das Gute im Menschen.“
       
       ## Wie der Zufall so spielte
       
       Wie genau eine Lösung aussehen soll, weiß sie auch nicht. Wichtig sei, dass
       die Leute, die so nah beieinander wohnen, nur erst einmal miteinander
       redeten. „Ich bin sehr neugierig, die Frauen aus den Nachbardörfern
       kennenzulernen“, sagt sie. Aber ohne militärischen Schutz traut sie sich
       nicht zu den Palästinensern.
       
       Vor 16 Jahren zog Vered jung verheiratet in den damals auch nach
       israelischem Recht illegalen „Siedlungsvorposten“ Rechalim in der Nähe von
       Ariel. Heute leben dort rund 250 überwiegend fromme Israelis. Eine Räumung
       steht von staatlicher Seite nicht mehr zur Debatte. Für die streng gläubige
       Jüdin Ben Saadon gaben vor allem ideologische Gründe den Ausschlag bei der
       Wahl ihrer Heimat.
       
       Wie der Zufall günstig für sie spielte, landete sie auf einem für den
       Weinbau idealen Fleckchen Erde. „Tura“ ist das Markenzeichen für Ben
       Saadons Boutiquewein, den sie für umgerechnet stolze 20 Euro pro Flasche
       verkauft und der großen Nachfrage trotzdem kaum nachkommt. Die Wände im
       Empfangsraum zum Weinkeller sind voller Urkunden, die „Tura“ bei lokalen
       und internationalen Wettbewerben errang.
       
       850 Meter über dem Meeresspiegel garantieren ihr fast jeden Winter Schnee,
       und auch im Sommer ist es hier oben vergleichsweise kühl. Optimale PH-Werte
       im Boden. Har Bracha heißt die Gegend offenbar nicht durch Zufall: „Berg
       des Segens“. Jedes Jahr werde ihr Cabernet sanfter und der Merlot
       trockener. Über 30.000 Flaschen soll der Weinberg im nächsten Jahr
       hergeben. Mehr als doppelt so viel wie in diesem Jahr. Auch der Absatz nach
       Europa und Kanada steigt.
       
       ## „Aus Liebe zu Israel“
       
       Von der Debatte in den EU-Staaten weiß die agile Weinbäuerin nichts, und
       von einem Boykott, denn sie für „komplette Blindheit“ derer hält, die von
       der Realität abgekoppelt sind, lässt sie sich nicht schrecken. „Aus Liebe
       zu Israel“ bestellten ihre frommen christlichen Kunden in Ungarn, gerade
       weil sie ihren Wein in einer Siedlung herstellt, die Flasche mit dem
       „Tura“-Schild.
       
       Eine gesonderte Kennzeichnung verlangten bislang nur die Amerikaner.
       „Product of Shomron“ (Produkt aus Samaria), steht auf den Flaschen für den
       Export nach Übersee. „Mich stört das nicht“, sagt Ben Saadon. Jedes Jahr
       kommen 300 amerikanische Evangelisten nach Rechalim, „um uns ohne jede
       Bezahlung bei der Ernte zu helfen“. Der Standort „besetztes Land“ zahlt
       sich ordentlich aus für die Weinbauern.
       
       3 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Knaul
       
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