# taz.de -- Asylanträge in Deutschland: Das alte Geschäft mit der Angst
       
       > Die Zahl der Asylanträge ist im Juli auf 9.500 gestiegen. Und
       > Innenminister Hans-Peter Friedrich schlägt Alarm. Völlig zu Unrecht.
       
 (IMG) Bild: Kaum Aussicht auf Asyl: Asylbewerberunterkunft in Baden-Württemberg
       
       Da kann man es schon mit der Angst zu tun bekommen. Und so ist es auch
       gedacht. Auf über 9.500 „noch weiter“ gestiegen sei die Zahl der
       Asylanträge im Juli, erklärte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am
       Mittwoch. Die größte Gruppe der Ankömmlinge stammte aus den zerrütteten
       russischen Kaukasusrepubliken. „Alarmiert“ sagte Friedrich voraus: „Wir
       werden noch in diesem Jahr die Marke von 100.000 Asylerstanträgen
       erreichen.“
       
       So klingt ein echter Notfall. Wie es sich in einer solchen Situation
       gehört, hat Friedrich deshalb „alle Kräfte“ zusammengezogen und sie „darauf
       konzentriert, die Asylverfahren schneller durchzuziehen“. Bei diesen
       Kräften handelt es sich unter anderem um 80 Bundespolizisten. Was
       ausgerechnet die dazu qualifizieren soll, Asylverfahren abzuwickeln, weiß
       allein Friedrich. Doch angesichts des Ernstes der Lage verbieten sich
       zimperliche Bedenken wohl.
       
       Dass mehr als 100.000 Menschen in einem Jahr Asyl beantragten, war in
       Deutschland zuletzt 2001 der Fall. Wessen Gedächtnis in diese Zeit
       zurückreicht, der wird sich erinnern: Das Funktionieren dieses Landes war
       nicht in Gefahr.
       
       Friedrichs Alarm ist das alte Geschäft eines jeden Innenministers: Die
       Angst vor Bedrohungen schüren; fremdenfeindliche Töne inklusive. Dass bald
       wieder eine sechsstellige Zahl in der Asylstatistik stehen dürfte, macht
       ihm das leichter.
       
       ## Sechsstellige Zahl in der Asylstatistik
       
       Es heißt immer, kein EU-Land müsse in Sachen Asyl mehr Lasten tragen als
       Deutschland. Alles andere wäre für den mit Abstand größten EU-Staat auch
       reichlich blamabel. Größenbereinigt sieht die Sache ganz anders aus:
       Letztes Jahr – auch da hatte Friedrich schon mehrfach den Asylalarm
       ausgerufen – kam auf 1.062 Deutsche ein neuer Asylantragsteller. In Belgien
       kam einer auf nur 382 Belgier, und in Schweden sogar auf nur 211 Schweden –
       fünfmal so viele wie bei uns. Über einen Zusammenbruch des schwedischen
       Gemeinwesens ist nichts bekannt geworden.
       
       Wer wissen will, wie ein echter Flüchtlingsnotfall aussieht, sollte sich im
       Nahen Osten umschauen. 2 Millionen SyrerInnen sitzen in Lagern rund um ihre
       Heimat. Allein Libanon, der kleinste Nachbar Syriens, hat fast 700.000
       Menschen aufgenommen. In ganz Europa hingegen baten seit Beginn des
       Konflikts etwa 40.000 Syrer um Asyl, davon ein Drittel in Deutschland.
       
       Dass die meisten der geflüchteten Syrer freiwillig in ihren überfüllten
       Zeltstädten bleiben, kann getrost bezweifelt werden: Europa lässt sie
       einfach nicht herein. Wer den Weg nach Griechenland geht, wird oft
       eingesperrt. Deutschland hat dieses System der Abwehr von Menschen in Not
       mit aufgebaut.
       
       ## Jeden Vierten schickt Deutschland postwendend zurück
       
       Was die erwartet, die es trotzdem hierherschaffen, lässt sich problemlos
       aus den Zahlen der Vergangenheit herauslesen: Jeden vierten Ankömmling
       schickt Deutschland postwendend in ein europäisches Transitland zurück. Nur
       einem knappen Drittel wird auf die ein oder andere Weise Schutz gewährt –
       als Flüchtling anerkannt wird freilich nur jeder hundertste.
       
       Dass nun die Kommunen stöhnen, weil sie nicht wissen, wohin sie mit diesen
       Ankömmlingen sollen, haben sie sich größtenteils selbst zuzuschreiben. Als
       nach dem Asylkompromiss 1992 die Zahl der Asylsuchenden sank, glaubten
       viele nur allzu gern, die Zeiten hoher Flüchtlingszahlen seien ein für alle
       Mal vorbei – und schlossen oder privatisierten ihre Asylunterkünfte. Nun
       heißt es deshalb: Kein Platz.
       
       Doch Fluchtbewegungen lassen sich nicht auf Dauer fernhalten. Menschen
       suchen nach Wegen, Krieg und Elend zu entfliehen. Ein Teil von ihnen wird
       dabei hierherkommen. Für sie ist das ein Notfall. Für Deutschland nicht.
       
       14 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Friedrich
 (DIR) Asyl
 (DIR) Innenminister
 (DIR) Asyl
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Sachleistungen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Todestag von Cemal Kemal Altun: Das Gesicht der Asylpolitik
       
       Nie hat der Tod eines Asylbewerbers solche Reaktionen provoziert wie Kemal
       Altuns tödlicher Fenstersprung vor 30 Jahren. Was blieb davon?
       
 (DIR) Italienische Juristin über Flüchtlinge: „Italien ist nicht zumutbar“
       
       300 Afrikaner flüchteten vor dem Libyen-Krieg über Lampedusa nach Hamburg.
       „Völlig legitim“, findet die römische Juristin Loredana Leo.
       
 (DIR) Innensenator über Flüchtlinge: „Hamburg wäre überfordert“
       
       Von SPD-Innensenator Michael Neumann fordern Flüchtlinge in Hamburg ein
       Bleiberecht. Er sagt, er könne nicht gegen das Gesetz handeln.
       
 (DIR) Aufstand der Flüchtlinge (3): Zu Fuß durch Bayern
       
       In Franken planen Flüchtlinge einen 300-Kilometer-Marsch. Sie wollen mit
       der Aktion erneut auf ihre schwierige Lage aufmerksam machen.