# taz.de -- Debatte Kopftuch-Verbot: De facto ein Berufsverbot
       
       > Zehn Jahre Kopftuchurteil in Deuschland, zehn Jahre Diskriminierung von
       > Musliminnen im Schuldienst. Das muss sich endlich ändern.
       
 (IMG) Bild: Als letzte Instanz entscheidet das Bundesverfassungsricht, hier über die Bekleidung beim Schwimmunterricht.
       
       Sie wurden zum Beispiel schwanger. Einige der jungen Lehrerinnen, denen die
       Landesregierung das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht verboten hatte,
       flüchteten sich in die Mutterschaft. Erst mal Zeit gewinnen. Einige
       kündigten und sind jetzt Hausfrauen. Andere wurden gekündigt. Wer konnte,
       wanderte aus, etwa nach Österreich, wo das Kopftuch in Schulen erlaubt ist.
       
       Manche wollten eine Mütze statt des Kopftuchs tragen, was die Gerichte aber
       auch nicht erlaubten. Eine Echthaarperücke mit kurzer Frisur, so dass man
       die Ohren sehen kann – das war und ist noch möglich.
       
       Zehn Jahre nach dem berühmten Kopftuchurteil gegen die
       baden-württembergische Lehrerin Fereshta Ludin ist die Lage der betroffenen
       Frauen, sagen wir mal, prekär.
       
       Etwas schärfer formuliert, haben sie seit zehn Jahren Berufsverbot. In acht
       von sechzehn Bundesländern ist Lehrerinnen das Tragen des Kopftuchs
       mittlerweile verboten. Deutschland erlaubt sich den Luxus, seinen
       muslimischen Lehrkräften eine rechtlich unhaltbare Situation zuzumuten.
       
       Und nicht allein Lehrerinnen, auch andere Frauen haben mit Kopftuch auf dem
       deutschen Arbeitsmarkt kaum eine Chance. Weil sie unemanzipiert aussehen,
       wird ihnen die Emanzipation durch qualifizierte Arbeit verwehrt. Ein sich
       selbst erfüllendes Vorurteil.
       
       Ja, sie bräuchten doch nur das Tuch auszuziehen, heißt es. Warum sollten
       wir?, entgegnen die Musliminnen. Und hier fangen die Merkwürdigkeiten an:
       Da ist eine Mehrheitsgesellschaft, die stolz ist auf ihre (kurze)
       freiheitliche und demokratische Tradition.
       
       ## Distanz zum Islam
       
       Mit christlichen Bekundungen hat sie dabei kaum ein Problem, auch wenn die
       voremanzipatorisch sind, das Berufsverbot für Frauen in der katholischen
       Kirche zum Beispiel oder das Verweigern des Rechts auf Familienplanung.
       Diese Rückständigkeiten sind der Mehrheit bekannt, sie sind das „Eigene“.
       Aber dem Islam gegenüber, den sie nicht so leicht einschätzen können, gehen
       sie auf Distanz. Das ist das „Andere“. Wo es auftritt, muss plötzlich der
       freiheitliche Rechtsstaat verteidigt werden.
       
       Die Kopftuchgesetze der meisten Bundesländer wiederholen diese schiefe
       Gedankenfigur: Es werden religiöse Bekundungen verboten, die geeignet sind,
       den Schulfrieden zu stören. Das ist sehr praktisch: Denn was ist „der
       Schulfrieden“? Einfacherweise der Status quo: Die Schulen wie sie jetzt
       sind, mitsamt Religionsunterricht, Kreuzen an Wänden, Schulgottesdiensten
       und unterrichtenden Nonnen im Habit.
       
       Gestört wird der Schulfrieden nicht durch das „Unsere“, sondern natürlich
       durch das „Andere“. Sicherheitshalber haben sich fünf Bundesländer sogar
       noch eine Ausnahmeregel für Christen und Juden erlaubt: Deren Bekenntnisse
       gehörten zur abendländischen Tradition und sind nicht verboten. Das
       Kopftuch dagegen schon.
       
       ## Bollwerk des Abendlandes
       
       Abendland und Morgenland – wo leben wir denn? Und in welcher Zeit? Soll die
       Schule das letzte Bollwerk des Abendlands gegen die herangaloppierenden
       Türken bilden? Oder befinden wir uns im 21. Jahrhundert, sind eine
       multireligiöse und freiheitliche Gesellschaft, die zig internationale
       Antidiskriminierungsabkommen unterzeichnet hat?
       
       Irgendwie doch eher Letzteres, sollte man meinen. Und nun könnte man einen
       Blick in den aktuellen Antidiskriminierungsbericht werfen, ein
       400-Seiten-Werk, das die Bundesregierung gerade herausgebracht hat. Darin
       wird beschrieben, dass Frauen mit Kopftuch auf Bewerbungen zu 99 Prozent
       Absagen erhalten und quasi nicht am Arbeitsleben teilnehmen können.
       
       „Die Antidiskriminierungsstelle bewertet in diesem Zusammenhang
       landesrechtliche Verbote religiöser Symbole als problematisch“, heißt es
       dort. Kein Wunder: Die Kopftuchverbote sind gegen muslimische Frauen
       gerichtet. Sie diskriminieren eine Religion und ein Geschlecht. In Ländern,
       die schon länger eine Antidiskriminierungskultur kennen wie die USA oder
       Großbritannien, sind solche Verbote undenkbar.
       
       ## Verfassungsgericht sagt: Entweder.. oder..
       
       Und eigentlich sollten sie das auch in Deutschland längst sein. Das
       Verfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung am 24. September 2003
       erklärt, dass man entweder eine multireligiöse Schule sein kann, mit
       Kreuzen, Kippas und Kopftüchern – oder eine laizistische, ohne jede Form
       von religiöser Symbolik.
       
       Viele Bundesländer haben diese Alternativen ignoriert und sich Ausnahmen
       zurechtgebastelt. Kopftuch raus, Kreuz weiter drin. Seit einem Jahrzehnt
       diskriminieren sie auf dieser Grundlage muslimische Lehrerinnen. Nun wird
       das Verfassungsgericht also ein zweites Mal aufräumen müssen, zwei Klagen
       von Lehrerinnen aus Nordrhein-Westfalen, die ein Kopftuch tragen, liegen
       dort vor und sollen noch in diesem Jahr entschieden werden.
       
       Und es kann noch ein weiterer Lernschritt fällig werden: Strenggenommen
       diskriminiert man Musliminnen nämlich immer noch, wenn man alle religiösen
       Symbole aus der Schule verbannt. Denn Kopftuchträgerinnen werden in
       unverhältnismäßiger Weise von diesem Verbot getroffen: Christen tragen in
       der Regel keine religiöse Kleidung. Mittelbare Diskriminierung nennt man
       das. Und auch die ist verboten.
       
       ## Was geht das den Staat an?
       
       Es ist aber auch grundsätzlich nicht zu rechtfertigen, wenn man Frauen in
       ihre Bekleidungsgewohnheiten hineinredet. Man muss kein Fan des Kopftuchs
       sein. Aber was geht das Tuch die anderen an? Was geht es den Staat an?
       
       Wichtig ist, dass Frauen, Mädchen, Kinder sich entwickeln können. Darum
       sollte sich der Staat kümmern. Der Burkini, den das
       Bundesverwaltungsgericht kürzlich für muslimische Schülerinnen empfahl, ist
       eine prima Lösung, denn der Staat sollte allen – auch muslimischen Mädchen
       – ermöglichen, schwimmen zu lernen.
       
       Dass jede fünfte junge Muslimin ein Kopftuch trägt, ist dagegen ihre Sache.
       Ihr Tuch hindert sie an nichts. Außer daran, einen Job zu finden. Darum
       sollte sich der Staat kümmern.
       
       Es wird daher Zeit, dass die Mehrheitsgesellschaft ihren freiheitlichen,
       demokratischen Anspruch ernst nimmt und sich selbst Nachhilfe in Inklusion
       und Integration gibt. Wir sollten auch verschärft über den Umgang mit
       diskriminierenden Religionen nachdenken.
       
       Dazu gehören Zwangsehen genauso wie Berufsverbot für Frauen bei den
       Katholiken. Ja, der Islam hat einen schlechten Ruf. Aber er ist heute auch
       eine deutsche Religion. Die ist rückständig, aber die „Unsere“ wie das
       Christentum.
       
       22 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heide Oestreich
       
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