# taz.de -- Grünhelme-Chef über Hilfe für Syrien: „Ich fühle mich schuldig“
       
       > Im Juli wurden drei Helfer der Organisation Grünhelme entführt und
       > befreiten sich später selbst. NGO-Chef Rupert Neudeck über Krieg, Angst
       > und Ohnmacht.
       
 (IMG) Bild: „Zivilgesellschaft nach 50 Jahren Geheimdienstdiktatur“: Wiederaufbau im syrischen Azaz
       
       taz: Herr Neudeck, am 15. Mai erreichte Sie zu Hause in Troisdorf bei Köln
       die Nachricht von der Entführung Ihrer drei Mitarbeiter im syrischen Harim.
       Die Grünhelmaktivisten – der Mechaniker Bernd Blechschmidt, der Zimmermann
       Simon Sauer und der Ingenieur Ziad Nouri – hatten gerade begonnen, ein
       Krankenhaus wiederaufzubauen. Über Wochen war ungewiss, ob sie ermordet
       wurden. Wie haben Sie diese Ungewissheit ausgehalten? 
       
       Rupert Neudeck: Ich war 110 Tage, bis zum 3. September, in einer
       Angststarre und konnte mich kaum wegbewegen von meinem Telefon. Meine Frau
       Christel und ich wollten etwas tun, doch wir waren wie ohnmächtig. Wir
       konnten kaum etwas tun, außer warten.
       
       Fühlten Sie sich für das Schicksal der drei Entführten verantwortlich? 
       
       Als Vorsitzender der Grünhelme habe ich die alleinige Verantwortung für
       meine Mitarbeiter und damit auch für ihre Entführung. Ich fühle mich
       schuldig – und so, als wenn mir im übertragenen Sinne Bernd, Ziad und Simon
       die Absolution erteilen müssten, damit ich in mein altes Leben zurückkehren
       kann.
       
       Sie arbeiten schon seit 1979 in Krisengebieten, waren unter anderem im
       Kongo und in Afghanistan. Haben Sie dennoch die Gefahren in Syrien
       unterschätzt? 
       
       Als wir Grünhelme 2012 in Syrien anfingen, war die Situation eine ganz
       andere. Wir konnten noch mit einem ordentlichen Visum über die Türkei
       einreisen und waren in Azaz, wo die Rebellen die Oberhand hatten, höchst
       willkommen. Dort waren die Menschen dabei, eine neue Zivilgesellschaft nach
       über 50 Jahren unter der Geheimdienstdiktatur aufzubauen. Wir waren Teil
       dieses Enthusiasmus. Zu dieser Zeit wussten wir noch nichts von den jungen,
       internationalen Mudschaheddin, die nach Syrien einreisten und sich unter
       die heimischen Rebellen mischten.
       
       Das Deutsche Rote Kreuz hatte Ihnen vorgeworfen, zu große Risiken für Ihre
       Mitarbeiter in einem Bürgerkriegsgebiet einzugehen. Kurz darauf wurden Ihre
       Kollegen entführt. 
       
       Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes hat diese Kritik mittlerweile
       relativiert. Die Kollegen arbeiten anders als wir. Die Grünhelme sind dazu
       da, um in Situationen reinzugehen, in denen es keine absolute Sicherheit
       gibt. Aber ich habe in meinen 34 Jahren bei den Grünhelmen noch nie einen
       meiner Mitarbeiter in eine Situation reingeschickt, in der ich nicht vorher
       selbst gewesen bin.
       
       Anfang Juli gelang Blechschmidt und Sauer die Flucht. Nach 111 Tagen
       Gefangenschaft konnte Anfang September auch Nouri fliehen. Wie geht es den
       Männern heute? 
       
       Alle drei sind in Deutschland. Ziad Nouri geht es den Umständen
       entsprechend sehr gut, er hat keine sichtbaren, gesundheitlichen
       Verletzungen. Aber eigentlich möchte ich dazu nichts sagen. Ich kann mich
       auch irren, es gibt ja auch Langzeitfolgen.
       
       Wissen Sie mittlerweile, wer die Entführer waren? 
       
       Wir wissen nur, dass es keine Syrer waren, sondern Mudschaheddin, die sich
       wahrscheinlich abwechselten. Einer der Entführer sprach Deutsch, es gibt
       Hinweise, dass Deutsche aus Nordrhein-Westfalen in das Verbrechen
       verwickelt sind.
       
       Sie ergreifen klar Partei für die syrischen Rebellen und positionieren sich
       gegen Machthaber Baschar al-Assad. Warum tun Sie das? 
       
       Ich war immer gegen Diktaturen und habe für Rebellen Partei genommen. Ich
       weiß gar nicht, wie das anders geht. Da ist eine junge Bevölkerung, die
       sich endlich ein freies Leben wünscht und die deswegen von ihrer Regierung
       bombardiert wird. Deswegen stellt sich für mich die Frage überhaupt nicht,
       auf wessen Seite ich stehe. Das ist keine Wahl wie zwischen SPD und CDU.
       
       Auch die Aufständischen haben mutmaßlich Kriegsverbrechen begangen,
       radikale Islamisten kämpfen in ihren Reihen. Verletzen Sie durch Ihre
       Parteinahme nicht das Gebot der politischen Neutralität, das eine
       humanitäre Organisation beachten sollte? 
       
       Die Gewalt ist zuerst vom Regime ausgegangen, zudem sind wir ja nicht
       identisch mit den Rebellen. Doch natürlich haben sich die Dinge durch die
       Entführung geändert. Es wird immer schwieriger herauszufinden, welche
       Gruppe wirklich terroristisch angehaucht ist. Es kommen auch immer mehr
       Busladungen ausländischer Gotteskrieger. Die wollen eine Art Gottesstaat,
       in der Ungläubige, wie sie sagen, nichts zu suchen haben. Das macht die
       Sache für die Aufständischen besonders schwierig. Als Grünhelme würden wir
       auch auf der anderen Seite arbeiten – also zusammen mit Damaskus. Wir haben
       uns schon in vielen Ländern auf beiden Seiten engagiert.
       
       In Ihrem kürzlich erschienenen Buch „Es gibt ein Leben nach Assad.
       Syrisches Tagebuch“ schildern Sie als Ihr furchtbarstes Erlebnis in Syrien
       eine verhältnismäßig unscheinbare Szene: Kinder quälen eine Katze, für Sie
       ist dieser Anblick unerträglicher als all die Leichen und zerbombten
       Häuser. 
       
       Ich habe Kinder in Flüchtlingslagern auf der ganzen Welt beobachten können,
       und immer hatten sie sich in all der Not einen Rest ihrer Kindlichkeit
       bewahrt. Die kleinen Kinder, die in Syrien die Katze gesteinigt haben,
       haben offensichtlich Freude dabei empfunden. Die Kinder verrohen, sie sind
       so hilflos und erleben jeden Tag Gewalt. Dies schafft in ihren Köpfen erst
       eine spielerische, später eine akute Gewaltbereitschaft. Die junge
       Generation wird verseucht durch Gewalt.
       
       Nach dem Giftgasanschlag und der Androhung einer militärischen Intervention
       durch die USA kam der gemeinsame Vorstoß von Washington und Moskau, Syriens
       Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen. Assad ging darauf
       ein und stellte bei den Vereinten Nationen einen Antrag zum Beitritt zur
       Chemiewaffenkonvention. Sie sagen, der Westen habe komplett versagt. 
       
       Ich verstehe es einfach nicht. Warum machen sich die Menschen nicht auf
       nach Syrien, um dort gegen Assads Regime zu kämpfen? In Zeiten von Facebook
       und Billigflügen ist das doch ein Leichtes. Es ist skandalös, wie wir die
       Syrer alleinlassen.
       
       Wie kann dieser Bürgerkrieg endlich beendet werden? 
       
       Ich weiß es nicht, ich vertraue den Großmächten nicht sehr. All den Worten
       sind bisher keine Taten gefolgt und die Syrer sind enttäuscht von uns.
       Assad wird sich vorerst noch halten, doch die Rebellen sind dank
       ausländischer Unterstützung sehr stark.
       
       Eine militärische Intervention, wie sie die syrische Opposition gefordert
       hat, ist ja nun erst mal vom Tisch. 
       
       Davon halte ich auch überhaupt nichts. Es müssen Verhandlungen geführt
       werden, es muss eine Konferenz stattfinden, an der alle Beteiligten zur
       Teilnahme gezwungen werden und an deren Ende die Verpflichtung zu einer
       freien Wahl steht. Doch wir müssen Geduld mit den Menschen haben, die 50
       Jahre von ihren Machthabern gegeneinander aufgehetzt wurden.
       
       Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie sich im Anschluss an Ihre erste
       Begegnung mit Blechschmidt nach dessen Freilassung wie gelähmt gefühlt
       hätten. Sie seien sich unsicher gewesen, ob Sie überhaupt noch humanitär
       arbeiten könnten. 
       
       Ich bin mir immer noch unsicher, ob ich diese Arbeit weitermachen kann,
       dies wird sich in den nächsten Wochen herausstellen. Die Entführung war für
       mich das Schlimmste, das ich erlebt habe. Sie hat mein Innerstes
       erschüttert und ich spüre einen Stachel in meiner Seele. Ich muss aus
       dieser Erfahrung meine Konsequenzen ziehen und vielleicht den Vorsitz der
       Grünhelme abgeben.
       
       Gibt es einen Nachfolger für Ihren Job? 
       
       Darüber möchte ich noch nicht sprechen.
       
       25 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cigdem Akyol
       
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