# taz.de -- Videotheken in der Krise: Gegen den Stream
       
       > Ob große Ketten oder kleine Spezialisten: Video-Verleihern geht es
       > schlecht. Manche wollen sich damit nicht abfinden und mischen die Branche
       > auf.
       
 (IMG) Bild: Gekauft oder geliehen?
       
       BERLIN taz | Als die lebensgroße Lara Croft aus Pappkarton den Besucher im
       Schaufenster begrüßte, da ging es der Branche noch gut. Die geliehene
       Liebesschnulze und die überteure Cherrycoke retteten früher so manchen
       regnerischen Feierabend.
       
       Nun steckt die Branche in der Krise. Ketten wie Videobuster, World of Video
       oder Empire locken mit Dumpingpreisen, Verleih für einen Euro. Trotzdem ist
       der letzte Besuch vieler Kunden schon ewig her, der Ausweis lange
       verschollen. Nicht einmal dem Pornogeschäft geht es gut: Der Anteil liegt
       bei neun Prozent, Tendenz seit Jahren sinkend. Das Internet hat mehr Filme,
       zu jeder Zeit und billiger.
       
       „Ihr seid doch bescheuert“, sagten Anne Petersdorffs Freunde zu ihr, als
       sie ihre Videothek „Madeleine und der Seemann“ vor vier Jahren mit ihrem
       Geschäftspartner Oliver Kubisch eröffnete. Sie lernten sich als
       Fahrradkuriere kennen und teilten die Leidenschaft für Filme. Dem kleinen
       Laden in Berlin-Lichtenberg, der mit nur 800 Filmen startete und nun nicht
       nur Videos, sondern auch Weine, Second-Hand-Kleidung und Softeis anbietet,
       geht es gut. Die Einnahmen steigen jährlich um rund 20 Prozent. Das ist
       eine große Ausnahme.
       
       „Es ist wie bei Plattenläden“, so Petersdorff, „die Kunden wollen was in
       der Hand haben und sich über Filme austauschen.“ Die 35-Jährige sitzt auf
       einem Sessel aus den 60ern. Die Videothek erinnert an ein Wohnzimmer und
       hat mit den kühlen Gewerberäume der großen Ketten nicht viel gemein. „Die
       Branche wird sich spezialisieren und nicht aussterben“, glaubt sie und
       versucht in der „Madeleine“ den Spagat zwischen Blockbustern,
       Arthouse-Filmen, Klassikern und Kinderprogramm. Die DVD-Sammlung ist auf
       rund 5.500 Filme angewachsen, gerade feiert sie ihr vierjähriges Bestehen.
       
       ## Verändertes Freizeitverhalten
       
       Während Anne Petersdorff mit ihrem Geschäftspartner in Lichtenberg anstößt,
       schleppt Silvio Neubauer Kisten – viele Kisten. Die Filmgalerie 451 zieht
       weg aus dem stuckverzierten Altbau in Berlin-Mitte. Neubauers Filiale ist
       mit über 23.000 Filmen eine der größten Arthouse-Videotheken Deutschlands,
       trotzdem bleibe dem Inhaber nichts anderes übrig, als „die Fixkosten zu
       senken“. Zwar hat der 55-Jährige Glück und kann mit der Filmgalerie im Kiez
       bleiben, muss die Ladenfläche jedoch deutlich verkleinern.
       
       Die Industrie drängt mit großem Werbeaufwand die Leute dazu, Filme zu
       streamen, sagt Neubauer. Das Freizeitverhalten habe sich verändert. „Es
       geht nicht darum, ob man auf Smartphones oder im Internet Filme guckt“, so
       der 55-Jährige. Doch Internet und Handy seien Dinge, mit denen sich viele
       Menschen schlichtweg mehr beschäftigen als früher und deshalb weniger Zeit
       für Filme haben. Neubauer ist sich sicher: „In zehn Jahren wird es
       Videotheken in dieser Form nicht mehr geben.“
       
       Die Vermietvorgänge deutschlandweit sinken. Im Jahr 2010 verliehen die
       Videotheken 102 Millionen Videos. Zwei Jahre später waren es 27 Millionen
       weniger. Rund 200 Videotheken schlossen in dieser Zeit. Trotzdem setzt
       Neubauer weiter auf den reinen Videoverkauf und redet sich die neuen, viel
       kleineren Räumlichkeiten in Prenzlauer Berg schön: „An unseer Leistung oder
       dem, was uns ausmacht, ändert sich nichts.“
       
       Der drahtige Mann im Polohemd will keine Snacks oder Eisverkäufe. „Dafür
       gibt’s den Spätkauf um die Ecke.“ Tatsächlich gehen in Deutschland
       durchschnittlich nur 7 Prozent aller Einnahmen durch Lebensmittel, Alkohol
       und Poster ein. Auch Veranstaltungen mag der gebürtige Konstanzer nicht.
       Durch die Schließung der Schwesterfiliale in Stuttgart, die Kinoabende
       veranstaltete, fühlt sich Neubauer bestätigt: „Das bringt es auch nicht.“
       
       ## Der Laden als Erlebnis
       
       Anne Petersdorff hingegen setzt auf Kinderkino, Verleih von
       Gesellschaftspielen, Paketservice, den Ladenbesuch als soziales Erlebnis.
       „Wir sind keine Videothek, sondern ein Sammelsurium“, sagt die Inhaberin.
       Mit hippen Snacks von jungen Unternehmen und Weltladen-Süßigkeiten setzt
       sich „Madeleine und der Seemann“ vom Lagnese-Funny-Frisch-Sortiment der
       großen Ketten ab.
       
       Warum genau die Madeleine funktioniert, kann Petersdorff nicht erklären.
       „Die ersten zwei Jahre waren richtig scheiße“, sagt die gebürtige Jenaerin.
       Die Fluktuation der Kneipen und Läden in der Straße ist hoch. Aber
       benachbarte Videotheken schließen, so wird das Einzugsgebiet immer größer.
       Zwar sei mit rund 3.000 Kunden der Stamm eher klein, aber treu, sagt
       Petersdorff. Trotzdem arbeitet sie noch heute Teilzeit als Sachbearbeiterin
       in einer Immobilienfirma. Ihr Geschäftspartner hat den Job als
       Fahrradkurrier nie aufgegeben. Die ersten Monate standen die zwei noch
       selbst am Tresen. Heute haben sie drei Mitarbeiter, die den Laden betreuen.
       
       Moderate Mieten und ein anspruchsvolles Publikum waren die
       Vorraussetzungen, warum Anne Petersdorff ihre Videothek gerade in der
       Lichtenberger Viktoriastadt eröffnete: Nebenan im szenigen
       Friedrichshain-Kreuzberg wären die Mieten zu hoch und die Konkurrenz sei zu
       groß. Das Kopfsteinpflaster und die Altbauten der Viktoriastadt grenzen an
       den Lichtenberger Hochhaushimmel. Die Filmförderung Berlin-Brandenburg
       unterstützte den Laden zu Beginn. Es ist selten, dass eine Videothek
       Fördergelder erhält.
       
       Der Verband der Videobranche IVD verschickte im Herbst 2012 300.000
       individualisierte Werbebriefe an Videoausweisbesitzer, die ihre Videothek
       ein halbes Jahr nicht aufsuchten. 75.000 davon liehen darauf wieder ein
       Video aus. IVD-Vorstand Jörg Weinrich, erklärt im Geschäftsbericht: „Dies
       entspricht einer hoffnungsfroh stimmenden Reaktivierungsquote von rund 25
       Prozent!“
       
       Wie hoffnungsfroh das einmalige Ausleihen eines Videos die Branche stimmen
       kann? Die größte Konkurrenz bleibt Streaming. Hybride zwischen Videotheken
       und Internet sind nur ein kleiner Teil des Marktes. Die Verleihe an
       Automaten machten vergangenes Jahr nur drei Prozent aus, Tendenz sinkend.
       Auch Onlinevideotheken, bei dem die DVDs per Post verschickt werden, setzen
       sich auf dem Markt nicht durch: Wozu der Aufwand, wenn die Filme bei
       Maxdome und Watchever sofort per Stream zu sehen sind. Oder kostenlos bei
       kinox.to.
       
       ## Es gibt sie noch, die seltenen Filme
       
       Das Glück der Arthouse-Videotheken: „Egal ob bei den legalen oder illegalen
       Videoseiten, viele unserer Filme sind nicht so verbreitet im Internet“,
       sagt der Inhaber der Filmgalerie Silvio Neubauer. Manche Hollywoodklassiker
       aus den 40er und 50er Jahren gibt es nur in bestimmten Ländern auf DVD
       beispielsweise in Italien oder Spanien. Neubauer hat sie trotzdem.
       
       Im Februar 1987 eröffnete der damalige Architektur-Student mit Kollegen aus
       der Film-AG seiner Universität die Filmgalerie 451 in Stuttgart. Die Gruppe
       spaltete sich, Neubauer ging mit einer eignen Videothek nach
       Mönchengladbach. 2001 zog er nach Berlin und öffnete dort eine weitere
       Videothek, diesmal unter der Marke 451, unter dem einige der Stuttgarter
       Freunde nun ein Filmproduktionslabel betrieben. In freundschaftlicher
       Kooperation, aber völlig unabhängig führte Neubauer seine Videothek in
       Mitte über zwölf Jahre lang. Mit dem Umzug legt er die Ziffern jedoch ab
       und benennt die Videothek in „Filmgalerie“. Es gebe zu viele Verwechslungen
       mit dem Filmlabel, sagt er.
       
       Was er sich für die Zukunft vorstellen könnte, wäre ein Filmmuseum, wo die
       Besucher nostalgisch über alte Zeiten sprechen und die Filme dazu ausleihen
       können. Er findet es toll, wenn Familien schon jetzt in die Videothek
       kommen und die Eltern von den Filmen von früher erzählen. Aber für ein
       Museum fehlt die Finanzierung.
       
       Anne Petersdorffs will nicht vorhersagen, wie die Videothek in fünf Jahren
       aussieht. „Das wird man sehen“, sagt die 35-Jährige. Sie sitzt auf dem Sofa
       am Bürgersteig vor dem Laden. Hinter ihr ein umgerüssteter
       Zigarettenautomat, aus dem man kleine Kunstobjekte kaufen kann. Mit immer
       wieder neuen hippen Produkten versucht sie attraktiv zu bleiben. Dazu mag
       sie Veränderung im Laden und stellt immer mal wieder die Regalinhalte und
       Möbel um.
       
       Die großen Filialen der Ketten Videobuster, World of Video oder Empire
       wirken dagegen rückwärtsgerichtet. Die Einrichtung ist oft aus den 90ern.
       Das Licht der Leuchtstoffröhren ist kühl, die knalligen Cover der
       Pornoabteilung wirken wie eine Parodie auf sich selbst. „Nostalgisch, ohne,
       dass sie wirklich nostalgisch sind“, sagt Silvio Neubauer zu den großen
       Ketten. „Eigentlich wollen die mit Blue Rays und neusten Konsolen besonders
       zukunftsgerichtet wirken. Nur funktioniert es nicht.“
       
       7 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Svenja Bednarczyk
       
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