# taz.de -- Interview mit Chef Berlin Energie: „Was wir machen, ist kein Teufelszeug“
       
       > Hohe Gewinne für die Stadt und die Umsetzung der Energiewende: Der Chef
       > von Berlin Energie, Wolfgang Neldner, will das Gas- und Stromnetz in
       > Landeshand holen - ohne Deal mit Vattenfall.
       
 (IMG) Bild: Schaut mit Spannung auf den Volksentscheid: Wolfgang Neldner.
       
       taz: Herr Neldner, sind Sie schon Berlins Wirtschaftssenatorin begegnet? 
       
       Wolfgang Neldner: Nein.
       
       Cornelia Yzer von der CDU hält das, was Sie machen sollen, für Teufelszeug:
       Strom- und Gasnetze zurück in Landeshand holen. 
       
       Das ist das Schöne nach der Einheit: Jetzt haben wir Demokratie. Jeder kann
       sagen, was er will. Das genieße ich geradezu, das wird man mir als
       ehemaligem DDR-Bürger abnehmen (lacht). Aber im Ernst: Was wir machen, ist
       kein Teufelszeug.
       
       Wie würden Sie Frau Yzer erklären, dass Berlin seine Energienetze
       übernehmen soll? 
       
       Es geht dabei um nichts weniger als die Umsetzung der Energiewende. Das ist
       eine komplexe gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Da kann sich ein Land wie
       Berlin danebenstellen und gucken: Wie läuft das? Oder es kann die
       Entwicklung mitgestalten. Ich bin dafür, dass wir sie mitgestalten.
       
       Alle Kritiker der Kommunalisierung rufen: Das Stromnetz hat mit der
       Energiewende nichts zu tun, der Betreiber muss Strom aus allen Quellen
       durchleiten, nicht nur den grünen. 
       
       Aus der gegenwärtigen Rechtssituation heraus ist die Gestaltungsmacht noch
       limitiert. Aber es geht um die Zukunft. Jetzt nach der Bundestagswahl
       beginnen die Diskussionen über die konkrete Gestaltung der Energiewende.
       
       Was hat das konkret mit dem Stromnetz zu tun? 
       
       In dem werden wir künftig tagsüber innerhalb weniger Stunden eine hohe und
       sehr dynamische Photovoltaikerzeugung haben, unendlich viel Energie. Nachts
       aber gar nichts. Dagegen bleibt die Lastkurve die ganze Zeit über nahezu
       unverändert …
       
       Was ist die Lastkurve? 
       
       Die Nachfrage nach Strom, der Verbrauch. Wir werden also in einer ganz
       anderen Art und Weise als heute die Frage beantworten müssen: Wie können
       wir diese Lastkurve flexibilisieren? Großstädte spielen dabei eine ganz
       besondere Rolle, weil sie viele Energieverbraucher auf engem Raum vereinen.
       Es geht darum, die Netze intelligenter zu machen.
       
       Aber warum muss das Land Berlin das selbst machen? 
       
       Weil die Beantwortung einer zentralen Frage ansteht: Wollen wir diese
       Energiewende nun schaffen oder nicht? Schaffen werden wir sie nicht durch
       einzelne Akteure mit ihren jeweiligen Interessen, sondern nur durch das
       Zusammenspiel von vielen. Wir alle müssen den Mut und die Kraft dafür
       aufbringen. Berlin kann und wird sich hier sehr proaktiv in den anstehenden
       Bund-Länder-Prozess einbringen. Das nötige Faktenwissen kann Berlin Energie
       zur Verfügung stellen.
       
       Was soll das heißen? 
       
       Es geht bei den Netzen um Daten! Daten über das, was durch die Leitungen
       fließt. Momentan kennen die wichtigen Daten zum Netz weder Sie noch ich
       noch das Land Berlin.
       
       Vattenfall drückt allen Interessierten ein sehr dickes Buch mit Daten in
       die Hand, der Konzern nennt es das Telefonbuch des Berliner Stromnetzes. 
       
       Klar, ich kenne dieses Buch. Aber das sind statische Daten. Dynamische
       Daten, also wann welche Leitung wie hoch belastet ist, über einen Tag, eine
       Woche, einen Monat hinweg, das werden Sie in diesem Buch nicht finden.
       
       Wozu sollte mich das interessieren? 
       
       Um den für die Energiewende nötigen Ausbau und Umbau des Netzes zu
       optimieren, ebenso wie dessen Instandhaltung. Aber auch, um den künftigen
       naturstrombasierten Versorgungsbetrieb gestalten zu können. Wir wollen
       Berlin Energie zum transparentesten Verteilnetzbetreiber Deutschlands
       machen. Diese Daten bekommen dann nicht nur das Land und dessen
       Landesbetriebe – nein, die bekommen alle. Und denken Sie erst an die
       Synergien, die das Gas- und das Stromnetz gemeinsam in Landeshand bedeuten
       würden.
       
       Erklären Sie. 
       
       Weder Vattenfall noch Gasag können solche Synergien entwickeln. Für beide
       Netze liegen die Leitungen in der Erde. Im Moment muss für Gas und Strom
       separat die Erde aufgegraben werden, es müssen entsprechende Gespräche mit
       den Kunden geführt werden, die haben einen Gasvertrag und einen
       Stromvertrag, betreut von einen Anbieter, betreut vom anderen Anbieter. Für
       die Bürger ist es in jeder Hinsicht ein Gewinn, wenn alles in einer Hand
       liegt. Denn es macht den Betrieb effizienter und billiger.
       
       Einige in Berlin treibt eher um, dass sich das Land mit dem Kauf der Netze
       einem hohen Schuldenrisiko aussetzen könnte. 
       
       Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass da einige in der Stadt
       Gespenster an die Wand malen. Wie ein von der Bundesnetzagentur streng
       regulierter Netzbetreiber pleitegehen soll, ist mir ein Rätsel. Warum gäbe
       es sonst so ein enormes Interesse von alten und neuen Bewerbern für dieses
       äußerst attraktive Netzvermögen? Und natürlich werden wir strikt darauf
       achten, dass nur absolute Fachfrauen und -männer in die entsprechenden
       Positionen kommen, wenn wir Berlin Energie aufbauen.
       
       Das Netz würde Berlin wohl etwa eine Milliarde Euro kosten. 
       
       Erst einmal wird entschieden, wer die Konzession für das Netz bekommt.
       Anschließend wird es um den Übernahmeprozess und dabei um den genauen Preis
       gehen. Dieser Preis wird im Detail auszuhandeln sein, wobei es klare
       rechtliche Festlegungen für diesen Prozess gibt. Aber natürlich, das Geld
       muss aufgebracht werden.
       
       Kritiker warnen vor neuen Haushaltslöchern. 
       
       Wir werden das sehr professionell managen und haben mehrere
       Sicherungsmechanismen. Für diese Stromnetzkonzession gäbe es doch nicht
       mehrere Bewerber, wenn es nicht um ein nachhaltig positives Geschäft ginge.
       Das Vermögen ist real da. Das Netz liegt in der Erde, das kann niemand
       wegnehmen. Und durch die exzellente deutsche Regulierung ist tatsächlich
       jedes Jahr eine positive Rendite da. Die fließt derzeit bekanntermaßen
       nicht nach Berlin. In Zukunft soll sie Jahr für Jahr nach Berlin fließen,
       ebenso wie gleichzeitig dem Land das Vermögen des Netzes zufließt. Das ist
       ein Grund, weshalb wir um die Konzessionen kämpfen.
       
       Wie wollen Sie das machen, gegen erfahrene Platzhirsche wie Vattenfall und
       Gasag? 
       
       Wir haben mit Berlin Energie in beiden Konzessionsverfahren den
       Eignungstest bestanden und befinden uns beim Gasverfahren derzeit in
       Verhandlungen. Wenn die Entscheidungen gefällt sind und Berlin Energie die
       Konzessionen erhalten sollte, dann werden wir gemeinsam mit den
       Altkonzessionären einen Übergabeprozess strikt nach Gesetz durchführen. Und
       dann gibt es einen ganz klaren Übergang der Technik, der Betriebsprozesse
       und vor allem des Betriebspersonals in Übereinstimmung mit dem Gesetz und
       dem noch gültigen bisherigen Konzessionsvertrag.
       
       Vattenfall sagt: Von seinen rund 1.400 Stromnetzmitarbeitern ginge
       automatisch nur der Kern ans Land über, ungefähr 150 Leute. 
       
       Wir gehen davon aus, dass es zu einem Betriebsübergang all derer kommt, die
       sich heute mit den Verteilnetzen Strom oder Gas beschäftigen, denn genau
       das steht im Konzessionsvertrag und im Gesetz. Wir stehen bereit, all diese
       Menschen zu übernehmen. Wer für das Netz tätig ist, ergibt sich eindeutig
       aus den Vorschriften. Es ist also unnötig, und ich würde das sehr bedauern,
       wenn wir hier in eine konfliktive Situation kämen. Wir sollten nicht
       Menschen, die sehr gute Arbeit leisten, zum Zankapfel von Politik machen.
       
       Eine bestimmte Politik verfolgen ja auch Sie. 
       
       Ja, aber dabei geht es um eine neue Philosophie! Ich möchte diese
       Begeisterung für die Energiewende reinkriegen, verstehen Sie? Wir werden
       noch viel intensiver mit Hochschulen kooperieren, damit wir mit jungen
       Leuten Lösungen entwickeln, die heute noch niemand kennt, wir Alten schon
       gar nicht. Eigentlich müssten wir damit noch zwei Stufen tiefer anfangen,
       in den Kindergärten, um den Kindern dieses Phänomen der Energiewende zu
       erklären.
       
       Sie wollen aber doch Netzbetreiber werden und nicht Bildungssenator. 
       
       Ach, viele behaupten ja, ein Netzbetreiber könne die Politik nicht
       beeinflussen. Das stimmt nicht. Dass ein Netz mit der Energiewende nichts
       zu tun hat, das ist eben nur aus einem sehr isolierten Blickwinkel heraus
       richtig. Ich kann wegen des laufenden Verfahrens keine Details aus unserer
       Bewerbung nennen, aber mir geht es um eine andere Ebene. Einen
       Paradigmenwechsel!
       
       Das wollen die Initiatoren des Energie-Volksentscheids auch. Gehen Sie am
       3. November abstimmen? 
       
       Das weiß ich noch nicht. Aber die Energiewende ist definitiv nur schaffbar,
       wenn große Teile der Bürgerschaft mitmachen. Wir mögen gewisse Unterschiede
       zu den Initiatoren haben, wenn es um die detaillierte Umsetzung geht – aber
       vieles im Gesetzentwurf Vorgeschlagene machen wir doch schon. Wenn wir
       Berlin Energie als Netzbetreiber an den Bürgern vorbeibasteln würden, das
       wäre doch nicht sinnvoll, und das wird so nicht passieren.
       
       Es gibt auch eine Bürgergenossenschaft, die das Stromnetz mit dem Land
       zusammen übernehmen will. 
       
       Ich bin auf jeden Fall für solche Dinge sehr, sehr offen. Im jetzt
       laufenden Verfahren bewerben wir uns aber um 100 Prozent Strom- und 100
       Prozent Gasnetz. Eine spätere Zusammenarbeit ist dadurch nicht
       ausgeschlossen.
       
       Einige befürchten, es wird eher zu einem Deal mit Vattenfall kommen. 
       
       Nein, wir werden da an keiner Stelle irgendwelche Deals machen, wir haben
       eine ganz klare Linie im Interesse von Berlin. Wir wollen zeigen, wie wir
       die Zukunft besser gestalten können, und dafür setzen wir unsere ganze
       Kraft ein. Wir sind gut vorbereitet.
       
       11 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Puschner
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Umweltschutz
 (DIR) Volksentscheid
 (DIR) Volksentscheid
 (DIR) Berlin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Klimaschutz: Vattenfall fehlt die Energie
       
       2009 schloss der Berliner Senat eine Klimaschutzvereinbarung mit dem
       Vattenfall-Konzern. Doch der Energieversorger zeigt bei der Umsetzung wenig
       Engagement.
       
 (DIR) Energie-Volksentscheid in Berlin: Billig kann man abhaken
       
       Wird der Strom billiger, wenn der Volksentscheid Erfolg hat? Die
       Initiatoren versprechen „bezahlbare Energie“. Konkrete Preise kann niemand
       nennen.
       
 (DIR) Berlin Energie-Chef prescht vor: Das Stromnetz soll es bringen
       
       Um die Energiewende voranzubringen, sollte das Land Berlin sein Stromnetz
       selbst übernehmen, sagt der Chef der landeseigenen Berlin Energie, Wolfgang
       Neldner.
       
 (DIR) Volksentscheid: „Hier werden Ängste gestreut“
       
       Streitgespräch mit Stefan Taschner vom Energietisch und Christian Amsinck
       von der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg.
       
 (DIR) Volksentscheid: Energietisch wirbt für Briefwahl
       
       Mit 10.000 Plakaten sollen die Wähler mobilisiert werden, um das Quorum zu
       knacken. Das Bündnis setzt auf Rückenwind aus Hamburg.