# taz.de -- Dynamik in der City West: Zerstörter Protz, versagte Moderne
       
       > Der Breitscheidplatz wurde nach dem Bau der Mauer zur kapitalistischen
       > Erwiderung auf den Alexanderplatz. Nun soll er neu belebt werden.
       
 (IMG) Bild: Am Breitscheidplatz steht inzwischen einiges Kopf.
       
       Das Café Westberlin im Kreuzberger Teil der Friedrichstraße ist ein
       Seismograf über den Zeitgeist. Modemagazine liegen hier aus,
       Kunstzeitschriften und natürlich jede Menge Literatur über den ehemaligen
       Westen der Stadt. Über den Breitscheidplatz findet sich aber nichts in
       diesem in mattem Weiß gestylten Designcafé, das von ein paar Amerikanern
       betrieben wird. Einzig in Reclams „Architekturführer Berlin“ findet sich
       ein kleiner Eintrag zum Europa-Center, der den Betreibern des Cafés
       bestimmt gefallen würde. „Das Europa-Center“, heißt es darin, „galt als
       Berlins erster Vielzweckbau nach US-amerikanischem Muster“.
       
       Vor fünfzig Jahren, im November 1963, hatte West-Berlins Regierender
       Bürgermeister Willy Brandt den Grundstein für das Europa-Center gelegt.
       Zwei Jahre nach dem Bau der Mauer sollte Berlin endlich ein eigenes Zentrum
       bekommen – weltstädtisch, kosmopolitisch, modern, eine Art westliche und
       kapitalistische Antwort auf den östlich-sozialistischen Alexanderplatz.
       
       Tatsächlich war das Europa-Center ein Bau der Superlative. 103 Meter hoch
       war Berlins erstes Hochhaus, drum herum entstand Berlins erstes
       Einkaufszentrum samt Kunsteisbahn. Zusammen mit dem wabenförmigen Neubau
       der Gedächtniskirche von Egon Eiermann, der 1961 fertiggeworden war, und
       dem 1957 fertiggestellten Bikini-Haus bildete der Breitscheidplatz fortan
       den Kern der Westberliner City. Wer vom Bahnhof Zoo ausstieg und in
       Richtung Ku’damm und Tauentzien ging, unternahm eine Zukunftsreise in ein
       „kleines Stück gebautes Amerika“, wie es einmal Berlins ehemaliger
       Senatsbaudirektor Hans Stimmann formulierte.
       
       Mit der städtebaulichen Neuerfindung verschwand freilich ein Stück des
       noblen Berliner Westens. Begonnen hatte die Geschichte des
       Gutenbergplatzes, wie der spätere Breitscheidplatz im Kaiserreich hieß, mit
       der Fertigstellung des Kurfürstendamms 1886. Der Berliner Westen war nun
       das bevorzugte Wohngebiet für die Schönen und Reichen – und der
       Gutenbergplatz wurde zum Verkehrsknoten. Nachdem 1888 Kaiser Wilhelm I.
       starb, begannen die Planungen für eine Kirche, die ihn im Gedächtnis der
       Deutschen bewahren sollte. Mit dem Bau dieser
       Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche nach den Plänen von Franz Schwechten wurde
       1892 begonnen, im gleichen Jahr wurde der Platz nach Auguste-Viktoria, der
       Ehefrau des verstorbenen Kaisers, benannt.
       
       Schwechtens Kirchenbau folgte 1899 das Romanische Haus, in dem später dann
       das gleichnamigte Café eröffnete – dort, wo heute das Europa-Center steht.
       Der durch und durch amerikanische Platz, der in den sechziger Jahren das
       neue Zentrum West-Berlins bilden sollte, hatte also einen durch und durch
       wilhelminischen Platz abgelöst, der im Krieg weitgehend zerstört worden
       war.
       
       Es hätte aber auch anders kommen können. Bereits in der Weimarer Republik
       war der neoromanische Protz am Auguste-Viktoria-Platz ein Thema für
       Spötter. Warum ein Denkmal für einen Kaiser, wo es gar kein Kaiserreich
       mehr gab? Viele der Spötter trafen sich im Romanischen Café, das in der
       Weimarer Republik zum Treffpunkt von Künstlern und Intellektuellen geworden
       war. 1928 wurde sogar der Abriss der Kirche gefordert, die inzwischen zu
       einem Hindernis für den Verkehr geworden war, der den Platz umbrauste.
       
       Auch nach dem Krieg stand die Kirche, inzwischen nur noch Ruine, auf dem
       Prüfstand. Egon Eiermann wollte sie am liebsten abreißen, doch die Berliner
       liefen Sturm. Die Kirche blieb stehen – und ein Fremdkörper. „Damit war der
       Breitscheidplatz als Platz der Moderne gescheitert, das Schicksal der
       Neukonzeption besiegelt“, stellt der Architekturhistoriker Dieter
       Hoffmann-Axthelm rückblickend fest.
       
       ## Häutung im Hinterland
       
       Inzwischen ist diese Neukonzeption, auch wenn sie lange auf sich warten
       ließ, in vollem Gange. Mit dem Abriss des denkmalgeschützten
       Schimmelpfeng-Hauses öffnet sich der Breitscheidplatz über die Kantstraße
       nach Charlottenburg und bekommt sein Hinterland zurück. Die Sanierung des
       Bikini-Hauses soll den Platz als Shoppingadresse aufwerten und mehr
       Aufenthaltsqualität schaffen. Einzig das Europa-Center, vor fünfzig Jahren
       ein Signal des Aufbruchs in das amerikanische Zeitalter, will nicht so
       recht in die dritte Häutung des Platzes passen.
       
       Mit West-Berliner Nostalgie aber hat der Breitscheidplatz ohnehin nur am
       Rande zu tun. Im Café Westberlin in der Friedrichstraße gilt die Westalgie
       eher dem Alltagsleben in der Weststadt – und natürlich dem Kudamm und
       seinen Seitenstraßen als Chiffre für bürgerliche Urbanität. Demgegenüber
       sind sich die ehemaligen Kontrahenten Breitscheidplatz und Alexanderplatz
       in ihrer Prolligkeit ähnlicher, als man es vor fünfzig Jahren wahrhaben
       wollte.
       
       Dieser Text ist Teil des aktuellen Schwerpunkts in der gedruckten
       Wochenendausgabe der taz.berlin. Dort außerdem: Der Blick einer Flaneurin
       auf den Breitscheidplatz.
       
       12 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uwe Rada
       
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