# taz.de -- Thomas Nagels „Geist und Kosmos“: Hat das Universum einen Plan?
       
       > Der Philosoph Thomas Nagel legt ein Plädoyer gegen ein reduktionistisches
       > wissenschaftliches Weltbild vor. Seine Kollegen nehmen ihm das übel.
       
 (IMG) Bild: Verfolgt die Evolution womöglich doch ein Ziel?
       
       Dieses Buch hat längst Philosophiegeschichte geschrieben. „Geist und
       Kosmos“ des US-amerikanischen Philosophen Thomas Nagel hat das Zeug zu
       einem Klassiker der Kontroverse. Stoff für Debatten bietet Nagels Beitrag
       zur Frage „Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der
       Natur so gut wie sicher falsch ist“, wie es im Untertitel heißt, jedenfalls
       auch hierzulande.
       
       Schon als amerikanische Original „Mind & Cosmos“ erschien, brach unter
       Nagels Kollegen ein Sturm der Empörung los. Einer der berühmtesten
       analytischen Philosophen der Gegenwart hatte die versammelte
       angelsächsische Philosophie gegen sich aufgebracht. Der
       Evolutionspsychologe Steven Pinker sah sich gar genötigt, das Buch in einem
       Tweet als „schlampige Argumentation eines einst großen Denkers“
       abzukanzeln.
       
       Thomas Nagel gibt Wissenschaftlern wie Pinker einigen Anlass zum Verdruss.
       Sein Buch verfolgt das Ziel, die Grenzen der Leistungsfähigkeit des
       vorherrschenden reduktionistischen wissenschaftlichen Weltbilds
       aufzuzeigen. Sein Argument will dabei den Anspruch der „neodarwinistischen“
       Evolutionstheorie ernst nehmen, sämtliche Erscheinungen des Lebens als aus
       derselben materiellen Ursuppe hervorgegangen zu beschreiben. Angenommen, so
       seine Frage, es gibt nur die physische Welt: Wie erklärt man dann die
       Entstehung von Bewusstsein?
       
       ## Die wissenschaftlich-materialistische Erklärung ist unbefriedigend
       
       Nagels Antwort lautet: Die wissenschaftlich-materialistische Erklärung ist
       unbefriedigend, weil sie kaum mehr leisten kann, als das Auftauchen von
       Bewusstsein im Evolutionsprozess als eine nicht weiter erklärbare Tatsache
       hinzustellen.
       
       Den Neurophysiologen und Molekularbiologen – und auch den
       Geisteswissenschaftlern wie Pinker, die deren Forschung zum neuen Paradigma
       ausgerufen haben – schreibt er daher ins Stammbuch, dass ihr
       materialistischer Ansatz sogar als Theorie der physikalischen Welt
       unvollständig sei, „da die physikalische Welt bewusste Organismen zu ihren
       erstaunlichsten Bewohnern zählt“.
       
       Was Nagel jedoch am wenigsten verziehen wird, ist sein Gedankenspiel, das
       die zufällige Mutation und natürliche Auslese nicht als einzig mögliche
       Beschreibungen des Evolutionsprozesses gelten lassen will, sondern ihnen
       „natürliche teleologische Gesetze“ als Alternative zur Seite stellt,
       zielgerichtete Prozesse mithin, die diesen Prozess „über die Zeit hinweg
       gesteuert haben“.
       
       ## Ernstzunehmende Diskussionspartner
       
       Eine theistische Beschreibung dieser Teleologie, bei der ein Schöpfer die
       Entstehung des Lebens nach einem Plan gesteuert hat, schließt Nagel als
       Option ausdrücklich aus. Dass der Atheist Nagel jedoch den weitgehend
       religiös motivierten Anhängern eines „Intelligent Design“ zumindest
       einräumt, ernstzunehmende Diskussionspartner zu sein, fanden die zum Teil
       militanten Atheisten unter den materialistischen Wissenschaftlern dann
       endgültig frevelhaft.
       
       Die Reaktionen reichen bis zu religiösem Fanatismus: Eine womöglich
       unfreiwillige Selbstenttarnung betreibt der britische Philosoph Simon
       Blackburn in seiner Rezension des Buchs im New Statesman, die mit der
       Bemerkung endet, er bedauere das Erscheinen von „Geist und Kosmos“, denn es
       spiele entweder den Kreationisten und Anhängern des Intelligent Design in
       die Hände – oder solchen Naturwissenschaftlern, die die Philosophie an den
       Universitäten am liebsten ganz eingespart sehen würden.
       
       Blackburn hat auch einen Vorschlag, wie sich derlei Veröffentlichungen
       verhindern ließen: „Wenn es einen philosophischen Vatikan gäbe, wäre das
       Buch ein guter Kandidat dafür, auf dem Index zu landen.“
       
       ## Heroischer Triumph ideologischer Theorie
       
       Damit bestätigt Blackburn die Motive, aus denen heraus Nagel sein Buch
       geschrieben hat. Denn die herrschende Form des Naturalismus und reduktiven
       Materialismus, so Nagel in seinem Schlusskapitel, sei „ein heroischer
       Triumph ideologischer Theorie über den gesunden Menschenverstand“.
       
       Die ideologische Gesinnung Blackburns etwa wird in seinem haltlosen
       Fantasieren über eine philosophische Zensurinstanz mehr als deutlich: Vom
       freien Austausch unterschiedlicher Argumente im gemeinsamen Streben nach
       Wahrheit ist ein solcher Wunsch sehr weit entfernt. Umso wichtiger ist
       „Geist und Kosmos“ als Diskussionsbeitrag, um einer weiteren Verhärtung der
       ideologischen Fronten entgegenzuwirken.
       
       14 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Caspar Boehme
       
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