# taz.de -- Regierungskrise in Tunesien: „Ennahda, hau ab!“
       
       > Zwei Jahre nach den ersten freien Wahlen gehen in Tunesien Zehntausende
       > auf die Straße. Die Regierung berät über einen Weg zu Neuwahlen.
       
 (IMG) Bild: Massendemonstration in Tunis: „Nationaler Dialog“ kommt nicht voran.
       
       MADRID taz | Es war die alte Parole, die am Mittwochmittag wieder durch die
       Avenue Habib Bourguiba in Tunis hallte. Wie am 14. Januar 2011, als
       Diktator Zine al-Abidine Ben Ali abdanken musste, riefen Zehntausende, die
       Richtung Regierungspalast zogen: „Dégage, dégage!“ – „Hau ab, hau ab!“
       
       Nur: Dieses Mal meinten sie die Koalition unter Führung der islamistischen
       Ennahda, die seit den ersten freien Wahlen vor zwei Jahren regiert, aber
       eigentlich schon seit einem Jahr hätte abgetreten sein müssen. Mobilisiert
       hatten die unabhängige Jugendbewegung Tamrod (Rebellion) sowie die
       wichtigsten Oppositionsparteien. Auch in anderen Städten des Landes kam es
       zu Demonstrationen.
       
       Parallel zu den Protesten hatte Ministerpräsident Ali Laarayedh das
       Kabinett zu einer Dringlichkeitssitzung gerufen. Die Minister berieten über
       einen möglichen sofortigen Rücktritt, um so den Weg für einen „Nationalen
       Dialog“ zu ebnen, auf den sich Opposition und Ennahda bereits am 5. Oktober
       geeinigt hatten. Bis zum Redaktionsschluss war noch keine Entscheidung
       gefallen.
       
       Für den Nachmittag war ein erstes Treffen der Opposition und Ennahda
       vorgesehen. Doch ohne eine Rücktrittserklärung wollte die Opposition daran
       nicht teilnehmen. Unter Aufsicht von Gewerkschaften, Arbeitgeberverband,
       Menschenrechtsliga und Anwaltsverband sollen die Gespräche so schnell wie
       möglich den Übergang zur Nach-Ben-Ali-Republik vollziehen. In den kommenden
       drei Wochen soll eine Technokratenregierung eingesetzt werden, um dann die
       neue Verfassung in weiteren fünf Wochen fertigzustellen und endlich
       Neuwahlen vorzubereiten.
       
       ## Opposition macht Regierung für Morde verantwortlich
       
       So soll das nordafrikanische Land aus der tiefen institutionellen Krise
       geführt werden, in der es seit dem 25. Juli steckt. An jenem Tag wurde der
       Oppositionspolitiker Mohammed Brami ermordet. Er war nach der Ermordung
       Chokri Belaids im Februar das zweite Opfer eines Attentats auf einen
       namhaften Linkspolitiker und Gewerkschafter seit dem Sturz Ben Alis.
       
       Die Opposition, die sich in einer „Nationalen Heilsfront“
       zusammengeschlossen hat, macht die islamistische Regierung für beide Morde
       mitverantwortlich. Sie sei zu lax gegen religiöse Fanatiker vorgegangen,
       lautet der Vorwurf. Riesige Demonstrationen forderten seither immer wieder
       den Rücktritt der Regierung unter Führung von Ennahda.
       
       60 Parlamentarier linker Formationen haben die Nationalversammlung
       verlassen. Die schleppende Arbeit an der neuen Verfassung kam ganz zum
       Erliegen. Eigentlich hätte der Text spätestens ein Jahr nach den Wahlen vom
       23. Oktober 2011 vorgestellt werden müssen.
       
       Der zweite Jahrestag der ersten freien Wahlen bietet wenig Anlass zum
       Feiern. „Die Stunde der Wahrheit kommt in Riesenschritten auf uns zu“,
       schreibt die Tageszeitung Quotidien in ihrer Mittwochsausgabe. Tunesien
       riskiere, in eine „noch unsicherere und chaotischere Zukunft abzurutschen“,
       warnt das Blatt. Nicht nur dass die Verfassung seit einem Jahr überfällig
       ist – die Wirtschaft steckt in der Krise, Arbeitslosigkeit und Armut nehmen
       zu, und seit Monaten macht ein Problem von sich reden, dass die Tunesier so
       nicht kannten: politische Gewalt.
       
       An mehreren Orten halten sich bewaffnete Gruppen in unwegbarem Gebiet
       verschanzt. Neben dem höchsten Berg des Landes, dem Djebel Chambi an der
       Grenze zu Algerien, kam es Ende letzter Woche nur 60 Kilometer westlich der
       Hauptstadt Tunis zu Kämpfen zwischen einer bewaffnete Gruppe und der
       Nationalgarde. Zehn islamistische Kämpfer und zwei Polizisten kamen dabei
       ums Leben.
       
       Auch der Mittwoch war wieder von Meldungen über ein Feuergefecht
       überschattet. In Sidi Bouzid sollen dabei erneut sieben Nationalgardisten
       und mehrere Islamisten gestorben sein.
       
       23 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
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