# taz.de -- Nordische Filmtage: Im ewigen Eis
       
       > Expeditionen zu den Polen sind nach wie vor ein beliebtes Thema für
       > Spiel- und Dokumentarfilme. Zu sehen sind die alten und neuen Werke
       > dieses Sujets nächste Woche in Lübeck .
       
 (IMG) Bild: Szene aus dem Film "Es wird sich jemand finden, der selbst diese Leere nicht fürchtet".
       
       BREMEN taz | Die Expeditionen zu den Polen wurden einst ähnlich gespannt
       von der Weltöffentlichkeit verfolgt wie später die Flüge zum Mond. Deshalb
       wurde jeweils das modernste visuelle Medium eingesetzt, um die Zuschauer
       daran teilhaben zu lassen. Den Live-Fernsehaufnahmen von den Apolloflügen
       entsprachen die Bilder der damals neuen Filmkameras, die bei jeder
       Expedition mitgeführt wurden.
       
       Abenteurer und Forschungsreisende stehen im Mittelpunkt der Retrospektive
       der Nordischen Filmtage Lübeck, die am Mittwoch beginnen. Unter dem Titel
       „Spitzbergen und der Weg zum Pol“ sind Spiel- und Dokumentarfilme aus den
       Jahren 1924 bis 2008 zu sehen. Außerhalb der Programmschiene
       „Retrospektive“ ist der Anspruch der Filmtage, die ganze Bandbreite des
       Kinos in Skandinavien und dem Baltikum zu zeigen.
       
       Existenz der Filme war wichtiger als ihre Qualität 
       
       Was die Erkundung des Nordpols betrifft, so stellte ein norwegischer
       Filmhistoriker die Rechnung auf, dass die Zeitspanne von der ersten
       Expedition 1892 bis zum Tod des Polarforschers Roald Amundsen 1928 sich
       fast genau mit der Stummfilmära (1895 bis Ende der 1920er-Jahre) deckt.
       Expeditionsfilme waren damals große Publikumserfolge. Zuerst als Kurzfilme,
       die oft im Rahmen von Vorträgen dargeboten wurden, mit denen Amundsen zum
       Teil seine Expeditionen finanzierte. Später dann in abendfüllenden
       Dokumentationen, die auch international die Kinosäle füllten. Dabei war die
       Existenz dieser Filme meist wichtiger als ihre Qualität.
       
       Die Parallelen zwischen den Reisen zum Nordpol und zum Mond werden auch im
       Titel eines bei den Nordischen Filmtagen gezeigten Films auf den Punkt
       gebracht. Die britische Dokumentation, in der die Arbeit von
       internationalen Künstlern in der bizarren Schönheit der arktischen
       Landschaften gezeigt wird, heißt „Es wird sich jemand finden, der selbst
       diese Leere nicht fürchtet“. Dieser Satz ist ein Zitat aus der Erzählung
       „Somnium“, in der Johannes Kepler im Jahr 1606 eine Reise zum Mond
       imaginiert.
       
       „Mit der Maud über das Polarmeer“ 
       
       Den Kern der Retrospektive bilden die drei langen Expeditionsfilme von
       Roald Amundsen: „Mit der Maud über das Polarmeer“ handelt von dem
       gescheiterten Versuch, den Pol in den Jahren 1918 bis 1920 per Boot zu
       erreichen. Auch „Amundsens Polarflug 1925“ erzählt von einem Fehlschlag. Um
       so triumphaler feierte sich der Norweger dann 1926 in „Mit Amundsen im
       Luftschiff zum Nordpol“.
       
       In seinen Filmen inszenierte Amundsen sich selber hemmungslos als
       nordischen Kraftkerl. Inzwischen ist bekannt, dass er ein widersprüchlicher
       und eher kaltherziger Mensch war. Die dunklen Seiten seiner Persönlichkeit
       untersucht der norwegische Regisseur Stig Andersen in seinem Regiedebüt
       „Abenteuer im Eis – Das Leben und Sterben des Roald Amundsen“ aus dem Jahr
       1999, in dem er die historischen Filmaufnahmen mit Spielszenen mischt, die
       auf Amundsens Briefen und Tagebüchern basieren.
       
       Dabei bleibt Amundsens Tod bis heute ein Rätsel. Er starb bei einer
       Rettungsaktion auf der Suche nach Umberto Nobile, der mit seinem Luftschiff
       in der Nähe des Pols vermisst wurde. In der deutschen Dokumentation „Mythos
       Amundsen – Verschollen in der Arktis“ von Rudolph Herzog wird über die
       Expedition von norwegischen Wissenschaftlern berichtet, die 2010 mit zwei
       hochtechnisierten Schiffen der Marine versuchen, dem Geheimnis von
       Amundsens letzter Fahrt auf den Grund zu gehen.
       
       Ebenfalls verschwunden sind die Forscher der Schröder-Stranz-Expedition von
       1912/13. Den Vorgang aufzuklären versucht der Polarforscher und Buchautor
       Arved Fuchs in seiner Dokumentation „Verschollen vor Spitzbergen“ von 2008.
       Fuchs verknüpft diese Recherche mit seinem Forschungsauftrag über das
       Schmelzen der Polkappen.
       
       Eine ehemalige sowjetischen Bergarbeitersiedlung als Drehort 
       
       In Spitzbergen gibt es einen Ort, der Filmemacher besonders zu faszinieren
       scheint: In der Retrospektive laufen gleich mehrere Dokumentationen, die in
       der ehemaligen sowjetischen Bergarbeitersiedlung Piramida gedreht wurden.
       Seit den zwanziger Jahren wurde dort von den Russen Kohle gefördert. Bis
       die Mine Anfang der 90er-Jahre aufgegeben wurde, lebten dort bis zu 1.000
       Sowjetbürger. Heute ist es eine Geisterstadt, die wie eben verlassen wirkt.
       
       Der deutsche Regisseur Markus Reher hat dort den „nördlichsten
       Konzertflügel der Welt“ gefunden. Sein Film heißt „Moderne Ruinen –
       Piramida“. Ebenfalls an den Klängen des Ortes interessiert ist der
       Regisseur Andreas Koefoed. In „The Ghost of Piramida“ besucht er mit den
       Musikern der Band Efterklang die verlassene Stadt und erarbeitet mit ihnen
       dort Musikstücke. Kombiniert werden damit alte Amateuraufnahmen vom Alltag
       in der Stadt.
       
       Als seinen Lieblingsfilm nennt der Kurator der Retrospektive, Jörg Schönig,
       ein deutsches Fernsehfeature aus den 60er-Jahren: „Haakons Hosentaschen“
       ist ein essayistischer Reisefilm von Alfred Andersch, der 1965 bei
       Spitzbergen von dem Skipper Haakon Godtlibsen auf dessen Hochseekutter
       mitgenommen wurde. Schönig beeindruckt daran die damals ungewohnt kritische
       Perspektive, aus der Andersch etwa das Abschlachten der Wale betrachtet.
       Sie bildet im Programm ein Gegengewicht zu der Fortschrittsgläubigkeit, die
       in den Expeditionsfilmen vorherrscht.
       
       Nordische Filmtage Lübeck: 30. 10. bis 3. 11. 2013
       
       24 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wilfried Hippen
       
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