# taz.de -- Linkes Kulturzentrum im Hamburg: Flora unter Naturschutz
       
       > Der Besitzer will mit einem Investoren die Rote Flora aufhübschen. Die
       > Besetzer wittern Profitinteressen und haben womöglich mächtige
       > Verbündete.
       
 (IMG) Bild: Bunt ist es in der Flora
       
       HAMBURG taz | Angenommen, man besetzt ein altes Varietétheater, angenommen,
       die Politik arbeitet sich über Jahre an diesem in ihren Augen rechtsfreien
       Raum ab und dann, ein knappes Vierteljahrhundert später, finden die
       Mächtigen der Stadt, die Besetzung sei doch keine schlechte Sache – hat man
       dann etwas falsch gemacht?
       
       Der alte Zugang zur Roten Flora hat etwas von einer Bühne mit seinem weiten
       Portal, auf dem die Obdachlosen schlafen. Die Fenster auf der Balustrade
       darüber haben kleine barocke Säulen, die nicht wirklich überzeugen, und auf
       der Fassade stehen Sätze wie „PKK-Verbot aufheben“ und „Mercedes Bonz“. Auf
       der gegenüberliegenden Straßenseite reihen sich die Tische der Cafés, die
       Flora ist immer ein Blickfang.
       
       Kürzlich ist das besetzte Kulturzentrum im Hamburger Schanzenviertel wieder
       ins Visier von Investoren gerückt. Ein Banner hängt deswegen am Haus: „Wer
       die Flora kaufen will, muss Stress mögen.“
       
       Der Besitzer, Klausmartin Kretschmer, plant dort ein Bürgerhaus mit
       Konzerthalle für 2.500 Besucher samt Kita und Tiefgarage. 2001 hat ihm die
       Stadt Hamburg die Flora verkauft, um Ruhe vor den Besetzern zu haben – für
       370.000 D-Mark. Nun, am vergangenen Donnerstagabend entschied die
       Bezirksversammlung dann: Das Haus darf vorerst nicht abgerissen oder
       umgebaut werden. Ein Erfolg? Die Verkaufsgerüchte um die Flora tauchen alle
       paar Jahre auf, es heißt, dass sie dazu dienen, den Preis nach oben zu
       treiben. Sicher ist, dass sie gut sind für eine Bestandsaufnahme.
       
       ## Anonyme Pressegruppe
       
       Wer mit Leuten der Roten Flora sprechen möchte, braucht Geduld. Es gibt
       eine Pressegruppe, bei der man um einen Termin bittet und schließlich Lotta
       kommt, die einem das Haus zeigt und Fragen beantwortet.
       
       Lotta heißt anders und möchte nicht fotografiert werden. Das sind die
       Regeln der Pressegruppe, weil Arbeitgeber über eine Verbindung ihrer
       Mitarbeiter zur Roten Flora unfroh sein könnten, weil man als
       Pressegruppenmitglied „eine Rolle übernimmt“, sagt Lotta. Vielleicht auch
       aus Freude am Konspirativen.
       
       Lotta schließt ein kleines Tor hinter dem Haus auf. „Ja“, sagt sie, „es ist
       paradox, trotz des Anspruchs von Offenheit alles abschließen zu müssen.
       Aber die Schanze ändert sich, Touristenhorden kommen, und es wäre naiv, zu
       glauben, dass es ohne Tor funktioniert, nur weil wir es so wollen“ – und
       dann geht es ein paar Schritte bis zu einem hölzernen Unterstand, der
       einmal als Fixerstube diente. Die Flora wollte den Junkies in der Schanze
       eine Anlaufstelle bieten, aber nach einer Weile zeigte sich, dass man mehr
       Betreuung für die Junkies gebraucht hätte, als man bieten konnte, und die
       Fixerstube schloss.
       
       Den Hausbesitzer Klausmartin Kretschmer nennt Lotta „diesen
       Anthroposophenspinner“. Gesprochen hätten die Leute von der Flora mit dem
       aber nie direkt.
       
       ## Mit Investoren im Clinch
       
       Über Gert Baer reden sie weniger nachsichtig. Der habe ein anderes Kaliber
       als der Kretschmer. Baer ist Unternehmer und Kretschmers Immobilienberater.
       Er hat einen US-Investor aufgetan, der die Flora in ein sechsstöckiges
       Veranstaltungs- und Kulturzentrum verwandeln soll. Die Besetzer sollen dann
       günstig Räume anmieten dürfen.
       
       Gert Baer will ebenfalls kein Foto von sich in der Zeitung sehen, er sieht
       nicht so aus, wie man sich einen Großunternehmer vorstellt mit dem
       großkarierten Hemd und einer Stoffjacke, deren Ärmel ausgefranst sind.
       Glaubt man ihm, so ist die Flora ein „geschlossener Kreis“ und nicht das
       Stadtteilkulturzentrum für alle, das die Besetzter vorgeben zu sein.
       
       Mit Investoren steht die Rote Flora seit Anfang an im Clinch. Schon vor 25
       Jahren verhinderten Autonome und Stadtteilgruppen, dass ein Investor aus
       der Roten Flora ein Musicaltheater machte.
       
       Andreas Blechschmidt ist einer von dreien, die schon bei der Besetzung
       dabei waren und immer noch Teil der Flora sind, er ist sozusagen ihr
       Gedächtnis. „Viele haben uns damals als pubertär kritisiert, den Kontakt zu
       verweigern“, sagt Blechschmidt. „Im Nachhinein hatten wir Recht.“
       
       Gert Baer sagt, dass er mit der Flora sprechen wolle, vor allem hat er
       bereits Einspruch gegen den Bebauungsplan der Bezirksversammlung eingelegt.
       Er ist entschlossen, durch „alle Instanzen“ zugehen. Die Flora verspricht
       sich nichts von Gesprächen mit Gert Baer. Sie will, so heißt es in einer
       Erklärung, „das Projekt auf politischer wie auf praktischer Ebene um jeden
       Preis verteidigen“. Und dabei hat sie die Stadt auf ihrer Seite: Die
       verkündet, dass sie kein Interesse an einer Veränderung habe.
       
       ## Hippes Umfeld für die Szene
       
       Die Leute der Roten Flora überschätzten in der Geschichte gelegentlich die
       eigenen Kräfte beim Versuch, anderen zu helfen. 1992 forderte eine Gruppe,
       dass die Flora nachts ihre Räume für Obdachlose öffnete. „Sie haben uns bei
       der Moral gepackt“, sagt eine ehemalige Rot-Floristin. Die Obdachlosen
       kamen, aber nach vier Wochen Probezeit zog das Plenum die Bremse, weil die
       Räume zumüllten und die Obdachlosen gegen die Vereinbarung harte Alkoholika
       tranken.
       
       Zum Umgang mit dem eigenen Scheitern sagt Lotta: „Wir wollen nicht nur
       Trutzburg sein, sondern ein Versuch, Formen von Gegenöffentlichkeit zu
       leben. Mal glückt es, mal glückt es nicht.“
       
       Der Kampf um öffentlichen Raum und gegen eine Stadtentwicklungspolitik, die
       sich in Hamburg oft gegen die Mittellosen richtet, zieht sich durch die
       Geschichte der Flora. Umso bitterer, dass sie in der Schanze zum
       Folkoreüberrest zu werden droht. Der, so hat die Handelskammer der Flora
       bescheinigt, nützlich ist, weil er für IT-Leute ein hippes Umfeld bietet.
       Die Alten aus dem Viertel sind verschwunden, die kleinen Läden sind den
       Ketten gewichen: Adidas und Görtz und Backwerk.
       
       ## Flora-Leuten schützen die kleinen Geschäfte
       
       Backwerk ist der Feind der Konditorei Stenzel, die direkt gegenüber sitzt,
       seit 40 Jahren, und deren Juniorchef kurz rasierte Haare trägt und einen
       Ohrring mit Anker darauf. Philipp Stenzel glaubt, dass die alteingessenen
       Läden und die Flora die gleichen Feinde haben. „Niemand von denen würde zu
       den Ketten gehen“, sagt er. Und bei den Demonstrationen seien es nicht mehr
       die Polizisten, die vor den Geschäften auf die Scheiben aufpassten, sondern
       die Flora-Leute.
       
       Vielleicht, glaubt Philipp Stenzel, liege das an dem „Flora bleibt“-Zettel,
       den sie an die Tür gehängt haben. Die Linien zwischen Freund und Feind
       verlaufen in der Konditorei ähnlich scharf wie in der Flora.
       
       Wobei, es gibt die Geschichte von Herrn Dabelstein, dessen Zoofachgeschäft
       ein paar Häuser weiter liegt. Die Leute von der Flora sind immer wieder zu
       den Geschäften am Schulterblatt gegangen und fragten, ob sie ihre
       Flugblätter auslegen dürften, unter anderem auch zu Dabelstein. Herr
       Dabelstein, so erinnert sich eine Flora-Frau aus den Anfangsjahren, las das
       Flugblatt und lehnte dann jedes Mal höflich ab. Irgendwann schlug jemand
       bei einer Demo die Scheibe des Geschäfts ein. Daraufhin kamen die Floristen
       und boten an, den Schaden zu ersetzen.
       
       ## Eine Prise Verachtung
       
       Es gibt viele Gesichter der Flora, sympathische und weniger sympathische.
       Es gibt die rund drei Dutzend jungen Leute, die sich treffen, um die
       Unterstützung für die antirassistische Demo in Rostock zu organisieren. Die
       in ein durch die Reihen gereichtes Wasserglas Münzen und auch Scheine
       werfen, um die Fahrtkosten für Flüchtlinge aufzubringen. Die, wenn sie
       etwas anmerken wollen, sagen: „Ich möchte hier noch etwas anfügen.“ Es
       wirkt wie eine Fortsetzung autonomer Seminare an der Uni, auch wenn Lotta
       betont, dass die Flora-Leute eben nicht nur Akademikerkinder sind.
       
       Es gibt Kleinigkeiten, Fragen des Tonfalls, die aufstoßen bei Leuten, die
       so bewusst reden wie Lotta, wenn sie von „Vertreter-“ – Pause –„-Innen“
       spricht. Eine Prise Verachtung, wenn von den „Bürgis“ die Rede ist, die in
       einem von Gert Baer erdachten Stadtteilzentrum auftauchten. Leuten, „die
       zwar politisch interessiert sind, sich aber nicht einbringen.“
       
       Manchmal mischt sich der Idealismus mit Ignoranz. Und wenn es schlecht
       läuft, geschieht das dann, wenn es um etwas geht. Kürzlich setzte die
       Gruppe „Rote Flora bleibt unverträglich“ dem Senat ein Ultimatum. Sollte
       der die rassistischen Kontrollen der Lampedusa-Flüchtlinge nicht bis
       Dienstag um 20 Uhr einstellen, sei man zu „jedem Protest“ bereit.
       Flüchtlingsunterstützer antworteten darauf, dass sie der Sache der
       Flüchtlinge schadeten. Für die Springer-Presse ein gefundenes Fressen.
       
       Der Aufruf war nicht dem Plenum vorgelegt worden, er erschien im Blog der
       Kampagne „florableibt“, aber wer unterscheidet schon zwischen der Kampagne
       und der Roten Flora?
       
       ## „Falsche Freunde“
       
       Das Plenum hat das kaum kritisiert. „Die Gruppe hatte das Gefühl, etwas tun
       zu müssen“, sagt Andreas Blechschmidt. Und ja: Man hätte den Aufruf vorab
       dem Unterstützerumfeld der Flüchtlinge kommunizieren müssen. Die Flora hat
       sich über die Jahre angepasst. Sie verkauft Alkohol auf ihren Partys, bei
       denen sie Musik auflegt, die mehr Leute anziehen soll als die üblichen zehn
       Verdächtigen. „Ökonomische Zwänge“ nennen sie das.
       
       Aber noch immer gibt es keine Festangestellten, kein Geld dafür, dass Leute
       Projekte anleiern. Die Flora hat es nicht gepackt, sich von den allfälligen
       Schanzenkrawallen bei den 1.-Mai-Demos zu distanzieren.
       
       Die Rote Flora hat die „falschen Freunde“, so sagt es Lotta. Sie meint:
       eine Stadt, die Fremde abschiebt, die die Vertreibung der Unbetuchten aus
       der Stadtmitte zulässt. Eine Stadt, die gern Ruhe hat und deshalb die Flora
       unter Naturschutz stellt. „Die Bilanz ist nicht so toll“, sagt Lotta. „Aber
       wir zeigen so, dass Stadt und Investoren ihre Projekte nicht ohne
       Widerstand durchsetzen können.“
       
       29 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Friederike Gräff
       
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