# taz.de -- Kinostart „Der Teufelsgeiger“: Geiler Geiger
       
       > David Garrett inszeniert sich als Rebell, der ein Massenpublikum mit
       > Rock-Hits an die Klassik heranführen will. Nun spielt er Paganini – und
       > sich selbst.
       
 (IMG) Bild: David Garrett als Niccolò Paganini in „Der Teufelsgeiger“.
       
       Der Škoda hatte stets gute Dienste geleistet. Nie hatte er gemuckt oder gar
       gestreikt, brav war er überall hingefahren. Erst an diesem Sommertag, auf
       dem Weg in die Waldbühne, entschied er sich, zu dramatischen Mitteln zu
       greifen. Der Motor begann zu qualmen, Flammen stießen durch die
       Lüftungsschlitze, bis er am Straßenrand eine Pause bekam.
       
       Die Temperaturen an diesem strahlenden Sonnentag hatten zu einer
       Überhitzung des in Ehren ergrauten Wagens geführt. Spötter allerdings
       merkten an, der gute alte Škoda habe sich sich zu sehr darüber aufgeregt,
       seine Insassen zu David Garrett kutschieren zu müssen.
       
       Damit wäre der Škoda einer Meinung mit der einen Hälfte Deutschlands und
       der anderen Hälfte auch. Die eine hasst den Geiger dafür, dass er sein
       Talent für die klassische Musik an die Populärkultur verschwendet. Die
       andere verachtet ihn dafür, dass er sich an der Rockmusik vergreift.
       
       Die Frage ist nur: Wo kommen die Zehntausenden her, die in seine Konzerte
       gehen? Woher die Millionen, die seine Platten kaufen? Und woher jene sicher
       auch wieder zahlreichen, die nun ein Kino aufsuchen werden, um „Der
       Teufelsgeiger“ zu sehen, den ersten Film, in dem sich David Garrett als
       Schauspieler versucht?
       
       Garrett spielt in „Der Teufelsgeiger“ Niccolò Paganini. Aber eigentlich
       spielt Garrett sich selbst. Zu offensichtlich sind die Parallelen in den
       Lebensgeschichten zwischen dem italienischen Musiker und Komponisten, der
       von 1782 bis 1840 gelebt hat, und dem 1980 in Aachen geborenen Garrett.
       
       Beide waren hochtalentierte Wunderkinder, geformt von zu ehrgeizigen
       Vätern, beide gingen später das Wagnis ein, die eingetretenen Pfade der
       Musikvermarktung zu verlassen: Paganini ließ die Abhängigkeit des
       Mäzenatentums hinter sich und spielte sich auf eigene Rechnung durch
       Europa, Garrett verließ den Klassikbetrieb und füllt mit seiner elektrisch
       verstärkten Geige und einem Crossover zwischen Klassik und Rock die großen
       Hallen. Beide begannen als geschätzte Virtuosen, bevor sie sich in
       Zirkuspferde verwandelten.
       
       ## Groupies und Millionen
       
       Der Film porträtiert Paganini als ersten Rockstar der Musikgeschichte. Der
       lange schwarze Mantel, die runde Brille und die feisten Koteletten
       entsprechen zwar dem historischen Bildnissen von Paganini, aber Garrett
       wirkt in diesem Aufzug trotzdem nicht wie eine Figur des frühen 19.
       Jahrhunderts, sondern eher, als sei er gerade mit Led Zeppelin auf Tour.
       Vor der Bühne kreischen die Teenager, hinter der Bühne warten die Groupies,
       neben der Bühne zählen gierige Manager die Millionen.
       
       Dass der Film schauerlich missglückt ist, liegt überraschenderweise nicht
       am Neuschauspieler Garrett. Dessen darstellerisches Vermögen fällt kaum ab
       im Vergleich zu den Profikollegen wie Veronica Ferres, die den erschreckend
       leblosen Film koproduziert hat. Garrett gibt sich redlich Mühe, mit seinem
       Schlafzimmerblick den legendären Womanizer darzustellen – und ähnlich gut
       Geige spielen wie sein Vorbild kann er ja. Bis vor Kurzem stand Garrett
       noch im Guiness-Buch der Rekorde als schnellster Interpret des
       „Hummelflugs“. Derartige populistische Meriten hätten sicherlich auch
       Paganini gefallen.
       
       Das ist es, was schlussendlich Paganini zum Verhängnis wurde und Garrett
       zum am meisten verachteten Mann im Showgeschäft macht: die Kunst zugunsten
       des Populismus aufgegeben zu haben. Paganini starb, gezeichnet vom
       Konzertstress und den Drogen, verarmt und beinahe vergessen, ein frühes
       Opfer von Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll. Übrig geblieben sind nur wenige
       seiner Kompositionen, vor allem aber seine Reputation als geiler Geiger,
       dessen Spiel so exaltiert war, dass sein Publikum einen Pakt mit dem Teufel
       vermutete.
       
       ## Zwischen den Stühlen
       
       Garrett wiederum sagte sich los aus dem einengenden Klassikbetrieb, wollte
       seine fremdbestimmte Kindheit hinter sich lassen und landetet aber bloß
       zwischen den Stühlen. „Seine Kritiker“, so postulierte es erst unlängst
       wieder die Ansagerin in der ZDF-Kultursendung „aspekte“, „nehmen ihm die
       Bandbreite seines Geschmacks übel.“
       
       Auf der anderen Seite nimmt ihn die Popklientel nicht ernst, weil er bloß
       Gassenhauer von Coldplay über AC/DC oder Guns ’n’ Roses bis zu Nirvana mit
       Orchesterklängen ausstopft, als seien sie tot geschossene Jagdtrophäen. Die
       hängen dann an den Wänden seiner Wohnungen in New York und Berlin, die
       ansonsten kaum eingerichtet sind, weil der Geiger zu dreihundert Auftritten
       im Jahr reist und deshalb nur sehr selten zu Hause ist.
       
       Der Crossover selbst ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass Garrett
       keine künstlerische Idee hat, was sein Crossover soll. Wenn Nigel Kennedy
       mit Rockmusikern arbeitet oder der Pianist Francesco Tristano mit
       Techno-Produzenten, dann suchen sie nach Neuland und schaffen im Idealfall
       neue, spannende Musik. Wenn Garrett altbekannte Hits rekapituliert und in
       möglichst effektvolle, aufgeplusterte Arrangements steckt, dann geht er
       kein künstlerisches Wagnis ein, ja nicht einmal ein kommerzielles.
       
       Genau deshalb findet Garrett aber auch sein Publikum. Es sind Menschen, für
       die Musik, sei es nun klassische oder Pop, nicht wirklich wichtig ist, die
       aber gern dabei sein wollen, wenn ein Ereignis zelebriert wird, sei es im
       Fußballstadion oder auf der Talkshow-Couch, bei Carmen Nebel oder in der
       Philharmonie – Garrett ist überall zu Hause.
       
       ## Inhalte sind egal
       
       Dieser Event-Kultur sind die Inhalte egal, wichtig sind nur Superlative,
       die sich das Publikum wie einen Orden an die Brust heften kann: Ich habe
       den schnellsten Geiger der Welt gesehen. Den jüngsten Solisten, der je bei
       der Deutschen Grammophon einen Vertrag bekommen hat. Den Klassik-Rebellen,
       der schon vor Barack Obama, Angela Merkel und der Queen auf großer Bühne
       spielte.
       
       Das alles ist nicht schlimm, nur ein erfolgreiches Marketingkonzept, das
       deshalb so hervorragend funktioniert, weil der Durchschnittskonsument die
       Unterschiede im technischen Vermögen zwischen Garrett, einem André Rieu
       oder dem neuen Favoriten der technikverliebten Klassik-Puristen weder hören
       will noch hören kann. Die Tragik liegt darin, dass Garrett zwar kein
       Klassikmusiker mehr sein will, aber darunter leidet, dass ihn der
       Klassikbetrieb ablehnt, dass die Kritiker, nicht nur der der Süddeutschen
       Zeitung, mit Häme „die kantenlose Harmlosigkeit seines Spiels“
       kommentieren.
       
       Sein Zuhause sei weiterhin die Klassik, sagt Garrett, die Ausflüge in die
       Pop- und Rockmusik seien „ein angenehmer Urlaub“ und bloß „Mittel zum
       Zweck“, das Publikum dann doch wieder an die wirklich wertvolle Musik, die
       klassische nämlich, heranzuführen. Die Rockmusik aber, in die er sich
       geflüchtet hat, hat er nicht verstanden. Nicht nur, weil sie ihm bloß
       zweckdienlich ist, sondern weil er tatsächlich noch glaubt, die Rockmusik
       und ihre Posen seien tauglich als Mittel der Abgrenzung.
       
       ## Entleerte Symbole
       
       Deshalb sitzt Garrett, auch wenn er Brahms spielt, zwar im Frack auf dem
       Schemel, aber ohne Krawatte. Das Hemd hängt demonstrativ aus der Hose. Sie
       wirken fast kindisch, diese Versuche, sich vom Klassikbetrieb zu
       distanzieren, so wie die Stiefel, die er stets ohne Schnürsenkel trägt und
       mit Nieten in Totenkopfform hat verzieren lassen. Entleerte Symbole, die
       bloß noch kalkuliert das Image vom Klassik-Rebellen formen, das sich
       allerdings weit besser verkauft als das vom besten Geiger der Welt.
       
       Der war denn auch an jenem Sommerabend in der Waldbühne nicht zu erleben.
       Stattdessen ein Verwurster, dem alles eins ist, Hauptsache, es knallt. Und
       wenn dazu die Musik nicht genügte und wenn der Schlagzeuger die letzten
       Nuancen in den Boden getrommelt hatte, dann wurden am Bühnenrand ein paar
       Feuerwerkskörper gezündet. Das Publikum war trotz alledem begeistert. Und
       auch der Škoda schaffte, als er sich abgekühlt hatte, doch noch glücklich
       den Weg nach Hause.
       
       30 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Winkler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kinostart
 (DIR) Film
 (DIR) Steven Soderbergh
       
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