# taz.de -- TV-Kritik „Unter Bauern“: Ein Dorf voller Nächstenliebe
       
       > Der WDR zeigt, wie die jüdische Familie Spiegel die Nazis überlebte. Die
       > Geschichte ist authentisch, verschweigt aber eine andere Realität.
       
 (IMG) Bild: Bauerntochter Anni, das begeisterte BDM-Mitglied, geleitet Frau und Tochter Spiegel zu ihrem Versteck.
       
       Es ist ein etwas ungutes Gefühl, das mit der Ansicht des Films einhergeht.
       Aber was kann man gegen eine verfilmte Lebenserinnerung einwenden, die auf
       realen Geschehnissen beruht, gegen Authentizität.
       
       „Unter Bauern“ erzählt die Geschichte der Familie Spiegel, aufgeschrieben
       von Marga Spiegel, der Tante des verstorbenen Präsidenten des Zentralrats
       der Juden, Paul Spiegel. Die Schieflage wird augenfällig, als ganz am Ende
       Texttafeln eingeblendet werden. Weiß auf schwarz steht da zu lesen: „Von
       den 70 Millionen Deutschen zur Zeit des Dritten Reichs wurden bis heute 455
       offiziell als ’Judenretter‘ anerkannt und geehrt.“ Das sind bestürzend
       wenige.
       
       Zuvor aber hat Ludi Boekens Film 90 Minuten lang den gegenteiligen Eindruck
       erweckt – nämlich dass die Helfer gegenüber den Nazis in der Mehrheit
       waren. Das Münsterland erscheint als kleines gallisches Dorf. Loyalitäten
       aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs, lokalpatriotische
       Verbundenheit und religiös grundierte Nächstenliebe sind stärker als das
       Nazigift.
       
       Vater Spiegel wird auf einem Bauernhof in einer verschlossen gehaltenen
       Kammer abgeschirmt. Im Ernstfall hält man ihm sogar einen Platz im
       Sterbebett der Bäuerin warm. Dort nachzusehen würde kein Nazischerge wagen.
       Frau und Tochter Spiegel überstehen die Kriegsjahre mit falscher Identität,
       unter Ausgebombten und Fremdarbeitern, auf einem anderen Hof. Es gibt immer
       mehr Mitwisser. Keiner verrät sie.
       
       ## Wiederkehrendes Motiv
       
       Der Stern dient dem Film als wiederkehrendes Motiv. Am Anfang, an der
       Westfront, 1918, Vater Spiegel als junger Landser bewegt sich in Richtung
       Kamera, bis das Eiserne Kreuz auf seiner Brust in Nahaufnahme zu sehen ist.
       Schnitt. 1943, an gleicher Stelle nun der gelbe Stern auf Armin Rohdes
       fülligem Leib. Auf einem Fest flattert ein in einem schwarzen
       Seidenhandschuh versteckter gelber Judenstern durch die Luft. Wieder will
       niemand unter den Gästen davon Notiz nehmen. Einer stellt trotzdem
       vorsichtshalber den Fuß auf den Stofffetzen.
       
       Veronica Ferres, die die Mutter Spiegel spielt: „Ich hätte ihn wegwerfen
       müssen, aber ich hab’s nicht übers Herz gebracht.“ Niemand bringt
       stammelnde Verhuschtheit und dröhnendes Pathos so umstandslos auf einen
       Nenner wie sie. Das genaue Gegenteil und deshalb umso überzeugender ist die
       „Tatort“-Kommissarin in spe, Margarita Broich, als Bäuerin, robust und
       bodenständig. Am Ende kommen die Amerikaner, auf dem Jeep ein Stern. Die
       Tochter Spiegel: „Mama, unser Stern!“
       
       ## Hitler-Porträt an der Wand
       
       Auch als eine Nachbarin Marga Spiegel erkennt, verhält man sich korrekt.
       Die pubertäre Tochter der Bauernfamilie hat ein Auge auf den Hitlerjungen
       geworfen. Die Eltern müssen nun Klartext reden. Es folgt das, was man eine
       Schlüsselszene nennt. Mutter: „Anne, wir wissen, dass du ’n begeistertes
       BDM-Mädel bist. Dein Vater is sogar in der Partei.“ Vater: „Schon seit
       1930. Weil sie Deutschland nach vorne gebracht hat und weil sie gut für die
       Bauern ist.“ Tochter: „Ja und?“ Mutter: „Trotzdem sind wir katholisch. Und
       du auch!“ Vater: „Der Bischof von Münster ist uns näher als Adolf Hitler.“
       
       Später, wenn die Nachricht eintrifft, dass der Sohn an der Ostfront
       gefallen ist, nimmt die Oma sogleich das Hitler-Porträt von der Wand. Ohne
       Worte, gleichwohl vielsagend.
       
       Dafür, dass die Westfalen als verschroben und maulfaul gelten, wird hier
       ziemlich viel erklärt und (über-)deutlich gemacht. Wahrhaftigkeit und
       Authentizität eines Films haben gewiss etwas damit zu tun, welche
       Wahrheiten er zeigt. Es zählt aber auch, welche Realität er verschweigt.
       
       6 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Müller
       
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