# taz.de -- Debatte USA und der Abhörskandal: Rambo im Cyberkrieg
       
       > Die USA demonstrieren im Abhörskandal ihr Talent für Fehlentscheidungen.
       > Jetzt könnte Deutschland zeigen, was eine gute Freundschaft ausmacht.
       
 (IMG) Bild: Zu einer tragfähigen Partnerschaft gehört es, Fehler offen anzusprechen und den Freund vor weiteren Fehlern zu warnen
       
       Die Vereinigten Staaten von Amerika führen wieder Krieg. Es ist ein stiller
       und geheimer Krieg ohne Bomben und Panzer. Und dennoch: ein Krieg gegen den
       Rest der Welt. Ein Informationskrieg, der alle bisherigen Dimensionen
       sprengt. Es ist der Krieg des 21. Jahrhunderts.
       
       Auch Deutschland ist Ziel dieser Cyberattacken. Aber die Bundesregierung
       will noch immer keine Konsequenzen aus dem Angriff ziehen. Sie versucht zu
       beschwichtigen, reagiert regelrecht phlegmatisch und in der Causa Merkel
       bestenfalls pikiert. Die Kanzlerin glaubt die Angriffe als Missverständnis
       „unter Freunden“ aus der Welt räumen zu können. Von den Unmutsbeteuerungen
       Einzelner abgesehen duldet die deutsche Regierung den Vertrauensbruch der
       USA und weiß nichts mit dem Whistleblower Edward Snowden anzufangen, der
       den Verrat aufgedeckt hat.
       
       Was für eine gravierende Fehleinschätzung! Denn obwohl es viele historische
       Ursachen gibt, die zum ungleichen Verhältnis zwischen Deutschland und den
       USA geführt haben: Die Ära der Siegermächte ist vorbei. Deutschland ist
       einer der stabilsten Rechtsstaaten der Welt, der keiner ausländischen
       Aufsicht mehr bedarf. Wer kann es den ertappten USA andererseits verdenken,
       wenn sie angesichts der devoten Reaktionen – nicht nur, aber auch – aus
       Deutschland versuchen, so schnell wie möglich zur Tagesordnung
       zurückzukehren?
       
       Dabei steht weit mehr auf dem Spiel als das Vertrauensverhältnis zweier
       Bündnispartner. Der permanente Rechtsbruch durch die globale
       Totalüberwachung geht weit über die Verletzung von Privatsphäre und
       Datenschutz hinaus: Die Abhörattacken sind nur Facetten des globalen
       Cyberkrieges. Insgesamt steckt hinter dem „Information Warfare“ die
       Einsicht, dass Information allein im 21. Jahrhundert der Schlüssel zur
       Macht ist. Die politische, wirtschaftliche und militärische Macht der
       Vereinigten Staaten wächst mit der Menge der erbeuteten Daten.
       
       Die Kriegführung in den Informationsnetzen der Welt erschöpft sich dabei
       auch nicht im Verbreiten schädlicher Programme, die etwa iranische
       Atomanlagen sabotieren oder in private Computer eindringen. Wer wie die NSA
       und seine Partner Datenmengen der gegenwärtigen Größenordnung abschöpft,
       der verfolgt Absichten, die wie Science-Fiction klingen, deren Realisierung
       aber schon beängstigend gut funktioniert. Erstmals in der Geschichte
       erlauben es riesige Computernetzwerke, nahezu unbegrenzte Mengen an Daten
       nicht nur zu speichern, sondern auch zu durchforsten: in Sekundenschnelle
       finden die Algorithmen darin Muster, Strukturen, Auffälligkeiten.
       
       ## Vorreiter für die Freiheit
       
       Dieser Berg an Informationen über Neigungen, Gewohnheiten, Gedanken und
       Absichten Einzelner ist gewaltig und dient als Rohstoff, um Entscheidungen,
       Trends und Krisen – kurzum: die Zukunft vorherzusagen und nach Bedarf zu
       beeinflussen.
       
       Es kann gut sein, dass Länder wie Russland oder China nicht weniger
       zimperlich vorgehen. Doch der Vergleich ist verfehlt, denn die
       Snowden-Enthüllungen betreffen nicht das kriminelle Verhalten ehemaliger
       oder latenter „Schurkenstaaten“. Es geht um das Land, das für sich nicht
       weniger als die Vorreiterrolle in Sachen Freiheit und Demokratie in
       Anspruch nimmt. Nun müssen sich die USA an ihren eigenen Grundsätzen messen
       lassen.
       
       Dass die Erkenntnisse der globalen Lauschaktion längst nicht nur für die
       Terrorabwehr, sondern vielmehr für Wirtschaftsspionage, politische
       Einflussnahme, gar Erpressung von Entscheidungsträgern genutzt werden,
       dürften nur noch die Naivsten bezweifeln.
       
       Für das zaudernde Deutschland erwächst aus dem Skandal gleichwohl eine
       Chance: Die Bundesrepublik genießt weltweit das Ansehen, sich glaubhaft für
       die demokratischen Grundrechte einer zivilisierten Welt einzusetzen. Auch
       wenn es den USA zunächst widerstreben dürfte: klarer Widerspruch aus
       Deutschland wäre ein wahrer Freundschaftsbeweis.
       
       Denn zu einer tragfähigen Partnerschaft gehört es, Fehler offen
       anzusprechen und den Freund vor weiteren Fehlern zu warnen. Die USA haben
       ihre Neigung zu fatalen Fehlentscheidungen in der Vergangenheit nur allzu
       oft unter Beweis gestellt. Der „Krieg gegen den Terror“ hat sich als
       untaugliches Mittel erwiesen, um politische Konflikte in der Welt zu lösen.
       Die Invasion in Afghanistan und der Irakkrieg waren blutige Irrtümer. Nun
       folgt der nächste Fehltritt in Form eines gigantischen Lausch- und
       Abfangprojekts. Diese Totalüberwachung wird sich als die nächste irrige
       Annahme der USA erweisen, die Welt auf ihre Weise sicherer zu machen.
       
       ## Auf der Anklagebank
       
       Wovor also fürchtet sich Angela Merkel? Als Kanzlerin der Bundesrepublik
       kann sie in der NSA-Debatte nur gewinnen – wenn sie den ersten Schritt
       macht und den unsichtbaren Krieg der Amerikaner als solchen benennt. Das
       Gebaren der USA verletzt das Völkerrecht und gehört als kriegerisches
       Handeln vor den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Auch wenn in der
       Gemeinschaft mit China, Großbritannien und Russland keine ernsthaften
       Sanktionen zu erwarten sind, säßen die USA zumindest symbolisch vor aller
       Welt auf der Anklagebank.
       
       Im zweiten Schritt muss Deutschland Edward Snowden endlich politisches Asyl
       gewähren. Seine Aufnahme würde zeigen, dass Deutschland heute
       Rechtsstaatlichkeit über Machtpolitik setzt. Es wäre eine Botschaft an die
       einstigen Besatzer, die zwar zuerst Empörung hervorriefe, aber auch
       nachdenklich machen könnte.
       
       Denn in den USA verbreitet sich die Einsicht: Die angeschlagene Weltmacht
       kann es sich nicht leisten, dauerhaft als Buhmann der Welt dazustehen,
       ganze Erdregionen von sich zu entfremden und als Beinahe-Pleite-Nation
       wirtschaftlich zunehmend gemieden zu werden. Von ehrlichen Partnern können
       die USA daher mehr profitieren als von ihrer Rolle als Rambo der
       Weltpolitik.
       
       Deutschland ist in dem Abhörskandal also mächtiger, als es selbst glaubt,
       als Kanzlerin Merkel es sich zutraut. Wir sollten sie daran erinnern, was
       sie kann – und was sie uns Bürgern schuldig ist.
       
       5 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tarik Ahmia
       
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