# taz.de -- Japanisch-koreanische Vergangenheit: Ziemlich beste Freunde
       
       > Die Koreanerin Lee Ok-Seon wurde im Zweiten Weltkrieg vom japanischen
       > Militär sexuell versklavt. Heute ist ihr wichtigster Freund ein Japaner.
       
 (IMG) Bild: Lee Ok Seon und Tsukasa Yajima bei ihrem Wiedersehen in Berlin.
       
       BERLIN taz | „Wenn wir miteinander telefonieren, machen wir das heimlich,“
       sagt Lee Ok-Seon über ihr Verhältnis zu dem 42-jährigen Fotografen Tsukasa
       Yajima. Die 86-jährige Südkoreanerin lebt am Rand der Hauptstadt Seoul im
       „Haus des Teilens“. In diesem Heim samt Museum für koreanische ehemalige
       Zwangsprostituierte der japanischen Armee ist Lee eine von mehreren greisen
       Bewohnerinnen.
       
       Halmoni – Großmütterchen – werden sie hier liebevoll genannt. Die
       weißhaarige Lee hat dunkle Altersflecken im Gesicht, die ihr Make-up nicht
       mehr verdecken kann. „Die anderen Frauen sprechen schlecht über Mario,
       deshalb rede ich nicht von ihm, wenn wir Kontakt haben“, sagt Lee. Sie
       nennt Yajima nach seinem Spitznamen. Weil die Halmoni seinen Vornamen nicht
       aussprechen können, nennen sie ihn nach der Hauptfigur de berühmten
       japanischen Computerspiels.
       
       „Mario ist kein böser Mensch. Aber da er nicht mehr bei uns lebt, sagen die
       anderen, er sei böse“, sagt Lee. „Die anderen Frauen sind neidisch auf Lees
       Beziehung zu Mario“, erklärt die Leiterin des „Haus des Teilens“, Kim
       Jeong-Sook. „Alle alten Frauen in unserem Haus lieben es, wenn Tsukasa ihre
       Hände anfasst.“
       
       Yajima hat eine kräftige Figur und einen Pferdeschwanz. Er strahlt Sanftmut
       und Güte aus. Er wuchs in der Stadt Takasaki nordwestlich von Tokio auf und
       arbeitete er als Fotograf für Japans liberale Tageszeitung Asahi Shimbun in
       der Hauptstadt. Von 2003 bis 2006 lebte er im „Haus des Teilens“ in einer
       Art WG ausgerechnet mit den koreanischen Großmüttern, die der Generation
       seiner Großväter als Sexsklavinnen dienen mussten.
       
       Korea war von 1910 bis 1945 japanische Kolonie. Im Pazifikkrieg eroberte
       Japan Nordost- und Südostasien. Um die Kampfmoral der kaiserlichen Armee zu
       fördern, reichte die Regierung in den besetzten Ländern Militärbordelle
       ein, in denen einheimische Frauen sexuell versklavt wurden. 200.000 Frauen,
       mehrheitlich aus Korea, wurden jahrelang zur Prostitution gezwungen.
       
       Die meisten Opfer schwiegen aus Scham ihr Leben lang. Erst 1991 wagten sich
       die ersten Frauen mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit. Bis heute
       fordern sie von Tokio die Anerkennung ihrer Leiden und eine aufrichtige
       Entschuldigung. Japans Regierung leugnete die Verbrechen zunächst. Den
       euphemistisch Trostfrauen genannten Opfern wurde die Schuld an ihrem
       Schicksal zugewiesen. Als sich die Existenz der Militärbordelle nicht
       länger leugnen ließ, wurde in Tokio die Verantwortung von Staat und Armee
       bestritten.
       
       ## Keine aufrichtige Entschuldigung
       
       Als dann die Beweislast auch japanischer Archive zu drückend wurde, kam
       1994 von Japans ersten sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Tomiichi
       Murayama eine halbherzige Entschuldigung. Er versuchte die staatliche
       Verantwortung zu relativieren, in dem er nur einen privaten
       Entschädigungsfonds auflegen ließ. Den lehnten die meisten Opfer ab.
       Murayamas konservative Nachfolger ignorieren Japans Verantwortung bis
       heute. 2007 stellten sie per Kabinettsbeschluss sogar fest, die
       Zwangsprostitution durch die kaiserliche Armee sei „nicht bewiesen“.
       
       „In der Schule habe ich nichts über den Zweiten Weltkrieg gelernt außer
       Hiroshima und Nagasaki“, sagt Fotograf Yajima. „Über Trostfrauen habe ich
       nichts erfahren.“ Sein Vater war Polizist. „Er liebt den Kaiser und liest
       revisionistische Bücher. Wir haben über Politik gestritten, bis sich meine
       Mutter zu Hause politischen Streit verbeten hat.“
       
       Erst an der Uni erfuhr Yajima von Kommilitonen aus asiatischen Ländern von
       japanischen Kriegsverbrechen. „Seitdem interessiert mich das Thema“, sagt
       er. „Mein Großvater war im Krieg vier Jahre Soldat in China. Ich habe ihn
       als Student oft gefragt, ob er in Militärbordelle gegangen ist und was er
       davon wusste. Er wollte nie antworten und sich nur nur an leckere
       chinesische Bananen erinnern.“
       
       Im Rahmen eines Workshops für koreanische und japanische Jugendliche
       besuchte Yajima im Sommer 2000 erstmals das „Haus des Teilens“ bei Seoul.
       2002 reiste er wieder nach Südkorea. „Ich traf Mario erstmals bei einer
       Mittwochs-Demo“, erinnert sich Lee. Seit Januar 1992 demonstrieren frühere
       Trostfrauen und ihre Unterstützer jeden Mittwoch vor Japans Botschaft in
       Seoul. Inzwischen mehr als 1.100 Mal.
       
       „Ich habe gemerkt, dass Mario Japaner ist, aber Koreanisch spricht. Bald
       traf ich ihn im Haus des Teilens wieder“, sagt Lee über ihre ersten
       Begegnungen. Yajima wollte das Leben der Halmoni mit der Kamera
       dokumentieren. Bei seinem nächsten Besuch im „Haus des Teilens“ erfuhr er,
       dass eine Person gesucht wurde, um Besucher aus Japan in ihrer Sprache zu
       betreuen.
       
       „Bis dahin musste eine frühere Zwangsprostituierte übersetzen. Das war ihr
       nicht länger zuzumuten“, sagt Yajima. Er bekam den Job und verbesserte sein
       Koreanisch mit Hilfe der Halmoni und durch koreanische Seifenopern im
       Fernsehen. „Zunächst fotografierte ich den Alltag im Haus des Teilens. Doch
       weil ich damit nicht zufrieden war, begann ich mit Portraitfotos der alten
       Frauen. So verbrachte ich viel Zeit mit ihnen allein.“
       
       ## „Sie erzählt sehr gut“
       
       Oft übersetzte Yajima japanischen Besuchern Lees Leidensgeschichte. Sie war
       als 15-Jährige aus der südlichen Stadt Ulsan in ein Militärbordell in der
       damaligen Mandschurei verschleppt worden, dem heutigen Nordostchina. „Sie
       erzählt sehr gut“, sagt er. Obwohl sie nie eine Schule besucht habe,
       spreche sie politischer als andere und mehr über Menschenrechte. „Sie wird
       nicht so emotional, sondern kann ihre Gedanken und Erlebnisse gut
       darstellen. Das ist wichtig für ein japanisches Publikum. Das schreckt
       zurück, wenn es zu emotional wird“, sagt Yajima.
       
       „Mario ist mit mir nach Japan gefahren und hat dort für mich übersetzt“,
       sagt Lee. „Ich hatte zunächst kein gutes Gefühl dorthin zu fliegen. Aber
       ich wollte das Unrecht bezeugen und sagen, dass Japaner böse sind. Am
       liebsten hätte ich sie alle umgebracht. Aber sie gaben mir Recht, und das
       hat mich gefreut.“
       
       Lee war erst im Jahr 2000 aus China nach Südkorea zurückgekehrt. In dem
       Jahr war ihr Mann gestorben, dem sie nie von ihrer Versklavung erzählt hat.
       „Nach der Befreiung vom Kolonialismus 1945 war ich auf mich gestellt. Ich
       musste betteln und wurde missachtet“, berichtet Lee. „Ich habe mich
       geschämt.“ Geschlechtskrankheiten hatten sie unfruchtbar gemacht. Sie hatte
       starke Blutungen, ihre Gebärmutter wurde entfernt. „Später heiratete ich
       einen Mann, dessen Frau bei der Geburt des Kindes gestorben war.“
       
       Lee empört sich: „Japan behauptet, dass wir nicht verschleppt wurden,
       sondern freiwillig gingen, um Geld zu verdienen.“ Die „Troststationen“
       genannten Bordelle seien „Menschenschlachthöfe“ gewesen. „Da kam kein
       Zivilist rein, nur Militärs. Kamen einfache Soldaten, gab es nicht viel
       Streit, aber die Offiziere schlugen uns oft.“ Viele Zwangsprostituierte
       töteten sich selbst oder wurden von ihren Peinigern verletzt oder ermordet.
       Auch Lee hat eine Narbe am Unterarm.
       
       ## Vor dem Tod „das Unrecht klären“
       
       „Eigentlich kann ich kein gutes Wort über Japan sagen. Dabei sind nicht
       alle Japaner schlecht, sondern nur die Regierung“, reflektiert Lee. Sie
       könne die ganze Nacht erzählen, was die Japaner getan hätten. "Ich will das
       Unrecht klären, bevor wir sterben. Nicht wir Frauen sollten uns schämen,
       sondern die Japaner, die uns das angetan haben."
       
       Lee und Yajima verbrachten viel Zeit zusammen. "Ich wurde zu ihrer
       Vertrauensperson," sagt Yajima. Das war vom "Haus des Teilens" gar nicht
       gewünscht, denn die alten Damen sollten gleichbehandelt werden. "Besuchte
       ich sie in ihrem Zimmer, musste ich auch andere Frauen besuchen, damit sie
       sich nicht vernachlässigt fühlen," erklärt Yajima das Prinzip des "Haus des
       Teilens".
       
       Ihn beeindruckt Lees starker Wille. So habe sie ihn gebeten, ihr wieder
       Japanisch beizubringen, damit sie in Japan ohne Dolmetscher berichten
       könne. Während der Kolonialzeit wurde Koreanern der Gebrauch ihrer eigenen
       Sprache verboten. Sie durften nur Japanisch sprechen.
       
       Lee hat das später in China wieder verlernt. Yajima lehnte ihren Wunsch
       unter Verweis auf die Kolonialgeschichte zunächst ab. Sie solle in Japan
       ruhig koreanisch sprechen, war seine Meinung. Doch Lee setzte sich durch,
       Yajima brachte ihr Japanisch bei.
       
       ## Lee setzt auf die Medien
       
       Seit 2006 lebt er in Berlin. Kürzlich begleitete er Lee auf einer vom
       nichtstaatlichen Korea Verband organisierten Vortragsreise durch
       Deutschland. In mehreren Städten berichtete Lee von ihrer Versklavung und
       der ihrer Leidensgenossinen. Sie gab viele Interviews. „Es nützt nicht so
       viel, wenn wir vor Japans Botschaft in Seoul unsere Fäuste recken“, sagt
       sie. „Es ist hilfreicher, wenn Journalisten über uns berichten.“
       
       Mario sei ja auch Journalist. Ihm könne sie alles erzählen. Doch ist er
       mehr für sie als ein politischer Unterstützer. Das zeigen ihre Scherze, die
       sie immer wieder macht: „Du hast mir doch versprochen, dass Du mich
       heiraten willst“, wirft sie ihm mit gespielter Empörung vor. „Doch dann
       hast Du eine Deutsche geheiratet!“
       
       Mit Augenrollen signalisiert Yajima, dass er das nie versprochen hat. Dann
       berichtet er, wie er in Japan für seine Freundschaft zu Lee angefeindet
       wird: „Zufällig traf ich meinen Cousin auf der Straße. Schon nach wenigen
       Minuten warf er mir vor: Du bist ein Volksverräter!“
       
       10 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sven Hansen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Korea
 (DIR) Japan
 (DIR) Zwangsprostitution
 (DIR) Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
 (DIR) Vergangenheitsbewältigung
 (DIR) Japan
 (DIR) Südkorea
 (DIR) Japan
 (DIR) Japan
 (DIR) China
 (DIR) Nordkorea
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Seltene Ansprache an die Öffentlichkeit: Japanischer Kaiser erwägt Abdankung
       
       Er hat keine politische Macht, gilt aber als „Staatssymbol“: Der japanische
       Kaiser Akihito hat den Wunsch signalisiert, abzudanken – aus
       gesundheitlichen Gründen.
       
 (DIR) Kommentar Südkorea und Japan: Kaum mehr als bitterer Trost
       
       Japans Regierung entschuldigt sich bei südkoreanischen Zwangsprostituierten
       aus dem Zweiten Weltkrieg. Nur 46 von ihnen leben noch.
       
 (DIR) Sexsklaverei im Japan der Kriegszeit: Aufarbeitung soll beschleunigt werden
       
       Tausende Frauen aus Südkorea mussten sich prostituieren. Der Streit über
       die Vergangenheit belastet die Beziehungen beider Länder.
       
 (DIR) Prostitution in Japan: Sie wollten es doch auch
       
       Japan bleibt bei seiner Entschuldigung für das Leid von
       Zwangsprostituierten im Zweiten Weltkrieg. Zuvor war die Haltung der
       Regierung dazu in Zweifel geraten.
       
 (DIR) Inseln im Ostchinesischen Meer: Streit über den Flugverkehr
       
       Peking will eine „Luftverteidigungszone“ über der umstrittenen Inselgruppe
       im Ostchinesischen Meer einrichten. Tokio wehrt sich heftig.
       
 (DIR) Bericht über Exekutionen in Nordkorea: TV-Serien-Liebhaber hingerichtet
       
       Laut einer südkoreanischen Zeitung wurden Häftlinge in sieben
       nordkoreanischen Städten erschossen. Fast alle waren wegen Besitzes
       ausländischer Serien im Knast.
       
 (DIR) Der künftige Premier Shinzo Abe: Junges Gesicht des alten Japan
       
       Shinzo Abe entstammt einer Politikerfamilie und versteht es gut, in seiner
       Partei Strippen zu ziehen. Er steht vor allem für das alte, krisenhafte
       Japan.
       
 (DIR) Opfer der Zwangsprostitution in Japan: Der eintausendste Protest
       
       Ehemalige koreanische Zwangsprostituierte der japanischen Armee
       protestieren zum 1.000. Mal gegen Tokios Vertuschungs-Politik - und
       halbherzige Entschuldigungen.