# taz.de -- Gedenkjahr in Berlin: Bilder der Vielfalt
> Als Höhepunkt des Berliner Themenjahres zum 75. Jahrestag der Pogromnacht
> zeigen Jugendliche mit Tausenden kleinen Filmen, was Vielfalt heute für
> sie bedeutet.
(IMG) Bild: Viele Gedenkveranstaltungen an diesem Wochenende.
Die Zeichentrickmädchen tuscheln. „Hast du die gesehen?“, fragt eines und
deutet auf zwei knutschende Jungs. „Yeah! Na und?“, antwortet das andere,
„du bist kleinkariert!“ „Kleinkariert“ wird schwarz und fett um zwei
glotzende Augen herumgeschrieben. Dann tanzen die Worte „Love is love“ über
den Bildschirm.
Dieser 30-sekündige Film läuft derzeit auf den Bildschirmen der U-Bahn und
ist eines von mehr als 3.000 Videos, die für die Mitmach-Aktion „Unsere
Vielfalt nimmt uns keiner mehr!“ entstanden sind. Die Aktion ist Teil des
Berliner Gedenkjahres „Zerstörte Vielfalt“ anlässlich des 80. Jahrestags
der Machtübernahme der Nationalsozialisten und des 75. Jahrestags der
Novemberpogrome. Zwölf Monate lang gab es in Berlin über tausend
Veranstaltungen zu dem Thema, mit den Videos der Jugendlichen klingt am
morgigen Sonntag am Brandenburger Tor das Gedenkjahr aus.
Die Organisatoren des Gedenkjahres von der Kulturprojekte Berlin GmbH
hatten junge Leute dazu aufgerufen, kurze Filme zu produzieren,
ausdrücklich auch Handyvideos, die zeigen, was Vielfalt heute für die
Jugendlichen bedeutet. Taalea Bischoff, Macherin von „Love is love“, fühlte
sich da gleich an ein persönliches Erlebnis erinnert: „Wir hatten mal ein
lesbisches Pärchen an der Schule, über das hinter vorgehaltener Hand
geredet wurde“, sagt die 17-Jährige. „Das hat mich echt geärgert.“
Homosexuelle würden zwar meist nicht offen angegriffen, „aber manche Leute
sprechen darüber, als sei es ihnen unangenehm. Das ist auch schlimm: Die
Betroffenen können sich schlecht wehren und werden als übersensibel
abgestempelt.“
Für ihren Film zeichnete Bischoff einen Tag lang an über 200 Bildern ihrer
schwarz-weißen Figuren. „Die Stelle mit dem ’kleinkariert‘ hat am meisten
Spaß gemacht“ sagt sie. Jetzt klingelt ständig ihr Handy, weil Freunde sich
melden, die das Video in der U-Bahn gesehen haben. „Manche schicken mir
Fotos davon oder fahren so lange mit der Bahn, bis sie es zu sehen
bekommen.“ Taalea Bischoff ist Schülerin der Sophie-Charlotte-Oberschule in
Charlottenburg, an der sie einen Wahlpflichtkurs in Filmproduktion besucht.
Hier machen die Schüler das ganze Jahr über eigene Filme – in den
vergangenen vier Wochen arbeiteten sie an denen für die Vielfalt-Aktion.
Zehn Videos haben die Schüler aus dem Kurs am Ende eingereicht.
Am vorigen Montag saß der Kurs zusammen und sah die Videos das erste Mal
gemeinsam an. Manche Filme handeln von konkreten Diskriminierungen und
Verboten aus der Nazizeit – und von dem, was wäre, wenn diese heute gelten
würden. Andere zeigen einfach gut gelaunt die Vielfalt des heutigen Berlin.
Eine Gruppe Mädchen hat das damalige Verbot mancher Musik aufgegriffen: Auf
der Leinwand tanzen die Mädchen in einem Club, bis sie sich plötzlich nur
noch im Gleichschritt zu Marschmusik bewegen dürfen. Ein anderes Team
greift Stereotype über die Herkunft von Mitschülern auf und dekonstruiert
sie mit Statements wie: „Ich bin Türke und Vegetarier“, oder: „Ich bin
Afroamerikanerin und kann kein Basketball spielen.“ Andere witzeln mit
Berlinbezug: „Sei viel, sei faltig, sei Berlin.“
Als Lehrerin und Kursleiterin Sabine Strehlow vor ein paar Wochen
vorschlug, Videos für das Vielfaltprojekt zu produzieren, hätten das gleich
alle gut gefunden, sagt die 18-jährige Schülerin Katarina Ollech – „obwohl
wir vom Reden über die Nazizeit eigentlich ein bisschen genervt sind. Das
machen wir zurzeit in jedem Fach.“ Aber hier sei das anders: „Es geht nicht
nur um früher, sondern auch um heute. Und wir kriegen nicht nur was
erzählt, sondern können unsere Statements dazu abgeben.“
Sie seien durch die Aktion auch ins Nachdenken gekommen, ergänzt die
17-jährige Emilia Köhler. „Wir nehmen es immer für selbstverständlich, dass
Unterschiede cool sind. Dabei ist die NS-Zeit eigentlich gar nicht so lange
her – und da hätte ich vielleicht meine Musik nicht hören dürfen.“ Durch
das Projekt sei ihnen bewusster geworden, welchen Effekt solche Verbote wie
zur Nazizeit auf ihr Leben konkret haben könnten.
„Emotionale Brücke“ nennt Moritz van Dülmen das, Geschäftsführer der
Kulturprojekte Berlin GmbH. Er findet, es sei recht gut gelungen, eine
solche Brücke zu schlagen. „Jugendliche sind die Hauptzielgruppe des
Projektjahres“, sagt er. „Das klingt immer so pathetisch: Aber sie sind nun
mal die Zukunft.“
Van Dülmen zieht eine positive Bilanz der Videoaktion: „Rund die Hälfte der
Berliner Schulen hat sich beteiligt.“ Am Sonntagabend werden alle Videos
als ein Höhepunkt und Ausklang des Gedenkjahres am Brandenburger Tor
gezeigt werden.
Taalea Bischoff, Katarina Ollech, Emilia Köhler und die anderen aus dem
Filmkurs werden dort sein. Auf der Bühne sitzen dann auch die Zeitzeugen
Margot Friedländer, Inge Deutschkron und Coco Schumann und übergeben der
jungen Generation symbolisch die Verantwortung für die Erhaltung der
Vielfalt in Zukunft.
8 Nov 2013
## AUTOREN
(DIR) Maja Beckers
## TAGS
(DIR) Gedenken
(DIR) Berlin
(DIR) Schwerpunkt Nationalsozialismus
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