# taz.de -- Urteil wider Überwachung: Kameras müssen aus bleiben
       
       > Göttinger Verwaltungsgericht urteilt: Polizisten dürfen auf friedlichen
       > Demonstrationen nicht filmen.
       
 (IMG) Bild: Bleiben Demonstranten friedlich, dürfen die hier sich nur gegenseitig filmen: Polizisten mit Videokameras
       
       GÖTTINGEN taz | Eigentlich ist die Rechtslage eindeutig: Die Polizei in
       Niedersachsen darf nur dann Bild- und Tonaufzeichnungen von einer
       Demonstration anfertigen, wenn es sich um eine unübersichtliche Versammlung
       handelt. Und wenn von dieser eine erhebliche Gefahr für die öffentliche
       Sicherheit und Ordnung ausgeht. So steht es zumindest im niedersächsischen
       Versammlungsgesetz. Doch die Praxis sieht bisher anders aus.
       
       Die Videoüberwachung von Demonstrationen sei die Regel, kritisieren viele
       Bürgerinitiativen und Organisationen. Bei fast jeder Demonstration seien
       Einheiten der Polizei mit Videokameras unterwegs. Die Beamten machten dabei
       nicht nur Übersichtsaufnahmen, sondern filmten auch ganz gezielt einzelne
       Personen. Gestern hat das Göttinger Verwaltungsgerichts eine Entscheidung
       getroffen, die diesem Vorgehen künftig enge Grenzen setzen dürfte.
       
       Im verhandelten Fall ging es um die Klage von Meinhart K. gegen die
       Polizeidirektion Göttingen (Az.: 1 A 283/12). Der 60-jährige K. hatte am
       13. Juli des vergangenen Jahres an einer Kundgebung gegen den damaligen
       niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann teilgenommen. Der
       CDU-Politiker war zur Unterzeichnung eines sogenannten Zukunftsvertrages
       zwischen Kommune und Land ins Alte Rathaus der Universitätsstadt Göttingen
       gekommen.
       
       Vor dem Gebäude demonstrierten 50 bis 70 Personen. Sechs Demonstranten
       versperrten den Treppenaufgang, den Schünemann benutzen wollte. Es kam zu
       Rangeleien, die Polizei drängte die Aktivisten zurück, erklärte die
       Versammlung im Bereich der Treppe für aufgelöst und erteilte Platzverweise.
       K. klagte gegen diese Auflösung der Demonstration – und gegen den Einsatz
       von Videokameras.
       
       Die Polizei war mit mehr als 100 Beamten im Einsatz, einige filmten das
       Geschehen mit Handkameras, ein Polizist nutzte eine auf einem Fahrzeug
       montierte Turmkamera für die Aufnahmen. Die Justiziarin der Göttinger
       Polizei sah eine „Unübersichtlichkeit“ der Situation „durchaus gegeben“.
       Die Demonstranten hätten „Pendelbewegungen“ gemacht und immer wieder ihren
       Standort gewechselt, sagte sie in der Verhandlung.
       
       K.s Anwalt Johannes Hentschel widersprach. Die Polizei habe die kleine
       Kundgebung auf dem Platz jederzeit im Blick gehabt. „Das ist sowas von
       übersichtlich da“, sagte Hentschel.
       
       Differenzen offenbarten sich auch bei der Frage, ob von der Versammlung
       eine erhebliche Gefahr ausgegangen war. Ja, sagte die Justiziarin der
       Polizeidirektion. Die Stimmung sei „relativ aufgeheizt“ gewesen, es habe
       laute Sprechchöre gegen Schünemann gegeben. Außerdem sei der damalige
       Innenminister anderthalb Jahre zuvor an der Göttinger Uni schon einmal Ziel
       von aggressiven Demonstranten gewesen.
       
       Hentschel hielt mit Passagen aus dem Einsatzbericht der Polizei dagegen,
       wonach der Einsatzleitung keine Hinweise auf Störungen vorlagen. Und die
       Parolen gegen Schünemann? Die, so der Anwalt, seien ja der Sinn der
       Versammlung gewesen.
       
       Das Gericht gab der Klage von K. in dem wesentlichen Punkt statt: Die
       Videoüberwachung der betreffenden Demonstration sei rechtswidrig und die
       Situation nicht unübersichtlich gewesen, so der Vorsitzende Richter Thomas
       Smollich. Eine Berufung wurde nicht zugelassen.
       
       Anders urteilte die Kammer mit Blick auf die Auflösung der Versammlung.
       Weil die Kundgebung faktisch gar nicht aufgelöst, sondern nur beschränkt
       worden sei, wies das Gericht die Klage ab.
       
       Erst vor wenigen Wochen hatte das Göttinger Verwaltungsgericht mit einem
       anderen Urteil bundesweit Beachtung gefunden. Nach diesem Urteil müssen
       sich Zivilbeamte der Polizei in Niedersachsen, die Demonstrationen und
       Kundgebungen überwachen, gegenüber der Versammlungsleitung als Polizisten
       zu erkennen geben. Das gilt für jeden der eingesetzten Beamten.
       
       Hintergrund dieser Entscheidung waren Aktionen der Göttinger
       Anti-Atom-Initiative. Seit der Atomkatastrophe von Fukushima veranstaltet
       die Initiative einmal im Monat eine Mahnwache in der Göttinger Innenstadt.
       Neben uniformierten Beamten waren meist auch Polizisten in Zivil anwesend.
       Sie gaben sich aber nicht als Polizisten zu erkennen, sondern tranken
       Kaffee oder telefonierten und erweckten so Eindruck, als seien sie nur
       Passanten. Gegen diese Praxis, konkret ging es um drei Mahnwachen im Herbst
       2011, klagte die Anmelderin der Mahnwachen. Mit Erfolg.
       
       11 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reimar Paul
       
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