# taz.de -- Pädophilie-Aufarbeitung bei den Grünen: Eine Heimat für alle
       
       > Erste Ergebnisse der Göttinger Parteiforscher: Die anfängliche Offenheit
       > der Grünen für Pädophile rührte aus verqueren Ideen der 68er-Bewegung.
       
 (IMG) Bild: Wie hielten sie's damals mit den Kindern? Grüne im Bundestag, 1983
       
       BERLIN taz | Die Grünen haben „einen besonderen Resonanzboden“ für
       Minderheiten geboten – auch für Pädophile. Es sei „propädophilen Kräften
       über mehrere Jahre hinweg möglich“ gewesen, „ihre Ansichten und Forderungen
       in den Willensbildungsprozess der Grünen einzuspeisen“. Zu diesem Schluss
       kommt das Göttinger Institut für Demokratieforschung. Die Forscher um den
       Politologen Franz Walter haben dem Bundesvorstand der Grünen am Montag
       ihren Zwischenbericht vorgelegt.
       
       Die im Auftrag der Partei erstellte Studie arbeitet grüne Debatten der
       achtziger und neunziger Jahre auf. Die Verfasser appellieren an die Grünen,
       sich mit der eigenen geschichtlichen Verantwortung kritisch
       auseinanderzusetzen. Das sei unvermeidbar, auch wenn es „qualvoll und
       „elektoral abträglich“ sein möge.
       
       Die Parteivorsitzende Simone Peter bedankte sich in einer ersten
       öffentlichen Stellungnahme bei Walter. Der Bericht zeige, dass eine
       wissenschaftliche Aufarbeitung notwendig sei, er bestärke die Grünen darin,
       „eine umfassende parteiinterne Aufklärung zu organisieren“.
       
       Die Verfasser der Studie nähern sich der Parteivergangenheit wie einem
       grünen Entwicklungsroman, der neben erfreulichen Freiheitszuwächsen auch
       „schmerzhafte Grenzverletzungen, Missbräuche und Traumata“ hervorgebracht
       habe.
       
       Um die einzelnen Diskurslinien für die Gegenwart nachvollziehbar zu machen,
       geht der Bericht zurück bis in die späten 1960er Jahre, als das
       Sexualstrafrecht gründlich reformiert wurde. Eindrücklich wird der Stand
       der damaligen Forschung über Kindesmissbrauch zusammengefasst.
       
       Dass gewaltlose und „einvernehmliche“ Sexualität mit Erwachsenen Kindern
       nicht schade, diese Meinung vertrat eine Mehrheit von Psychologen,
       Juristen, darunter auch die 1961 gegründete Humanistische Union.
       
       ## Keine bloße Kampagne
       
       Das kam bei den Grünen an. „Als Kind dieser Zeit schlug sich diese
       Diskussion auch in der Partei Die Grünen nieder und klebt seitdem als Makel
       an ihr“, heißt es. Die Grünen, die 1985 den Einzug in den Düsseldorfer
       Landtag auch wegen eines einschlägigen Beschlusses ihres NRW-Landesverbands
       verpassten, würden gerade vom politischen Gegner bis heute damit
       konfrontiert. Die 2013 wieder aufgeflammte Debatte über das Thema
       Pädophilie ordnen die Forscher aber nicht als bloße Kampagne ein, sie sei
       differenzierter.
       
       Ausführlich seziert der Zwischenbericht das linksalternative
       „Bewegungsmilieu“ in der Bundesrepublik nach 1968. Im Moment der tiefen
       politischen Enttäuschung habe sich die Hoffnung auf Fundamentalveränderung
       auf die Kinder gerichtet. Als „Projektionsfläche einer anzustrebenden
       Zukunft im Natürlichen, Vordiskursiven“ strebte man deren Befreiung an.
       Dass Politpädophile nicht nur in der taz für die „sexuelle Revolution“ in
       ihrem Sinne trommeln konnten, sondern auch bald bei den Grünen, ist aus
       Sicht der Autoren „wenig verwunderlich“.
       
       Die entscheidende Frage sei, in welchem Umfang dies geschah. Hier entlasten
       die Forscher die Partei: „In dem politischen Konglomerat, aus dem heraus
       die Grünen entstanden, war Sexualität ein Diskurs von vielen, aber eben
       nicht der einzige, schon gar nicht der dominante.“
       
       1985, zum Zeitpunkt des nordrhein-westfälischen Parteitagsbeschlusses, sei
       die größte Offenheit Pädophilen gegenüber schon vorbei gewesen. Im
       Grundsatzprogramm fünf Jahre zuvor habe man noch großen Wert auf die
       Nichtstigmatisierung von „sexuell diskriminierten Bevölkerungsteilen“
       gelegt und gar gefordert, das Sexualstrafrecht so zu fassen, dass Pädophile
       ihre (gewaltfreien) Neigungen ausleben könnten.
       
       ## Die „Anti-Parteien-Partei“
       
       Die nachfolgende Parteitaktik, von inhaltlichen Positionen nicht dezidiert
       Abstand zu nehmen, sie aber zurück an die Basis zur weiteren Diskussion zu
       verweisen, führte dazu, dass man eine Offenheit für das Thema
       signalisierte, ohne den entsprechenden Beschluss außer Kraft zu setzen.
       
       Dass bei den Grünen Skepsis gegenüber Staat, Parteien und Macht zur
       Grundhaltung gehörte, dürfte die Offenheit für pädophile Positionen
       befördert haben. Zum Verständnis der damaligen „Anti-Parteien-Partei“
       (Gründerin Petra Kelly) gehörte zudem eine Zugewandtheit zu
       gesellschaftlichen und politischen Minderheiten.
       
       Vor allem drei Dinge nennt die Studie, die es „noch kleinsten
       Einflussgruppen“ ermöglichten, bei den Gründungsgrünen Gehör zu finden: die
       basisdemokratische Verfasstheit der Partei, den programmatisch
       festgeschriebenen Minderheitenschutz und eine Politik der Betroffenheit.
       
       Man bot allen eine Heimat: den Don-Bosco-Brüdern, Elbfischern, alternativen
       Handwerkern – und Gruppen wie den Stadtindianern, die nach der Erinnerung
       des Grünen Ludger Vollmer „stark nach Pädophilie“ rochen.
       
       In einem Exkurs widmet sich der Bericht noch einmal der Rolle, die der
       Schwulenpolitiker Volker Beck spielte. Der Befund dürfte Beck freuen: Nie
       habe er eine Funktion in der umstrittenen Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule
       und Päderasten (BAG Schwup) ausgeübt, habe dort nie „relevante Mitarbeit“
       geleistet.
       
       Im Gegenteil: Er habe innerhalb des Grünen-Vorstands eindeutig aufseiten
       der „pädo-feindlich“ gesinnten Gruppen gestanden. Nur seinen in dem Band
       „Pädophilie heute“ von 1988 abgefassten Beitrag kritisieren die Verfasser
       als problematisch.
       
       Die Parteigeschichte muss nach diesem Bericht nicht neu geschrieben werden.
       Aber für die jetzt folgende innerparteiliche Aufarbeitung leistet er einen
       unverzichtbaren Beitrag.
       
       16 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nina Apin
       
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