# taz.de -- Sicherungsverwahrung: „Sie haben sich in Rage geredet“
       
       > Der Bremer Kriminologe Johannes Feest hat einen offenen Brief gegen die
       > geplante nachträgliche Therapieunterbringung initiiert.
       
 (IMG) Bild: Findet sich möglicherweise irgendwann in der Psychiatrie wieder: ein Sicherungsverwahrter in seiner Zelle.
       
       taz: Über eine nachträgliche Therapieunterbringung für Sicherungsverwahrte
       wird schon länger diskutiert – warum haben Sie jetzt einen offenen Brief
       dagegen initiiert, Herr Feest? 
       
       Johannes Feest: Der Begriff „Therapieunterbringung“ ist noch Ende 2010 im
       Justizministerium von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erfunden worden.
       Angesichts der Aufregung, als entlassene Sicherungsverwahrte versuchten, in
       Freiheit wieder Fuß zu fassen, musste sich das Ministerium etwas ausdenken.
       
       Warum half da die nachträgliche Therapieunterbringung? 
       
       Man hatte in der Europäischen Konvention für Menschenrechte eine Klausel
       gefunden, wonach man Leuten bei „unsound mind“ die Freiheit entziehen kann,
       auch wenn sie sich nichts haben zuschulden kommen lassen.
       
       Ist diese Kategorie „unsound mind“ so vage, wie sie klingt? 
       
       Das ist sie. Die Passage geht zurück auf Vorstellungen der 1920er-Jahre. Da
       steht im gleichen Satz, dass man auch Landstreicher und Alkoholiker sofort
       wegstecken kann. Aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat
       den Begriff des „unsound mind“ inzwischen relativ eng definiert, er
       verlangt echte Geisteskrankheit dafür.
       
       Wird es nicht selten sein, dass man eine so schwere Störung lange nach der
       Verurteilung feststellt? 
       
       Tatsächlich sagen viele Experten, dass es keinen Anwendungsbereich haben
       wird. Ich dachte damals, dass es ein schlauer Trick einer liberalen
       Justizministerin war, ein solches Gesetz, das der Europäische Gerichtshof
       möglicherweise kippen würde, zur Beruhigung der Bevölkerung zu erlassen.
       
       Das dann wenige Anwendungsfälle hatte? 
       
       Es gab wenige und die vor allem in Bayern, wo etwa ein Dutzend Leute in die
       Psychiatrie in Straubing gesteckt wurde. Ich habe mit der Leiterin der
       Abteilung gesprochen. Sie sagte, dass die Leute nicht zu Therapien bereit
       waren. Sie sind sämtlich entlassen worden. Es war ein Etikettenschwindel
       und man konnte hoffen, dass es sich verläuft.
       
       Bis die Politik das Thema wieder aufgriff. 
       
       Es gab Politiker, die sich damals so in Rage geredet haben, dass sie
       sagten: Wir brauchen etwas von Dauer, es gibt eine Sicherheitslücke. Der
       Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat gesagt, dass nachträgliche
       Sicherungsverwahrung gegen das Rückwirkungsverbot verstößt. Deshalb will
       man nun den Umweg über das Therapie-Unterbringungsgesetz von 2011 nehmen,
       um eine dauerhafte Institution zu schaffen.
       
       Was wäre künftig der Unterschied? 
       
       Das Leutheusser-Schnarrenberger’sche Gesetz bezog sich nur auf
       Sicherungsverwahrte, die nach der Klage vor dem Europäischen Gerichtshof
       entlassen wurden. Manche Juristen sagen, dass es ein Einzelfallgesetz war.
       Auf neue Fälle konnte es nicht angewendet werden. Nun ist es als reguläre
       Institution in den Koalitionsvertrag geschrieben worden und man kann bei
       jedem, der seine Strafe verbüßt hat, hinterher fragen: Sollte er nicht in
       nachträgliche Therapieunterbringung kommen?
       
       Ist es auch ein Umschwung darin, dass psychische Krankheit kriminelles
       Verhalten begründen soll? 
       
       Eigentlich haben wir ein zweispuriges System: Die einen sind geistig gesund
       und begehen sozusagen aus Bosheit Straftaten, die anderen sind krank und
       können nicht bestraft werden, sondern werden direkt vom Richter in die
       Psychiatrie eingewiesen. Dies ist alles inzwischen durcheinander geraten.
       
       Gibt es die von der Politik befürchtete Strafbarkeitslücke? 
       
       Nein. Es geht um Leute, die eine Strafe abgesessen haben, in
       schwerwiegenden Fällen 15 Jahre und mehr. Wenn sie dann entlassen werden,
       ist es eine Frage der Prognose, ob man sagen kann, sie werden weitere Taten
       begehen – das grenzt an Prophetie. Dann muss man sich mit anderen Mitteln
       behelfen, um einen Mindestschutz zu gewährleisten: Die Straftäter, die nach
       Lang-Strafen entlassen werden, haben alle Führungsaufsicht.
       
       In Zeiten, in denen Sicherungsverwahrung in der breiten Öffentlichkeit kaum
       noch ein Thema ist, wie viel Resonanz findet da Ihr offener Brief? 
       
       Ich verspreche mir nicht viel davon, damit an eine große Öffentlichkeit zu
       gehen. Ich bin sehr zufrieden, dass wir eine bunte Mischung von
       Fachkreisen, Juristen, Psychiatern, Gefängnisgeistlichen und
       Sozialarbeitern erreicht haben. Daran merke ich auch, wie viele Leute
       darauf gewartet haben, sich an so etwas beteiligen zu können.
       
       20 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Friederike Gräff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) BGH
 (DIR) psychische Gesundheit
       
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