# taz.de -- Tarantinos nicht gedrehter Western: Den Pimmel zur Schleife binden
       
       > Regisseur Quentin Tarantino dreht einen Western nicht, weil das Drehbuch
       > durchgesickert ist. Macht nichts. Unser Autor verrät, wie der Film
       > geworden wäre.
       
 (IMG) Bild: Grandios: Tom Hanks (zweiter von links) als sprechender Kaktus.
       
       Eine schlechte Nachricht für die Freunde zeitgemäßer Genre-Aufbereitungen:
       Quentin Tarantino wird von der Realisierung seines geplanten Western
       absehen, weil das Skript für „The Hateful Eight“ (deutscher Verleihtitel:
       „Neun Superwampen tanken Blei“) an die Öffentlichkeit geraten ist. Im
       Kopfkino meines Vertrauens lief trotzdem schon die Preview.
       
       Die „Hateful Eight“ sind eine Gruppe verschiedener Fachärzte, die die
       Bevölkerung von Dorson, einem imaginären Ort im Mittleren Westen, gründlich
       schikanieren, damit sie krank wird. Das klingt zunächst banal, wird jedoch
       durch die Einführung einer klugen Metaebene gebrochen: Wenige Meilen vor
       der Stadt steht ein sprechender Kaktus in der Wüste (grandios: Tom Hanks)
       und kommentiert das Geschehen, teils direkt, teils aus dem Off. Oft schreit
       er auch einfach dazwischen, wenn es scheinbar gar nicht passt, doch auf den
       zweiten Blick passt es natürlich. Ein Quentin Tarantino überlässt nichts
       dem Zufall.
       
       Dazu gehört, dass sein Film wie immer eine Parabel auf Gut und Böse ist,
       ein Kompass für das Oben und Unten, eine Ellipse auf Blut und Boden. Dabei
       kann das Gute auch mal böse werden, wenn sich das Böse nicht gut genug
       anstellt. Das gerechte Gemetzel, die feine Folter, die erhabene Ermordung:
       Tarantino ist ein Meister dieser Features, die hier quasi noch
       unterstrichen und mit Gänsefüßchen aus Stahl versehen werden, sind sie dem
       Western doch bereits immanent. Die Botschaft lautet: „Grausamkeit fetzt,
       solange sie nur den Richtigen trifft.“ Das hat Tarantino mit seinen
       Vorbildern „Struwwelpeter“ und Wilhelm Busch gemein.
       
       Entsprechend cartoonesk sind auch wieder die Gewaltszenen angelegt.
       Ironisch gebrochen, fast slapstickartig aufbereitet, wird ihnen so die
       Schärfe genommen. Dadurch gelangen auch sensiblere Teile des Publikums in
       die Lage, die ausufernde Brutalität relativ entspannt zu genießen.
       
       ## Veronika Ferres als Wanderhure Sally
       
       Befreites Lachen schallt durch die Reihen, als US-Marshal Bon Scott (Heiner
       Lauterbach) dem Bösewicht Morgan Trautmannskoetter (Daniel Day-Lewis) den
       Pimmel zu einer Schleife mit Doppelknoten bindet, bevor er ihn buchstäblich
       in die Wüste schickt, wo er fast verdurstet, bis er in einer Oase einen
       Cola-Automaten findet. Aber er hat kein Kleingeld, also verdurstet er doch.
       Siedler finden schließlich das Skelett, in der knöchernen Hand eine Auswahl
       flacher Steinchen, mit denen Trautmannskoetter bis zuletzt verzweifelt
       versucht haben muss, das Gerät zu überlisten.
       
       Das augenzwinkernde Zitat der österreichischen Krimiserie „Kottan
       ermittelt“ ist für den Kenner nicht zu übersehen.
       
       Heiner Lauterbach. Haben wir den Namen wirklich richtig gelesen?
       Allerdings. Der germanophile Tarantino ist sich auch diesmal nicht zu
       schade, ein reiches Aufgebot von deutschen Schauspielern ins Rennen zu
       schicken. Und da er sich nicht auskennt, waren ihm inländische
       Castingagenturen nach Daniel Brühl und Til Schweiger („Inglourious
       Basterds“) auch beim diesmaligen Griff ins Klo behilflich: Neben Lauterbach
       sehen wir Veronika Ferres, die als Wanderhure Sally von Saloon zu Saloon
       zieht, Matthias Schweighöfer als verblödeten Ziehsohn des
       Komantschenhäuptlings „Fettes Brot“ (Kevin Spacey) und dazu natürlich
       Christoph Waltz.
       
       Dieser, wie könnte es anders sein, ist der verhassteste der „Hateful
       Eight“, ihr Anführer. Er spielt Hans Schulz, einen Gynäkologen aus Berlin,
       dessen Englisch einen österreichisch durchdrungenen Berliner Akzent
       aufweist. Bei jedem Spaziergang durch Dorson zertritt er fünf Katzenbabys
       und verteilt mit Senf gefüllte Bonbons an die Kinder. Dabei verbreitet er
       einen unglaublichen Charme, man kann ihm gar nicht böse sein. Er ist der
       geheime Held, auch wenn er wie seine sieben Mitstreiter im Kugelhagel
       stirbt, als die Bewohner von Dorson endlich genug von der Willkürherrschaft
       haben.
       
       ## Sorry!
       
       Zitat ist Trumpf bei Tarantino. Am Ende sieht man Bully Herbig, Pierre
       Brice und Gojko Mitic auf einer mit alten Autoreifen zugestapelten Veranda
       in einem heruntergekommenen Reservat sitzen. Starren Auges blicken sie in
       die Abendsonne und schlürfen selbst gebranntes Feuerwasser. Alle drei sind
       blind, eine herzzerreißende Reminiszenz an das Unrecht, das man den
       Ureinwohnern Nordamerikas angetan hat – einmal in der Realität, ein zweites
       Mal im Western und, die traurige Krönung, ein drittes Mal im Indianerfilm
       deutscher Prägung.
       
       „Der Western, wie wir ihn gerade gesehen haben“, scheint Tarantino sich und
       uns zu fragen, „was ist er wert? Eitler Tand vom weißen Mann für den weißen
       Mann. Wir haben eine Welt betreten, die nicht unsere ist, und sie uns zu
       eigen gemacht. Sorry!“
       
       In der Symbolik nur mit einem Brandt’schen Kniefall zu vergleichen, wird in
       der letzten Szene der Kaktus abgemäht.
       
       23 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uli Hannemann
       
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