# taz.de -- Kolumne Macht: Die Ideologie des Westens
       
       > Realpolitik ist heute zum Synonym für Machtpolitik geworden.
       > Menschenrechte? Können warten.
       
 (IMG) Bild: Während der Syrien-Friedensverhandlungen im schweizerischen Montreux. Wird da gerade etwa Machtpolitik betrieben?
       
       Wie wunderbar das doch sei, dass ideologische Grabenkämpfe der
       Vergangenheit angehörten, und wie entspannt Familienfeste seither geworden
       seien: Davon schwärmen noch heute, ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des
       Kalten Kriegs, viele Leute – darunter besonders viele, die sich früher für
       links gehalten haben.
       
       Man möchte ja niemandem die Freude verderben, aber wie kommen die Leute auf
       diese Idee? Mehr Ideologie war nie, und falls doch, dann kann ich mich
       daran nicht erinnern. Und ich bin immerhin 57 Jahre alt.
       
       Die Ideologie von heute ist allerdings schlicht gestrickt. Wir – also der
       Westen – kämpfen für Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und ganz
       allgemein für das Gute. Wenn im Zuge dieses Kampfes einer dieser Werte oder
       das allgemein Gute vorübergehend auf der Strecke bleiben, dann ist das sehr
       traurig. Aber leider im übergeordneten Interesse unvermeidlich. Wenn
       hingegen andere demokratische Grundsätze und die Menschenrechte verletzen,
       dann zeigt das, wie böse sie sind.
       
       Ich finde es nicht erstaunlich, dass die Regierungen einflussreicher
       Staaten derartige Propaganda betreiben. Erstaunlich finde ich, dass sie es
       als Realpolitik bezeichnen dürfen. Dabei hat diese Haltung mit Realpolitik
       nicht das Geringste zu tun, im Gegenteil.
       
       Beispiel Syrien. Der Iran, ohne den eine Lösung des Syrien-Konflikts nach
       übereinstimmender Ansicht vieler Fachleute undenkbar ist, wird auf Druck
       der USA hin von der Friedenskonferenz in der Schweiz ausgeladen.
       Saudi-Arabien darf mitmischen. Das Regime dieses Landes unterstützt
       unverblümt islamistische Terroristen, ist aber ein strategischer
       Verbündeter des Westens. Wir lernen auch nichts dazu.
       
       Beispiel Ukraine. In Kiew lässt die autoritäre Regierung von Präsident
       Viktor Janukowitsch auf Demonstranten schießen. Die deutsche
       Bundeskanzlerin Angela Merkel ist „aufs Äußerste besorgt und empört“ über
       Gesetzesverfahren, die demokratische Grundrechte einschränken. Das ehrt
       sie.
       
       Aber wie hätte sie wohl reagiert, wenn die Vorzeichen umgekehrt wären,
       Janukowitsch also eine stärkere Zusammenarbeit mit der EU wünschte und die
       Demonstranten sich nach Moskau hin orientieren wollten? Nun, das kann man
       nicht wissen. Oder? Doch, das kann man durchaus wissen. Man braucht bloß
       nach Kairo zu schauen.
       
       ## Mit Luzifer persönlich reden
       
       Beispiel Ägypten: Dort unterdrückt das Militär, das dem Westen der
       vergleichsweise noch immer beste Garant für Stabilität zu sein scheint, die
       Anhänger einer gestürzten islamistischen Regierung und säkulare Demokraten
       gleichermaßen. Macht nichts, zur Beachtung der Menschenrechte kann man ja
       später noch kommen. Erst einmal geht es darum, diesen geostrategisch
       bedeutenden Stützpunkt nicht zu verlieren. Im Sinne der Realpolitik,
       versteht sich.
       
       Früher bedeutete Realpolitik, dass man sogar mit Vertretern von Regierungen
       verhandelte, die man für verbrecherisch hielt. Um Verbesserungen für die
       unterdrückte Bevölkerung zu erreichen. Inzwischen ist der Begriff
       Realpolitik zum Synonym für Machtpolitik geworden.
       
       Es ist akzeptiert, dass wir Kompromisse schließen müssen, um unsere Werte
       gegen alle Feinde erfolgreich verteidigen zu können. Allerdings nicht mehr
       mit den Feinden, sondern im Hinblick auf die Werte selbst. Der Zweck
       heiligt also die Mittel.
       
       Ein derartiger Blick auf die Welt war von jeher das Merkmal von Ideologen.
       Ginge es dem Westen tatsächlich um Menschenrechte, dann würde die
       US-Regierung mit Luzifer persönlich reden, um die verzweifelte Lage der
       Menschen im syrischen Aleppo zu verbessern. Aber Washington will nicht
       einmal mit den Vertreten des Iran sprechen. Mehr Ideologie war nie.
       
       25 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Gaus
       
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