# taz.de -- Debatte Suizidhilfe: Der doppelte Irrtum
       
       > Ärzte sollten nicht über den Tod von Menschen entscheiden, dafür fehlt
       > jede Grundlage. Eine Antwort auf den Vorschlag des Kollegen de Ridder.
       
 (IMG) Bild: Kann ein Arzt überhaupt neutraler Erfüllungsgehilfe eines Suizidwunsches sein?
       
       Lieber Herr Kollege de Ridder, wir sind überzeugt, dass Sie redlich
       versuchen, ein ethisches Dilemma zu lösen, das jeden Arzt betreffen kann.
       Dennoch müssen meine Kollegen und ich [1][Ihrer Position, Ärzte sollten im
       Notfall Suizidhilfe leisten, klar widersprechen].
       
       Wir sind selbst Palliativmediziner mit jahrzehntelanger Berufserfahrung,
       und jeder von uns hat Situationen erlebt, wie Sie sie beschreiben. Wir
       haben bisher nicht erlebt, dass der assistierte Suizid der einzige oder der
       richtige Weg gewesen wäre, unerträgliches Leiden zu lindern. Dennoch mag es
       Situationen geben, in denen ein Arzt nach Ausschöpfung aller anderen
       Möglichkeiten zu dem Ergebnis kommt, er könne einem Leidenden nur noch
       beistehen, indem er ihm zum Tod verhilft. Wir fühlen uns nicht berufen,
       über eine solche individuelle Gewissensentscheidung zu urteilen.
       
       Aber aus eigener Erfahrung und den Beobachtungen etwa in den Niederlanden
       oder Oregon schließen wir, dass dies nur extreme Ausnahmefälle sein können,
       die nur in einer ganz besonderen, intim zu nennenden geistigen Beziehung zu
       dem leidenden Menschen moralisch vertretbar wären.
       
       Sie treten dafür ein, solche extremen Entscheidungen zu einer öffentlich
       anerkannten, gesetzlich und berufsrechtlich geregelten Option zu machen.
       Wir halten dies für höchst gefährlich.
       
       ## Wer genau will die Suizidhilfe?
       
       Fragen wir als Erstes, wer eigentlich den Wunsch nach assistiertem Suizid
       äußert. In der großen Mehrzahl sind dies Patienten, die von der letzten
       Lebensphase noch weit entfernt sind und ihre Autonomie und deren
       befürchteten Verlust aus der Perspektive ihres bisherigen Lebens
       beurteilen. Ist die Situation aber tatsächlich da, wird selbst unter
       belastendsten äußeren Bedingungen dieser Wunsch nur noch äußerst selten
       geäußert und sogar ausdrücklich widerrufen.
       
       Im Rahmen einer auch nur einigermaßen guten Palliativversorgung haben wir
       noch keinen Patienten erlebt, der seine letzte Lebensphase abkürzen wollte.
       Zudem haben die meisten zu Hause versorgten Palliativpatienten de facto
       Zugriff auf ausreichend tödliche Medikamente, ohne dass wir dort von
       Suiziden erfahren. Wie kommen Sie bei Ihrer reichhaltigen Erfahrung zu der
       Auffassung, dass die palliativmedizinischen Möglichkeiten nicht ausreichen
       sollten, Leiden effektiv zu lindern? Dies entspricht, bezieht man die
       intermittierende Sedierung mit ein, schlicht nicht den Tatsachen.
       
       Wie intensiv setzen wir uns mit der Bedeutung eines Suizidwunsches
       auseinander? Ist er wirklich mit dem Todeswunsch gleichzusetzen? Enthält
       diese Äußerung nicht vielmehr stets die Fragen, wie viel und welches Leben
       denn – noch – möglich sei, sowie: Wie viel bin ich in meinem leidenden
       Zustand noch wert? Die Hilfe zum Suizid beantwortet diese letzte Frage
       eindeutig mit: nichts.
       
       ## Dammbruch ist eine Gefahr
       
       Die allerwenigsten Suizidversuche geschehen aus nüchterner bilanzierender
       Überlegung, über 90 Prozent dagegen aus einer psychischen Krise oder
       Erkrankung heraus, und die allerwenigsten Menschen, die einen Suizidversuch
       überstanden haben, unternehmen einen zweiten – wieso sollte dies bei
       terminal kranken Menschen anders sein?
       
       In welcher Weise sehen Sie das „Dammbruchargument“ widerlegt? Die Zahl der
       berichteten Fälle nimmt in Oregon stetig zu, und die Dunkelziffer der
       Fälle, in denen angesichts der grundsätzlichen Anerkennung der ärztlich
       assistierte Suizid formlos und unerkannt stattfindet, ist nach seriösen
       Schätzungen hoch und ebenfalls steigend.
       
       Letztlich findet der entscheidende Dammbruch aber da statt, wo die ethische
       Grenze weiter gesteckt wird. Wie steht es um Kinder, um Demente, um andere
       nicht Einwilligungsfähige? Auch für sie fordern Befürworter in Belgien
       bereits dieses „Recht“. Wo hören wir auf? Wer garantiert, dass die
       Schwerstleidenden immer noch eine aufwendige Palliativversorgung erhalten,
       wenn es doch einen anerkannten und viel billigeren anderen Weg gibt?
       
       Für wie viele entsteht der Suizidwunsch daraus, dass sie in einem zunehmend
       ökonomisierten Gesundheitssystem einen Druck spüren, zumal wenn sie, wie so
       viele, keinen sorgenden Rückhalt in Familie oder Freundeskreis haben.
       
       Dennoch: Es gibt Menschen, die im Leiden an einer terminalen Erkrankung den
       ernsten und frei entschiedenen Wunsch haben zu sterben. Der Respekt vor
       ihrer Freiheit verbietet, dies durch Repression zu verhindern. Aber weshalb
       sollte es einer anderen Person nicht nur zugestanden, sondern sogar geboten
       sein, diesen Willen umzusetzen, und weshalb sollte dies ausgerechnet ein
       Arzt sein?
       
       Denn wer soll die Ernsthaftigkeit des Suizidwunsches prüfen und wie? Auch
       das aufwendige Verfahren in Oregon ändert nichts daran, dass letztlich die
       persönlichen Wertsetzungen des Arztes und seine subjektive Vorstellung von
       „lebenswertem“ Leben und unerträglichem Leiden darüber entscheiden, ob er
       einen Suizidwunsch akzeptiert oder ablehnt.
       
       ## Freiheit und Autonomie
       
       Die Forderung nach dem ärztlich assistierten Suizid hat ihren Ursprung in
       einer sehr notwendigen Diskussion über Freiheit und Autonomie. Sie erliegt
       jedoch dem doppelten Irrtum, ein Arzt habe der Autonomie Vorrang vor der
       Unantastbarkeit des Lebensrechts einzuräumen, und er könne dabei neutraler
       Erfüllungsgehilfe sein.
       
       Indem ein Arzt die Rolle des Suizidhelfers annimmt, macht er sich den
       Suizidwunsch dieses Patienten zu eigen und bestärkt ihn mit seiner
       Autorität – womöglich mehr, als jede andere Person dies könnte. Aber wie
       wollen wir in einer so verletzlichen Lebensphase den autonomen Willen des
       Patienten von den vermeintlichen oder tatsächlichen Erwartungen seiner
       Umwelt frei halten und unterscheiden?
       
       Auch wenn wir überzeugt sind, dass dies Ihren Intentionen fernliegt, lieber
       Herr Kollege de Ridder: In diesem Irrtum bedeutet, was hier als
       Verteidigung von Freiheit und Autonomie daherkommt, dann eben doch
       unweigerlich, dass Ärzte über die Tötung von Menschen entscheiden, auch
       wenn sie es Selbsttötung nennen. Dies wäre eine grenzenlose Anmaßung und
       Zumutung zugleich und kann keine ärztliche Aufgabe sein.
       
       5 Feb 2014
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) P. Markus Deckert
       
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